Inhaftierung von acht katalanischen Ministern und Haftbefehl gegen Puigdemont
Die Hardlinerin Lamela hebelt Verteidigerrechte aus und behauptet "hohe Fluchtgefahr", obwohl Beschuldigte freiwillig erschienen sind
Richterin Carmen Lamela am Nationalen Gerichtshof ist eine Hardlinerin, das ist bekannt. Mit der Inhaftierung des Vizepräsidenten Oriol Junqueras und von sieben Ministern der katalanischen Regierung hat sie diese Einschätzung bestätigt. Wie erwartet ließ sie die Beschuldigten nicht mehr aus dem Sondergericht in Madrid.
Lamela hatte den Anträgen des Ministeriums für Staatsanwaltschaft stattgegeben und nahm neben Junqueras auch Jordi Turull, Josep Rull, Meritxell Borràs, Raül Romeva, Carles Mundó, Dolors Bassa und Joaquim Forn in Untersuchungshaft. Auch die Inhaftierung von Santi Vila wurde angeordnet. Er ist aber der einzige, der wieder freikommen kann, wenn er eine Kaution von 50.000 Euro hinterlegt. Das ist das Zugeständnis dafür, dass der Minister für Unternehmensfragen vor der Unabhängigkeitserklärung am vergangenen Freitag zurückgetreten ist.
Die Richterin rechtfertigt die Inhaftierung mit der angeblich "hohen Fluchtgefahr". Lamela argumentiert, man dürfe nicht vergessen, dass "sie über gute finanzielle Verhältnisse verfügen, was es ihnen erlaubt, das spanische Territorium zu verlassen und im Ausland zu leben". Warum sie dann aber freiwillig erschienen sind, mit der Frage will sich die Richterin nicht auseinander setzen. Dazu kommt, dass Innenminister Forn und Arbeitsministerin Bassa sogar schon im Ausland waren, an der Presskonferenz in Brüssel am Dienstag teilgenommen hatten, mit der der Konflikt internationalisiert wurde. Regierungschef Carles Puigdemont hatte dabei auch seine Einschätzung dargelegt, dass man in Spanien keinen fairen Prozess zu erwarten habe.
Lamela übergeht also, dass Forn und Bassa freiwillig zurückgekehrt sind, womit sie die angebliche Fluchtgefahr ad absurdum geführt haben. So ist es kein Wunder, dass die Anwälte die Inhaftierungen massiv kritisieren. Sie hatten schon im Vorfeld auf die Tatsache hingewiesen, dass einige der Beschuldigten mit nicht einmal 24 Stunden Vorlauf vorgeladen wurden, womit eine Verteidigung nicht vorbereitet werden konnte. Das hätten sie in ihrem Berufsleben noch nie erlebt. Sie stellen fest, dass Lamela "vorsätzlich" gehandelt habe. Der Beschluss zur Inhaftierung "war schon geschrieben", meinen die Verteidiger. In dem Beschluss seien das Verhalten und die Aussagen sowie die Anträge der Verteidigung ignoriert worden, beklagte sich Andreu Van den Eynde.
Die Richterin sucht sich in ihrem Haftbeschluss nur negative Gründe zusammen und wertet es gegen die acht erschienenen Minister, dass andere nicht aus Brüssel zurückgekehrt sind, wie Puigdemont und vier weitere Minister. In ihrem Beschluss stellt sie fest, dass sich "einige Angeklagte in andere Länder begeben hätten, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit zu umgehen, denen sie sich schuldig gemacht haben könnten". Das könnte sie aber als Grund für Haftverschonung für die werten, die genau das nicht getan haben oder sogar zurückgekehrt sind. Da ihre Argumentation auf sehr tönernen Füßen steht, führt die Hardlinerin als weitere Begründung für die Untersuchungshaft ein angeblich "hohes Risiko" dafür an, dass sie ihre "kriminellen Akte" wiederholen. Denn die hätten sie "über mehr als zwei Jahre geplant und bewusst ausgeführt".
Stattgegeben hat sie wie erwartet auch dem Antrag des Ministeriums für Staatsanwaltschaft und Haftbefehle gegen Puigdemont und die vier Minister erlassen, die mit ihm in Brüssel geblieben sind: Antoni Comin, Meritxell Serret, Lluís Puig und Clara Ponsati. Die Haftbefehle gehen an die belgischen Behörden, da es bekannt sei, dass sie in dieses Land gereist seien, erklärt die Staatsanwaltschaft.
