Infocity NRW

Die Zukunft der Vernetzung?

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Schon auf der Cebit war es augenfällig. Die Messepräsentation der Vebacom übertraf beinahe alle anderen Aussteller durch aufwendigen Medien- und Messebaueinsatz. Hauptinhalt des Vorgestellten war die "Infocity NRW" das "größte Multimedia-Pilotprojekt Europas".

Als ich nach Düsseldorf fuhr, um mich mit Herrn Ekkehart Gerlach zu unterhalten, Direktor des Geschäftsbereichs Unternehmenskunden und Mehrwertdienste der Vebacom und Projektleiter von Infocity, hatte ich vor allem eines im Sinn, nämlich herauszufinden was hinter dem Projekt Infocity konkret steckt. Denn man kennt die Ankündigungspolitik in Zusammenhang mit diversen Multimediagroßprojekten schon zur Genüge. Und man weiß auch, daß in Orlando "nix los" ist, man hört seit der Ankündigung des Feldversuchs für interaktives Fernsehen in Stuttgart für 4000 Haushalte, bislang das größte Ankündigungsprojekt in Deutschland, wenig, und das ebenfalls mit großem Presse- und Öffentlichkeitsaufwand gestartete Bayern Online hat gerade erstmal die Gründung einiger Bürgernetzvereine konkret zuwege gebracht. Von Insidern wird bereits eine mangelnde Gründerzeitstimmung im digitalen Städtebau bekrittelt. Hubert Burda ist nach dem Verlust von X-Millionen mit Europe Online vorsichtig geworden und Mark Wössner von Bertelsmann spricht im Spiegelinterview in Zusammenhang mit Internet nonchalant von einem "kleinen aber angenehmen Nebenverdienst".

Dieser Mangel an Interesse hat möglicherweise zur Ursache, daß man einfach noch immer nicht weiß, wie man mit dem Internet im besonderen und Multimedia im allgemeinen Geld verdienen kann. Im Gegenteil, die hohen Investitionskosten für Interaktives Fernsehen schrecken ab, und die ersten Anzeichen einer Internet-Rezession - zumindest was das "big business" betrifft - in den USA werden anscheinend gerne zum Vorwand genommen, daß man in D, A, oder CH den Sprung in diesen kalten Ozean erst gar nicht wagt. Dabei sind die technischen Möglichkeiten ja nun wirklich für ein breites Spektrum von Anwendungen keinerlei Zukunftsmusik mehr sondern gegebene Tatsachen.

Lange Rede, kurzer Sinn, in dieser Hinsicht kann auch die Infocity noch mit keiner Vollzugsmeldung aufwarten. Ein Generalplan sei für den Ende des Monats Mai zu erwarten, im Herbst werde die technische Basis fertiggestellt und im Jahr 97 beginnt die Pilotphase, informierte mich Herr Gerlach. Ist die "Infocity" also nur ein weiterer Netzhype, eines dieser vorgeschobenen Projekte, während man in Wirklichkeit das Geld in ganz anderen Bereichen zu scheffeln gedenkt, z.B. in der konventionellen Telephonie? Müßige Frage, ist doch die Vebacom zur Zeit auf den Wirtschaftsseiten stets geschildert, wenn es um den großen Fusionspoker vor der Öffnung des Telekommarktes in Deutschland geht, neben Cable and Wireless, DTAG, BT, Sprint, Telekom France der Ambitious Player, der unter den Privaten die Nr.1 neben der DTAG werden will.

Jenseits der Aussicht auf schnelle Umsetzung und jenseits des Geschäftlichen hat das Projekt "Infocity" von allem, was man rundum hört, zumindest die interessanteste Terminologie und ein unaufdringliches, aber prägnantes "Technostyling" in seiner Präsentationsweise.

