Irak vor dem Bürgerkrieg?

Die schiitische Regierung kämpft gegen sunnitische Aufständische und Islamisten, der Krieg in Syrien bezieht den Irak ein und plötzlich scheinen die USA und Iran einen gemeinsamen Feind zu haben

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Im Irak haben die USA mit der Koalition der Willigen einen Scherbenhaufen hinterlassen. Kurz vor den bevorstehenden Wahlen kommen die Konflikte, die bereits kurz nach dem Sturz des Hussein-Regimes durch die Benachteiligung der sunnitischen Bevölkerung zur Ausbreitung von al-Qaida und einem Terrorkrieg zwischen Sunniten und Schiiten führten, erneut zum Ausbruch. Um das Land zu befrieden und irgendwie als Demokratie zu etablieren, wurde der vorwiegend sunnitische Widerstand wie etwa in Falludscha mit allen Mitteln unterdrückt, es wurden lokale Milizen gebildet und bezahlt und Übergriffe der schiitisch dominierten Regierung unter dem Regierungschef al-Maliki nach der ersten Wahl 2006 geduldet. Es ging darum, einen Ausstieg zu ermöglichen und gleichzeitig die Schiiten nicht weiter in Richtung Iran zu drängen, der zudem über den Irak das Assad-Regime mit Waffen unterstützt.

Um möglichst schnell aus dem Irak abziehen zu können, hat die US-Regierung jedenfalls nicht genügend Druck ausgeübt, als al-Maliki bei der zweiten Wahl 2010 keine Mehrheit erhielt, sich aber weiter an die Macht klammerte. Zwar wurde zwischenzeitlich eine Einheitsregierung mit der vor allem sunnitisch geprägten Opposition unter der Führung von Ayad Allawi gebildet, aber das war eher eine Farce, immer wieder wurde Maliki vorgeworfen, diktatorisch zu handeln, und boykottierten die Abgeordneten der Allawi-Koalition das Parlament. Da Maliki den Amerikanern keine Immunität zusichern wollte oder konnte, zogen die letzten US-Soldaten Ende 2011 aus dem Irak ab - mit der Folge, dass seitdem die Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten wieder aufflammten, 2013 gab es wieder so viele zivile Opfer von Kämpfen wie 2008.

Nun will Maliki zum dritten Mal antreten, während sich die Sunniten, die einst unter Hussein privilegiert waren, als diskriminiert betrachten und vor allem das schiitisch dominierte Militär ablehnen. Dem gerade erfolgten Aufstand, den die bewaffneten Verbände der Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) zu Angriffen auf Städte und zur Einnahmen von Falludscha und Ramadi ausnutzen konnten, immerhin Städte mit mehreren hunderttausend Einwohnern (Falludscha erneut in den Händen von sunnitischen Extremisten), ging die Festnahme eines sunnitischen Politikers und die Räumung eines Protestcamps bei Ramadi durch die Polizei am vergangenen Montag vorher. Dort hatten Sunniten seit einem Jahr gegen die Regierung und die von ihr und den Sicherheitskräften ausgehende Diskriminierung protestiert. Nach einigen Anschlägen der ISIS erklärte Maliki das Protestcamp als Terroristenzentrum und ließ es stürmen. Dabei gab es mehrere Tote.

Wie vorauszusehen, goss die Aktion nur Öl ins Feuer. Die Regierung zog die Truppen, um die Lage zu beruhigen, zurück, was aber sunnitischen Kämpfern und der ISIS die Möglichkeit eröffnete, in die Städte einzudringen, wo sie teilweise von der sunnitischen Bevölkerung im Kampf gegen die Sicherheitskräfte der Regierung geduldet oder unterstützt wurden. Gut möglich, dass ISIS, die derzeit in Syrien von anderen Oppositionsgruppen und auch von der al-Qaida nahen al-Nusra-Front bekämpft werden und unter Druck geraten, sich stärker auf den Irak konzentrieren.