Auch das Ministerium für Staatsanwaltschaft versucht sich aus dem merkwürdigen Vorgehen herauszuwinden, dass einigen Betroffenen nicht einmal die Vorladungen zugestellt wurden. Es sei "wiederholt versucht" worden, die Ladungen zu Hause zuzustellen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Gescheitert seien auch Versuche, sich telefonisch mit den Angeschuldigten in Verbindung zu setzen. Die Anrufe seien aber ignoriert worden, weshalb die Staatsanwaltschaft Haftbefehle beantragte. Die Vorladungen seien eine öffentlich bekannte Tatsache gewesen, trotz allem seien diese Personen "nicht erschienen".
Offensichtlich reicht es im heutigen Spanien, Vorladungen über die Presse auszusprechen. Ohnehin habe Puigdemont öffentlich seine Absicht erklärt, nicht vor Gericht erscheinen zu wollen, versucht die Staatsanwaltschaft zu begründen, warum man die Form nicht wahrt. Dass die Beschuldigten angeboten hatten, sich in Brüssel auf einer Polizeibehörde oder per Videokonferenz vernehmen zu lassen, wird unterschlagen.
Es geht auch anders am Obersten Gerichtshof
Dass es auch in Spanien anders geht und andere Gerichte die Verteidigerrechte beachten, zeigte sich ebenfalls heute am Obersten Gerichtshof. Dort waren die Parlamentspräsidentin Carme Forcadell und die Mitglieder des Parlamentspräsidiums vorgeladen, denn auch ihnen wird Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung von Geldern für das Referendum am 1. Oktober vorgeworfen, das Spanien mit Gewalt verhindern wollte. Während die Mitglieder der katalanischen Regierung nach der offiziellen Absetzung durch Spanien über keine Immunität mehr verfügen, ist das im Fall der Mitglieder des Parlamentsvorstands noch der Fall. Deshalb ist für sie der Oberste Gerichtshof zuständig.
Der dortige Richter Pablo Llarena hat den sechs Angeschuldigten und den Verteidigern nun bis kommenden Donnerstag Zeit gegeben, sich auf die Vorwürfe vorzubereiten. Das hatten die Anwälte beantragt, da ebenfalls die Vorladungen zumeist erst am Vortag zugestellt wurden. Llarena hat sich vom Druck durch die spanische Regierung und vielen spanischen Medien freigemacht, die Forcadell zu einer Art Staatsfeind Nummer 1 aufgebaut hatten.
Der Termin fällt nun mit dem ersten Referendumsversuch am 9. November zusammen. Bei der schließlich unverbindlichen Volksbefragung, die ebenfalls verboten wurde, hatten sich 81% für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Damals stand Forcadell noch federführend als Präsidentin der Katalanischen Nationalversammlung (ANC) hinter den großen Mobilisierungen für Katalonien als neuem Staat in Europa. Ihren Nachfolger an der ANC-Spitze hat die Hardlinerin Lamela wegen angeblichen "Aufruhr" inhaftiert.
Zu erwarten ist angesichts der Inhaftierung der Minister und den Haftbefehlen für Puigdemont und andere ein politisches Erdbeben und neue Proteste in Katalonien. Der Anwalt Jaume Alonso-Cuevillas hat im Namen der inhaftierten Minister ausdrücklich an die katalanische Gesellschaft appelliert, weiter "gewalttätige Episoden" zu vermeiden und stets friedlich zu protestieren. Da dies immer der Fall war, sind Anklagen wie Rebellion und Aufruhr absurd, denn dafür wäre ein gewaltsames Vorgehen nötig.
Für die spanischen Sozialdemokraten (PSOE) in Katalonien hat das Vorgehen Madrids Konsequenzen. Schon zuvor sind etliche Führungsmitglieder zurückgetreten. Nun legte auch der Bürgermeister Jordi Ballart aus Terrassa seinen Posten nieder und gab das Parteibuch zurück, da die PSOE die rechtsradikale Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy und damit auch die Zwangsverwaltung für Katalonien und die Kriminalisierung einer gewählten Regierung unterstützt.
Auch am Rathaus von Barcelona hängt nun ein Transparent, auf der Bürgermeisterin Ada Colau die "Freiheit für politische Gefangenen" fordert. Colau, die nicht zur Unabhängigkeitsbewegung gehört, hat gestern ebenfalls an einem kurzen Proteststreik teilgenommen. Per Twitter spricht sie von einem "schwarzen Tag für die Demokratie in Katalonien". Der Chef der Linkspartei "Podemos" (Wir können es), Pablo Iglesias, erklärte: "Es beschämt mich, dass in meinem Land Oppositionelle inhaftiert werden. Wir wollen keine Unabhängigkeit für Katalonien, aber heute sagen wir: Freiheit für politische Gefangene."