Internet Governance: Die nächste Runde
Das Reizthema der Internetaufsicht wird beim ersten IFG-Forum in Athen vermieden, zur Diskussion steht die Entwicklung des Internet mit den Themen Zugang, Offenheit, Vielfalt und Sicherheit
Nächste Woche findet in Athen das erste Internet Governance Forum (IGF) statt. Das IGF wurde auf dem 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS II) im November 2005 gegründet und soll als ein globales Diskussionsforum helfen, die Zukunft des Internet zu gestalten. Rund 1500 Experten von Regierungen, der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft haben sich für diese erste „Internet Olympiade“ bereits angemeldet.
Nach fünf Jahren erbitterter Diskussion darüber, wer in der Zukunft die Kernressourcen des Internet kontrollieren soll, einigten sich im November 2005 die erschöpften Diplomaten von 192 Regierungen darauf, den Konflikt für einen Moment unerledigt beiseite zu legen, um etwas Luft zu gewinnen für ein Überdenken der kontroversen Positionen. Man beschloss, anstelle einer von Regierungen dominierten neuen „Internet UNO“ für die nächsten fünf Jahre ein „Internet Governance Forum“ (IGF) zu gründen, das sowohl Regierungen als auch der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft offen steht. Gleichzeitig verständigte man sich darauf, dem IGF keine finale Entscheidungskompetenz zu übertragen. Bevor man tatsächlich „schneide“, müsse man siebenmal messen. 2010 wolle man dann im Lichte der Diskussionen weitersehen, ob die Zeit entscheidungsreif sei für ein neues „Internet Governance Modell“.
If it isn´t broken, don´t fix it
Das Problem bestand und besteht darin, dass die Kernressourcen des Internet – Root Server, IP-Adressen und Domain Namen – einseitig von der US-Regierung kontrolliert werden. Diese Funktion ist der US-Regierung historisch zugewachsen. Das Internet ist nun einmal in den USA erfunden worden. Die Clinton-.Administration hatte im 1998 versprochen, die Verwaltung dieser Ressourcen zu privatisieren und sie der von ihr gegründeten internationalen, privaten und nicht-kommerziellen „Internet Corporation for Assigend Names and Numbers“ (ICANN) zu übertragen. Bis Ende 2000 sollte dieser Transformationsprozess abgeschlossen sein.
Daraus wurde aber nichts. Die im Jahr 2001 ins Amt gekommene Bush-Administration unternahm nichts, um ihre Oberaufsicht über das Internet zu reduzieren oder gar zu delegieren. In dem Maße jedoch, wie sich das Internet immer weiter ausbreitete und die Zahl der Internetnutzer weltweit die Milliardengrenze überstieg, geriet das historisch gewachsene und etablierte System von „Internet Governance“ zunehmend in die Kritik. Im Rahmen des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS), dessen Vorbereitung 2001 begann, forderte zunächst vor allem die Regierung der Volksrepublik China, später auch die Regierungen von Brasilien, Südafrika, Indien, Iran, Pakistan, Saudi-Arabien und andere aufstrebenden „Internet-Mächten“ die Verwaltung des Internet den Vereinten Nationen zu unterstellen und den Regierungen ein größeres Mitsprache-, Entscheidungs- und Kontrollrecht einzuräumen.
Die US-Regierung, ICANN und die Mehrheit der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft reagierten auf eine solche drohende „Verstaatlichung des Internet“ mit dem Argument, dass ein Herumbasteln am Internet das Risiko in sich trage, die Stabilität und Sicherheit des Netzes zu gefährden und die Möglichkeiten für Innovation und Kreativität für die Weiterentwicklung des Netzes zu verbauen. „If it isn´t broken, don´t fix it“, argumentierte Vint Cerf, einer der Väter des Internet und Vorsitzender des ICANN-Direktoriums.
Um auszuloten, ob und wie der Gegensatz zwischen „private sector leadership“ und „governmental leadership“ gestaltbar ist, bat der erste Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (Genf, Dezember 2003) UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Working Group on Internet Gonvernance (WGIG) einzusetzen, die zunächst erst einmal definieren sollte, was denn „Internet Governance“ überhaupt sei, welche damit verbundenen politischen Probleme tatsächlich einer Neuregelung bedürfen und was die spezifische Rolle der involvierten „Stakeholder“ - Regierungen, Privatwirtschaft, Zivilgesellschaft – im Einzelnen ist.
