In Plastik verhallende Hilferufe
Seite 2: Kein Film der kritischen Töne
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Ganz auf die Nähe und die menschliche Leidens- und Empathiefähigkeit konzentriert, ist "76 Days" kein Film der kritischen Töne. Die rigide Zensurpolitik der chinesischen Regierung der Volksrepublik traf auch die Filmemacher, die zu Beginn des Ausbruchs noch in vier Krankenhäusern drehen konnten.
Nachdem Hao Wu, Weixi Chen und der nur anonym genannte dritte Regisseur zu Beginn des Lockdowns bis in den Februar hinein eine offizielle Drehgenehmigung erhielten, mussten die Dreharbeiten im März eingestellt werden, als die Zensurmaßnahmen durch die Regierung drastisch verschärft wurden.
Dennoch sind die Bilder, die es aus den überfüllten Krankenhäusern und verwaisten Straßen Wuhans, in den fertigen Film geschafft haben, erstaunlich. Der Blick von oben zeigt eine völlig ausgestorbene Großstadt.
Von den knapp elf Millionen Bewohnern der Metropolregion ist in den Tagen nach dem 23. Januar 2020 fast nichts zu sehen. Die Kranken- und Freiwilligenwagen sind die letzten Phantome, die mit heulenden Sirenen durch die Straßen und Hochhausschluchten huschen.
Durch die drakonisch forcierte Eindämmung des Virus rücken im Film zwangsläufig die Bereiche in den Fokus, an denen das Leben eben doch weitergeht, weil es weitergehen muss. Neben den Krankenhäusern sind immer wieder die Ort zu sehen, an denen Menschen notdürftig zueinander finden.
Sie werden durch Barrikaden geschleust, bekommen in voller Schutzausrüstung ihre Haare geschnitten und ihre Speisen überreicht. Einige finden auf dem Heimweg, mit Gemüsetüten in der Hand, die Gelegenheit für ein kurzes Gespräch mit der Nachbarin am Fenster. Zumindest für ein paar Minuten kommt der fast vergessene Alltag zurück.
Im Krankenhaus bieten derweil selbst die wenigen Stunden der Ruhe keine Entlastung. Eine Pflegerin sortiert in diesen Stunden die Habseligkeiten derer, die den Ausbruch des neuartigen Coronavirus nicht überlebt haben. Einzeln werden die Telefone aus den Plastikbeuteln entnommen, desinfiziert und zusammen mit den Sterbeurkunden in neue Beutel eingeschloßen.
Einen dieser Beutel wird die Krankenschwester später der Tochter der verstorbenen Patientin überreichen, die vor einem Absperrzaun wartet. Beide werden gemeinsam weinen, jede auf ihrer Seite der Barrikade.
Der Film ist auf der Seite der US-Verleihers bereits zu sehen, ab März dann auch auf iTunes / AppleTV+.