"In der Gegenwart die Zukunft darstellen"

Was Mao und Britney gemeinsam haben.

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Für alle, die tiefer in die Welt der strahlenden, kommunistischen Superhelden eindringen wollen, gibt es jetzt eine Quellenkunde: Chinese Propaganda Posters

Der retrofuturistische Jet fliegt in den extracolorierten Sonnenuntergang. Wenn Britney Spears aktuelles Video "Toxic" im Himmel der Fortschrittsromantik schließt, dann ist sie dort nicht allein. Denn schon lange ziehen im ockerfarbenen Himmel unter strahlendem Hammer und Sichel chinesische Düsenflugzeuge ihre Kondensstreifen. Seit 1981 strahlen sie von "Die vier Modernisierungen des Vaterlandes verwirklichen. Nach noch größerem Ruhm streben."

Das ist eines von mehr als dreihundert Plakaten aus der VR China, die im großformatigen Band "Chinese Propaganda Posters" von Anchee Min, Duoduo und Stefan R. Landsberger veröffentlicht wurden. Die Bilder einer glücklichen Welt und kommunistischer Superhelden stammen aus den 50er bis 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Mao Tse-Tung: Eine Popikone

Natürlich darf bei ihnen der große Vorsitzende Mao Tse-Tung nicht fehlen. Er ist "die rote Sonne im Herzen der Völker aller Länder" (1967, Seite 110). Mit der obligatorischen Ballonmütze strahlt er über den Menschen des Trikonts, die mit dem Kleinen Roten Buch in der Hand voranschreiten. Oder er füllt im grauen Stehkragenanzug den ganzen Himmel über den Volksmassen aus: "Mit begeisterten Ausrufen die erfolgreiche Eröffnung des 4. Nationalen Volkskongresses begrüßen. Es leben der Große Führer, der Vorsitzende Mao" (1971, Seite 22). Natürlich weht vor dem Hintergrund des Kaiserpalastes auch ein rotes Fahnenmeer, doch über allem lächelt "hong, guang, liang" (rot, hell, leuchtend) Mao.

Und ganz sicher hat er dabei auch ein Auge auf Britney, die nun am gleichen, eingefärbten Himmel ihre Bahnen zieht. Schließlich verspricht das Designerprodukt "Britney" genau wie der Plakat-Mao die vollkommene Erfüllung und beide sind Ikonen der populären Gegenwartskultur.

Die eine vergiftet im Stewardess-Kostümchen ihren Ex-Lover und setzt "Oops!...I Did It Again" mit ihrer "Onyx Hotel Tour" mühelos zu einem neuen Höhenflug im Pop-Himmel an. Der andere lächelt dort oben schon alterslos. Warum aber hat er es eigentlich da hoch geschafft? Stefan Landsberger gibt im Buch einen Hinweis:

"Ziel (der Plakate) war es, in der Gegenwart die Zukunft darzustellen. Sie wollten das Leben nicht nur zeigen, wie es wirklich ist, sondern auch, wie es sein sollte. Diese Plakate waren in einem naiven Stil gestaltet: Schwarze Linien bildeten Umrisse, die in strahlendem Rosa, Rot, Gelb, Grün und Blau ausgemalt waren. ... In einem Land mit einer hohen Analphabetenquote, wie es China in den vierziger und fünfziger Jahren des 20.Jahrunhunderts war, funktionierte die Methode, abstrakte Vorstellungen zu visualisieren besonders gut."

Die Lösung ist folglich: Westliche Popheads haben die gleichen Wahrnehmungskanäle wie chinesische Analphabeten. Deshalb finden sich die rotchinesischen Comics auf Club- und Partyflyern und es ist nur eine Frage der Zeit, wann das Plakat "Mit vollem Einsatz Küchenabwasser sammeln und die Schweinezucht unterstützen" (1972, Seite 184) verwandt wird. Mit einem Augenzwinkern werden die maoistischen Motiven seit einiger Zeit auch von der deutschen Antiatombewegung genutzt. "Vorwärts zum VI. Castor-Transport nach Gorleben" heißt es auf einem Plakat, sodass nun von deutschen Häuserwänden "hyperrealistisch gestaltete, alterslose, überlebensgroße Bauern, Soldaten, Arbeiter und Jugendliche in dynamischen Posen" (Landsberger) prangen. Mao ist Pop. Das hat auch das Büro für angewandten Realismus erkannt und in seinem Buch "Mao Dada" die Sache theoretisch fundiert.