Der im Juli 2005 vorgelegte WGIG-Bericht gab auf all diese Fragen Antworten Grauer Rauch über Chateau de Bossey, kalte Schulter in Washington?). Die WGIG-Mitglieder konnten sich jedoch nicht darauf einigen, wie zukünftig die Internet-Aufsicht modelliert werden sollte. WGIG stellte vier Modelle zur Diskussion und schlug vor, einen multidisziplinären Diskussionsraum zu schaffen, in dem alle beteiligten Stakeholder in Ruhe und ohne politischen Druck über die neuen Herausforderungen diskutieren können. Eine bessere Kommunikation zwischen allen Beteiligten, so die WGIG, könnte mittelfristig den Weg bahnen zu einer verbesserten Kooperation und dann auch, sofern überhaupt nötig, zu neuen Aufsichtsmodellen.
Dieser Vorschlag bahnte den Weg zu dem Internet Governance-Kompromiss auf dem 2. Weltgipfel zur Informationsgesellschaft in Tunis im November 2005 (Internet Governance 2005: The Deal is Done). Dort hatte es zwar noch ein letztes Gefecht gegeben zwischen Europäern und Amerikanern, ob nicht doch bereits schon 2005 ein neues Kooperationsmodell eingeführt werden sollte. Das von der EU vorgeschlagene Modell einer „Public-Private-Partnership“, bei dem der Privatsektor die Verantwortung für das mehr technische Management und die Regierung die Verantwortung für die politischen Implikationen erhalten sollte, scheiterte aber nicht zuletzt daran, weil niemand genau sagen konnte, wo die Grenzlinie zwischen dem Verwalten der technischen Ressourcen und der darauf aufgesetzten Politik verläuft.
Mehr Zeit für Diskussionen
Insofern war der Kompromiss, anstelle ein neues Kooperationsmodell zu etablieren, einen Prozess unter dem Namen „erweitere Kooperation“ (enhanced cooperation) zu starten an dessen Ende vielleicht (oder auch nicht) ein neues Kooperationsmodell steht, ein weiser Beschluss. Das gleichzeitig geschaffene Internet Governance Forum (IGF) erhielt dabei ein breites Mandat das weit über die Klärung der Fragen wie Root Server gemanagt, IP-Adressen zugeordnet und neue Top Level Domains geschaffen werden sollen, hinausgeht.
Am 30. Oktober 2006 startet nun in Athen das 1. IGF. Waren zunächst viel skeptisch, ob ein solch neues Diskussionsforum auch angenommen wird, so zeichnet sich ab, dass das IGF offensichtlich tatsächlich den Nerv der verschiedenen Stakeholder trifft. Zehn Tage vor dem Forum haben sich bereits fast 1.600 Teilnehmer angemeldet, mit 500 hatten Optimisten gerechnet.
Das ursprüngliche Reizthema – Kontrolle der Internet-Kernressourcen – steht bewusst nicht im Mittelpunkt der Tagung. Da sich an der politischen Kräftekonstellation auf der globalen Bühne seit dem Tunis-Gipfel zunächst wenig geändert hast, wäre eine solche Diskussion auch ziemlich fruchtlos und eine Zweitverschwendung, da sie nur wieder die gleiche Patt-Situation von 2005 herbeiführen würde. Immerhin hat die US-Regierung jüngst das ausgelaufene Memorandum of Understanding (MoU) mit ICANN durch ein „Joint Project Agreement“ (JPA) ersetzt, bei dem ICANN zwar nicht von der Leine gelassen wurde, aber einen größeren Spielraum und eine erweiterte Unabhängigkeit bekam. Noch ist es aber zu früh um ausloten zu können, wie die neuen Prinzipien - ICANN ist z.B. jetzt nicht mehr gegenüber dem US-Handelsministerium berichtspflichtig, sondern ist zu jährlichen Konsultationen mit diesem verpflichtet - in der Praxis funktionieren.
