Informationsfreiheit, Sicherheit und Medieninfrastrukturen
Das Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 2002 pocht in einem wilden Artikel-Mix auf die Einhaltung der Grundrechte und wettert gegen den Rückzug des Staats aus der Infrastrukturpolitik
Wenn sich auf gut 500 Seiten Berichte über Geburtswehen neuer Technologien an Zwischenbilanzen zum Digitalen Rathaus oder zum Europäischen Computerführerschein reihen, kann es sich eigentlich nur um die "heimliche" Chronik der Informationsgesellschaft handeln: Das Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 2002 vereint auch in diesem Jahr unter dem Aufhänger "Innovation @ Infrastruktur" wieder viele kurz- und ein paar langweilige Artikel rund um Fort- und Rückschritte in der vernetzten Medienwelt. Zum Durchlesen ist das Werk nicht geeignet, dafür dient es als verlässliche Fundgrube in Fachfragen.
Neu ist die Aufnahme von zwei Podien in den Wälzer, dessen Herausgeberteam zusammen mit den "Associated Editors" auf 15 Professoren, Doktoren und Leitungsbeamte von Rang und Namen angewachsen ist. Idee dahinter ist, eine Art virtuelle Podiumsdiskussion aus den verschiedenen Stimmen zu komponieren. Das eine beschäftigt sich mit Infrastrukturpolitik, die nach Ansicht der Mehrzahl der versammelten Autoren trotz allen Geredes von Deregulierung und Neoliberalisierung nach wie vor eine immens wichtige Rolle spielt. Vor allem ihren Infrastrukturen - und in einer "globalen" Welt gerade den technischen Kommunikationsnetzen - verdanken "moderne Staaten ihre Leistungsfähigkeit neben dem Potenzial ihrer Menschen und den sich in Clustern bildenden Kompetenzanhäufungen", ruft Franz Josef Radermacher vom Ulmer Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung den politischen Entscheidern ins Gedächtnis zurück.
Angesichts der sich ständig vermehrenden Mega-Pleiten im Telekommunikations-Sektor, dem weit gehenden Brachliegen des TV-Kabels und dem Darben von "Schlüsseltechnologien" wie Public-Key-Infrastrukturen ist das Plädoyer deutlich: Liberalisierung allein ist kein Mittel, um die für die Netzgesellschaft benötigten Basisstrukturen zu errichten und am Leben zu halten. Ihr Ausbau könne in einem solchen Umfeld nur selektiv "nach Marktgesichtspunkten" erfolgen, was angesichts Börsen-Hype und anschließendem Zusammenbruch der Aktienmärkte "zu einem chaotischen Auf und Ab im Investitionsverhalten geführt hat", so Radermacher. Insgesamt lässt sich eine gewisse Unzufriedenheit mit der Performance des Staats in der Informationsgesellschaft aus dem Buch herauslesen: Überall würden "ehrenamtliche" Foren und Kommissionen unverdrossen gegründet, so Mitherausgeber Dieter Klumpp, doch die würden schon allein an ihrer Semi-Professionalisierung durch "Zeitarbeitskräfte" regelmäßig scheitern und sich eh nicht explizit mit Infrastrukturen beschäftigen.
Um neue Techniken wie UMTS nicht zu gefährden, will der Bremer Informatikprofessor Herbert Kubicek daher die Politiker wieder stärker in die Pflicht nehmen: bei der anstehenden Novellierung des Rechtsrahmens im Telekommunikationsgesetz sollten seiner Meinung endlich klare Zielvorgaben für den Regulierer und Instrumente zur Durchsetzung verankert werden. Denn mit "Kreislaufmitteln" wie dem Preiswettbewerb könne der "Knochenschwund" an den Infrastrukturen nicht geheilt werden. Offen bleibt in der Regel, wo der Staat angesichts leerer Kassen die Kohle für das langfristige Investment in die "Daten-Highways" hernehmen soll. Ein Providerchef bringt aber die zumindest unkonventionelle Idee der "direkten Einbeziehung der Nutzer in die Finanzierung" auf, etwa durch Tauschgeschäfte wie "Anteilserwerb am regionalen Betreiber vs. Netzausbau".
Kontrollgelüste megaorwellsschen Ausmaßes
Im zweiten Podium geht es um das Thema "Sicherheit und Freiheit" nach dem 11. September. Dort herrschen häufig gedrückte Stimmungen vor. In einem im Jahrbuch dokumentierten Blick in die Glaskugel hatte der früh verstorbene Netzanwalt Patrick Mayer bereits vor den Anschlägen die "manisch-depressiven" Reaktionen der Politik auf das Netz gegeißelt. Kurzfristige Euphorien würden sich mit "Kontrollgelüsten megaorwellschen Ausmaßes" verbrüdern und "Paranoia und Verfolgungszwang gegenüber vermeintlichen Gefahren aus dem Netz" grassieren. Häufig werde pauschal das ganze Netzsystem in Misskredit gebracht.
Dass nach den Terror-Anschlägen auf die USA die Situation keineswegs besser geworden ist, legt unter anderem Alfred Büllesbach, Datenschutzbeauftragter von Daimler Chrysler, in seiner Analyse weltweiter neuer "Sicherheitspakete" dar. Überall sei es zu einer Ausweitung von Telefonüberwachungen sowie anderer Abhörmaßnahmen und zur Herabsetzung rechtlicher Standards zum Schutz der Privatsphäre gekommen. Die freiheitlich-demokratischen Staaten würden sich dadurch aber in ihrem Kern verletzen, da ihnen die Glaubwürdigkeit abhanden komme. Ein "Mehr an Sicherheit" sei dagegen durch die Gesetzesverschärfungen kaum zu erzielen.
Erfreulich ist da zumindest, dass neben dem Kasseler Rechtsprofessor Alexander Roßnagel auch der Karlsruher Verfassungsrichters Wolfgang Hoffmann-Riem im Jahrbuch ein starkes Plädoyer für den Datenschutz und die Informationsfreiheit ablegt: "Neben das (alte) Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung tritt ein Grundrecht auf multimediale Selbstbestimmung und -entfaltung", schreibt der Jurist. Dieses sei eingebettet in die "rechtlich geprägte Informationsordnung". Dazu gehöre nicht nur das "Setzen von Schranken gegenüber der Ausübung von Kompetenzen des Staates oder von Freiheiten anderer Bürger. Erfasst werde auch der Schutz vor der "Informationsfilterung durch Private", so Hoffmann-Riem unter Anspielung auf die um sich greifenden Versuche des Staats, Internet-Provider zum Filtern gewisser - etwa pornographischer oder sonst wie strafbarer Inhalte - aus dem Netz zu motivieren. Derlei Tun sei "begrifflich als Zensur" bekannt, warnt der Bundesverfassungsrichter vor der Entstehung neuer Machtprobleme und einer "Art Geistespolizei".
Kubicek, Klumpp, Büllesbach, Fuchs, Roßnagel (Hg): Innovation@Infrastruktur. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 2002, Heidelberg (Hüthig), 62 Euro, ISBN 3778539531