Moderation im Disney-Channel oder ein Langer Marsch nach Yenan, es gibt viele Wege, die ins Pop-Business führen. Wichtig ist nur, dass es sich verkauft. Mao tut das. Ob Designeranzug im Maostil, Warhols Maoposter, Maofeuerzeuge, die die Melodie "roter Osten" abspielen, oder neuerdings Maopornos - alles wird angeboten und gekauft.

Nun gibt es zum Maopop mit "Chinese Propaganda Posters" die Quellenkunde. Will man in den Welten glücklichen Fortschrittsglaubens schwelgen, hilft einem das Buch ebenso wie bei einem kleinen Blick auf den realen Kontext des Popphänomens. In "Das Mädchen auf dem Poster" bringt Anchee Min die Bedeutung für das chinesische Alltagsleben nahe:

"Meine Kraft und Tapferkeit stammten von den Plakaten, mit denen ich aufgewachsen war. … Die Plakate zeigen die Vorstellungsweise einer ganzen Generation und spiegeln einen wichtigen Abschnitt chinesischer Geschichte wieder."

Sehr informativ ist Landsbergers oben zitierter Text "Aufstieg und Niedergang des chinesischen Propagandaplakats". Neue Einsichten gibt es auch beim Durchblättern der Plakate selbst. Die Superhelden-Ästhetik ist nur eine von mehreren Stilrichtungen der chinesischen Plakate. Daneben existiert noch ein zweiter der an traditionelle chinesische Kunst erinnert, alte Formensprache verwendet und wesentlich feiner gezeichnet ist. Aus der Abteilung "kleinbürgerliche Gemütlichkeit" im Sparparadies um die Ecke könnte der dritte Stil stammen. Obszön verfette Kinderköpfe tummeln sich da auf den cremig-verwischten Plakaten. Sie tauchen vor allem dann auf, wenn es um die Verbildlichung individuellen Glücks geht. Zwar eine neue Einsicht, aber Übelkeit erregend. Dann doch lieber die maoistischen Superhelden, die den Großteil der Poster ausmachen, die der Hongkonger Stern-Photographen Michael Wolf zusammen getragen hat. Die haben Mao schließlich lange vor Britney in den Pophimmel gebracht.

Der Große Vorsitzende hat mit ihr allerdings mehr gemein als den bloßen Ikonenstatus. Sie sind beide subversiv. Maos Botschaft ist dabei nicht das plakative "Die Mitglieder der Partei und der Jugendorganisation müssen Vorbilder für die ganze Bevölkerung sein." Das ruft nur ein Lächeln hervor. In der Sinnentleerung als Popprodukt wäscht sich die Botschaft aus, aber ein unterbewusstes "Etwas anderes ist denkbar." bleibt im Subtext. Britneys unterbewusste Subversion geht die Sache von der anderen Seite an. Sie überbestätigt. Sie kehrt die Waffe der Sinnentleerung gegen die Rollencodices des Gegenwärtigen.

Irgendwann werden sich die Subtexte nach oben gefressen haben und dann bleibt nichts anders übrig als die entleerten Klischees über Bord zu werfen und "etwas anderes" zu denken. Am Ende lehnen wir uns alle uns mit einem Longdrink in der Hand zurück und fliegen in der Düsenmaschine dem ockerfarbenen Sonnenuntergang entgegen.

Chinese Propaganda Posters Deutsch, Englisch, Französisch, Autoren: Anchee Min, Duoduo, Stefan R. Landsberger, 320 Seiten, Softcover, 245 x 370 mm, Taschen-Verlag, Preis: 29,99 Euro