Das IGF unter Leitung seines Vorsitzenden, des indische Diplomaten und ehemaligen stellvertretenden UN-Generalsekretärs Nitin Desai, hat sich bewusst dafür entscheiden, zunächst einmal die weniger kontroversen Themen in den Mittelpunkt der Diskussion zu rücken, auch um neues Vertrauen zwischen den Betroffenen und Beteiligten zu erzeugen. Das Generalthema des IGF ist „Internet Governance für Entwicklung“. Im Einzelnen sollen auf vier Plenarsitzungen die Querschnittsthemen „Zugang“, „Offenheit“, „Vielfalt“ und „Sicherheit“ besprochen werden. Dazu gibt es eine Serie von zwei Dutzend Workshops und einen „Plaza“ genannten Kommunikationsbasar der einen Multistakeholder-Dialog befördern soll.
Dass das Thema der Internet-Aufsicht aber in Athen überhaupt nicht zur Sprache kommt, ist eher unwahrscheinlich. Das am Vorabend des IGF in Athen stattfindende erste akademische Symposium der neuen Plattform der Internetforscher GIGANET (Global Internet Governance Academic Network) wird sich dem Thema ebenso zuwenden wie einige der im IGF-Beiprogramm geplanten Workshops.
Immerhin sieht das JPA zwischen der US-Regierung und ICANN vor, das ICANN sich zum „Modell“ einer „Multistakeholder Internet Organisation“ entwickeln soll. Was dies konkret heißen soll, ist nirgendwo beschrieben und noch sehr vage. Insofern ist das IGF ein guter Moment, vor einer neuen Runde politischer Streitereien eine seriöse akademische Diskussion über das Pro und Kontra zukünftiger Entwicklungsoptionen zu führen.
Das betrifft auch die Frage der Aufsicht über den Internet Root, d.h. der Autorisierung der Publikation von TLD-Zone-Files im „Hidden Server“ des Internet Root Server-Systems. Diese Frage ist in einem zweiten Vertrag zwischen ICANN und dem US-Handelsministerium geregelt, der gleichfalls im September dieses Jahres auslief und bereits Ende August 2006 nahezu unverändert verlängert wurde - und zwar bis ins Jahr 2012. Die US-Regierung begründet diesen Vertrag mit ihrer Verantwortung für die Sicherheit und Stabilität des Internet. Sie verweist auch auf ihr Bekenntnis, die Souveränität anderer Regierungen über ihren nationalen Namensraum zu achten, um Befürchtungen zu zerstreuen, sie könnte ihre Internet-Aufsicht zum Nachteil anderer Länder missbrauchen. Aber auch hier weiß keiner so genau, was die mittel- und langfristigen Konsequenzen eines solchen Prozedere sind und ob es nicht doch alternative Optionen gibt, die eine US Aufsicht überflüssig macht, ohne die Stabilität und Sicherheit des Internet zu gefährden.
Diskussionsstoff ist also reichlich vorhanden. Dabei muss man jedoch aber auch erkennen, dass die hitzige Debatte über die Kontrolle von Internet-Namen und -Nummern schon lange nicht mehr die Nummer 1 der kontroversen Internetthemen ist. Die Gefahr einer „Balkanisierung des Internet“, die Rolle von Google oder die Perspektiven von Innovationen, die auf der Produktion von Internetinhalten durch Internetnutzer basieren – von Facebook.com über YouTube bis zu MySpace – sind jedenfalls momentan heißere Themen als neue TLDs oder internationalisierte Domains.
Die kommenden Internet Governance Foren – 2007 in Rio de Janeiro, 2008 in New Delhi und 2009 in Kairo – brauchen sich also keine Sorgen um Substanz für eine Tagesordnung zu machen. Ob der Dialog dann bis zum Jahr 2010 zu neuen Erkenntnissen geführt hat, die auch die Einigung über neue Kooperations- und Aufsichtsmodelle auf globaler Ebene einschließen, wird man sehen. Vielleicht hat sich bis dahin aber auch das Thema erledigt und wir müssen uns mit ganz anderen Herausforderungen im grenzenlosen Cyberspace herumgeschlagen.
Prof. Wolfgang Kleinwächter von der Universität Aarhus ist „Special Adviser“ des Vorsitzenden des IGF, Nitin Desai. Der Artikel spiegelt seine persönlichen Ansichten wider.