Ekkehart Gerlach betonte immer wieder die Offenheit, Heterogenität und Komplexität des Projekts "Infocity". Jeder der Partner im Projekt könne seine eigenen Interessen verfolgen, was gut für das Engagement sei. In der engeren Planungsgruppe sind neben der Vebacom die Unternehmen Sybase, Otto, West LB, Nortel-Dasa und CLT, weitere Partner im bisher aus 15 Unternehmen bestehenden Konsortium sind WDR, ZDF, RTL, sowie Hochschulen und Krankenhäuser und 10.000 Privathaushalte, die in der Pilotphase angeschlossen werden sollen. Die Vebacom möchte dabei vor allem einen sehr flexiblen technischen Rahmen anbieten, der quasi wirklich alles Denk- und technisch Machbare ermöglicht, vom Internetzugang, über diverse Business-to-Business Applikationen und Hochschulforschung hin zu Telework u.u.u.

Keineswegs möchte man wie der 101ste Tester Interaktiven Fernsehens erscheinen. Damit ein flexibler technischer Standard wirklich gewährleistet ist, setzt man darauf, die Haushalte über das bereits bestehende Kabelnetz auf TCP/IP Basis anzuschließen. Später, wenn vollständige Glasfaserverkabelung es ermöglicht und die Nutzeranzahl es erfordern sollte, will die Vebacom Übertragungsraten im Gigabitbereich bereitstellen. Man will sich in keine Schublade pressen lassen. Auch nicht, was die Wahl etwaiger Settopboxen betrifft. Die Meldung bezüglich der Verwendung der Kirch-Blackbox im Joint Venture mit Metro ging ja bereits durch die Presse, doch das schließt nicht aus, daß ZDF, CLT usw. eine andere Black-Box verwenden wollen. Die Infocity verfolgt ein liberales Organisationsprinzip, potentiell kann sich in ihr jeder seine eigene Nische schaffen oder erfinden.

Doch was wie das Ideal eines Bottom-Up Ansatzes aus der KI übertragen auf Projektmanagment klingt, hat auch seine Schwachstellen. Komplexität kann auch Vagheit heissen, und vage wurden Ekkehart Gerlachs Aussagen immer dann, wenn das Gespräch auf soziale Aspekte der Infocity kam. Der schöne Mythos zum Beispiel, daß jede/r Bewohner/in der Infocity zugleich Konsument/in und Produzent/in sein kann, wird zwar im eigenen Prospekt marketinggerecht in Szene gesetzt, doch gestand Herr Gerlach im Gespräch freimütig "Dies ist eine Idee der Euphoriker".

In einem Nebensatz wurde dann auch schnell aus dem Internet Internet-Ecke.

In einem Nebensatz wurde dann auch schnell aus dem Internet Internet-Ecke. Wenig anders der Kommentar auf ein weiteres Zitat aus dem Vebacom Prospekt für die Infocity: "Die Bürger können von zu Hause aus Einblick in die politischen Prozesse nehmen und in den elektronischen Diskussionsforen bei den Entscheidungen mitreden".

Howard Rheingold sieh auf uns herab! In NRW wird elektronische Demokratie wirklich. Wirklich? Hier wollte sich der Projektleiter von Infocity nicht festlegen und so blieb wohl der Eindruck über, daß die Vebacom sich als Ingenieur, oder besser "Infotect" der Infocity sieht und nicht als ihr Bürgermeister oder Gesetzgeber. Wer aber kann sichs leisten, und wie können sich Bürger- und Bürgerinnen fit machen für den neuen Volkssport Teledemokratie? Wer übernimmt die Verantwortung, wenn die Gesellschaft von "information rich" und "information poor", die wir sowieso schon haben, noch krassere Ausmaße annimmt? Etwa ein Prozeß sozialdarwinistischer Selbstorganisation? Ist die Infocity bloß eine Chimäre des Infokapitals? Kann uns der nordrhein-westfälische Wirtschafts- und Medienminister Wolfgang Clement möglicherweise mehr zu diesen Themen sagen?

Anmerkung: Ein Interview mit "Superminister" W.C. in Kürze an ebendiesem Ort, tp-terminal.