Während Maliki die Bewohner von Falludscha aufforderte, die ISIS-Kämpfer aus der Stadt zu vertreiben, drohte er gleichzeitig mit einem Angriff auf die Stadt, die bereits 2004 der Ort einer der blutigsten Schlachten im Irak-Krieg gewesen war. Angeblich wurde die Stadt bereits vom Militär mit Panzern und schweren Waffen umstellt. Ein erneuter Angriff seitens der schiitisch dominierten Armee wäre vermutlich das Fanal für einen Bürgerkrieg. Während viele Einwohner fliehen, haben die irakischen Truppen damit begonnen, Ziele in der Provinz Anbar, wo an vielen Orten gekämpft wird, aus der Luft anzugreifen. Al-Qaida rief, so meldet al-Arabyia, die sunnitischen Kämpfer auf, weiter die Regierungstruppen zu bekämpfen. Es gehe um Kampf oder Versklavung.

USA und Iran vereint gegen gemeinsamen Gegner?

Schnell hatte sich die US-Regierung angesichts der Erfolge der ISIS-Verbände, die aber sicher auch durch andere sunnitische Kämpfer und Unterstützer ermöglicht wurden, hinter Maliki gestellt und der irakischen Armee die Lieferung von Hellfire-Raketen und Überwachungsdrohnen zugesagt, gestern hieße es, es würden noch mehr Waffen und schneller kommen. Das dürfte aber bei den aktuellen Kämpfen nicht viel bedeuten. Zudem ist eigentlich klar, dass mehr Waffen für die irakische Regierung den Konflikt nicht lösen, sondern eher vertiefen wird, da die Maliki-Regierung nicht an einer nationalen Versöhnung interessiert ist.

Der Schritt der US-Regierung kam wohl auch deshalb so schnell, weil die USA in Syrien zu lange gezögert hatten, wodurch die islamistischen Gruppen erstarkt waren, und weil vor allem auch der Iran angekündigt hat, die schiitische Regierung gegen die sunnitischen Terroristen zu unterstützen. Während die USA weiter mit Iran über das Nuklearprogramm verhandeln und das Land nicht zu den syrischen Friedensgesprächen eingeladen wurde, scheinen sie nun einem gemeinsamen Feind gegenüberzustehen, wie die New York Times hervorhebt: einer "Internationalen Bewegung sunnitischer junger Kämpfer, die mit ihren Pickups und Kalaschnikows die schwarze Flagge an den religiösen Bruchlinien in Syrien, im Libanon, im Iran, in Afghanistan und im Jemen hissen".

Bislang war die US-Regierung zögerlich, der schiitischen Regierung Kampfflugzeuge und -Hubschrauber zu geben, geschweige denn Kampfdrohnen. Sie würden der irakischen Regierung eben jene Überlegenheit verschaffen, die die US-Armee im asymmetrischen Krieg erlangt hat. Zu Recht wurde befürchtet, dass diese nicht nur gegen Terroristen, sondern auch gegen die Opposition eingesetzt werden könnten. Vor drei Jahren wurden bereits F-16-Kampfjets von der irakischen Regierung bestellt, aber noch nicht von den USA geliefert. Auch die Apache-Kampfhubschrauber, die man wollte, hält die US-Regierung zurück. Möglicherweise könnte sich dies nun ändern.

Wie schon in Syrien werden die USA allerdings mit der Annäherung an den Iran mit Konflikten mit den verbündeten sunnitischen Golfstaaten und vor allem mit Saudi-Arabien rechnen müssen, das in scharfer regionaler Konkurrenz zu Iran steht, das wiederum seine Verbündeten im Irak und in Syrien in Gefahr sieht und womöglich Afghanistan fürchtet, wenn die Taliban nach dem Abzug der Nato-Staaten stärker werden sollten. Iranische Medien zeigen denn auch auf Saudi-Arabien als Unterstützer der ISIL, veröffentlichen aber auch Kommentare, nach denen die USA al-Qaida benutzt, um den Irak und Syrien zu destabilisieren. Die Region bleibt ein Pulverfass, nachdem auch wenig Aussicht besteht, dass die Bemühungen der USA im israelisch- palästinensischen Konflikt wirklich erfolgreich sein werden. Maliki hat sich inzwischen auch an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewandt. Die irakische Regierung kämpfe "für die ganze Welt" gegen den Terrorismus. Der Sicherheitsrat soll die Regierung in diesem Kampf unterstützen und alle Länder warnen, die den Terriorismus unterstützen.