Falludscha erneut in den Händen von sunnitischen Extremisten
Syrisch-irakische al-Qaida-Gruppe kämpft um Kontrolle von Städten in der Provinz Anbar, Erinnerungen an die Stadtkämpfe 2004 stellen sich ein
Kämpfer der al-Qaida nahestehenden Gruppe Islamischer Staat im Irak und al-Sham (ISIS) sollen die Stadt Falludscha in Provinz Anbar weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht haben. Nach Berichten haben Polizei und Militär, das zuvor Teile der Stadt mit Granaten beschossen hat, Falludscha verlassen, 75 Soldaten sollen von ISIL in Gefangenschaft genommen worden sein. Es soll aber andere sunnitische Stammesmilizen geben, die weiterhin ISIS bekämpfen und einige Stadtteile kontrollieren, zuvor sollen sie allerdings auch gegen das irakische Militär gekämpft haben, um es aus der Stadt zu verjagen. Andere Medien sprechen sagen, ISIS habe die gesamte Stadt eingenommen oder hätten proklamiert, dass Falludscha zum islamischen Staat geworden sei. Viele Einwohner sollen vor den Kämpfen geflohen sein.
In Ramadi wurden die ISIS-Kämpfer angeblich von den Milizen und dem Militär wieder vertrieben, auch in Bagdad und anderen Städten ist es während der letzten Tagen zu Kämpfen zwischen Armee und sunnitischen Kämpfern gekommen. Gestern erklärte der irakische Premierminister al-Maliki ausgerechnet zum Jahrestag des Abzugs der amerikanischen Soldaten aus dem Irak, ISIS werde von einem Golfstaat unterstützt und wolle demnächst in der Provinz Anbar einen Staat errichten. Das habe man von einem Gefangenen erfahren.
Al-Maliki kündigte an, alle Terrorgruppen in der Provinz Anbar zu eliminieren. Im Irak stehen im April die Wahlen an, bei denen al-Maliki noch einmal wiedergewählt werden will, derzeit ist nicht vorstellbar, wie sie durchgeführt werden können.
Seit dem Rückzug der US-Soldaten aus dem Irak sind die Kämpfe zwischen der schiitisch dominierten Regierung und sunnitischen Aufständischen/Extremisten wieder verstärkt aufgeflammt. Fast täglich kommt es zu Anschlägen, letztes Jahr kamen bei Kämpfen und Anschlägen wieder mehr als 8000 Menschen um, jetzt nimmt der Kampf mit der offenen Besetzung einer Stadt eine Dimension an, wie es sie nach Beginn der Irak-Kriegs bereits gegeben hatte. Die Frage ist weiterhin, ob im Irak, beeinflusst durch die Kämpfe in Syrien, ein offener Bürgerkrieg ausbricht und die sunnitischen, aber auch die kurdischen Gebiete sich aus dem Staat lösen.
ISIS ist im letzten April durch den Zusammenschluss mehrerer irakischer und syrischer Gruppen entstanden, die neben ihrer al-Qaida-Ideologie vor allem durch den extremen Hass auf Schiiten geprägt sind. Da die ISIS-Gruppen nicht lokal sind, sondern ihre Kämpfer aus vielen muslimischen Ländern kommen, werden sie von lokalen Stämmen nicht nur wegen ihrer islamistischen Ideologie abgelehnt, sondern auch, weil sie Fremde sind. Sie haben mehrere Camps in den sunnitischen Gebieten Iraks aufgebaut und kontrollieren einige Dörfer und Städte, was auch deswegen möglich ist, weil die irakische Armee nicht über eine wirkliche Luftwaffe verfügt und keine Kampf- und Überwachungsdrohnen besitzt.
Angeblich haben irakische Sicherheitskräfte Anfang des Jahres den mutmaßlichen ISIS-Anführer Shaker Waheeb getötet. Er wurde durch ein Video bekannt, auf dem er mit einer Gruppe von Bewaffneten einen Konvoi von Lastwagen kontrolliert, die Fahrer nach ihrer Religion fragte und drei deswegen erschoss.
Auch in Syrien sind ISIL-Kämpfer wegen ihrer Grausamkeit berüchtigt, weswegen sich die Bevölkerung sich zunehmend gegen sie wendet. Nach schweren Kämpfen haben andere sunnitische Kampfverbände wie die Islamische Front, aber auch Gruppen, die zur Freien Syrischen Armee gehören, ISIL ein Ultimatum gestellt, sich zu unterwerfen.
Obgleich der 2006 bei ersten Wahlen an die Macht gekommene schiitische Regierungschef al-Maliki kaum einen demokratischen Regierungsstil pflegt, alle Machtpositionen mit Schiiten besetzt hat und scharf gegen Kritiker vorgeht, halten die USA ihm weiterhin die Treue. Um seine Position im Kampf gegen die sunnitischen Extremisten zu stärken, haben die USA, wie im Dezember Medien berichteten, einige Hellfire-Raketen geliefert, im März sollen 10 ScanEagle- Überwachungsdrohnen folgen. Die US-Regierung war sogar bereit, von US-Soldaten gesteuerte Kampfdrohnen in den Irak zu schicken, sich so direkt von den USA unterstützten zu lassen, wollte al-Maliki aber nicht. Die Hellfire-Raketen können von kleinen Flugzeugen abgefeuert werden, angeblich liefert die CIA die Zieldaten. Geliefert wurden bereits 3 Aerostat-Ballons und 3 Aufklärungshubschrauber. Dieses Jahr sollen noch 48 Raven-Drohnen und die ersten F-16-Kampfflugzeuge an den Irak geliefert warden..
Die Geschichte scheint wiederzukehren
Nach dem Einmarsch der Amerikaner und der Koalition der Willigen in den Irak, denen die Regierung einen billigen Krieg und große Profite in Aussicht gestellt hatte, fiel zwar das Hussein-Regime schnell zusammen, aber es kam kurz darauf zu einem langen und blutigen asymmetrischen Krieg. Nachdem die Klammer der brutalen Macht Husseins zerfallen war, begannen die Kämpfe zwischen Sunniten, die unter Hussein dominierten, und Kurden sowie den Schiiten, die die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Sowohl Kurden als auch Schiiten hatten schon unter Hussein die Rückendeckung der Amerikaner, was auch so blieb. Zwar gab es auch bei den Schiiten bald Widerstand gegen die Besatzer und wuchs die Distanz im Zuge der Annäherung an den Iran, aber sunnitische Extremisten, verstärkt durch al-Qaida, die nach 9/11 und den Afghanistankrieg viele Anhänger fanden, trieben den Widerstand am stärksten und brutalsten voran.
Anfang 2004 wurde die verfahrene Lage erstmals deutlich, nachdem US-Söldner in Falludscha von Aufständischen getötet und im Triumphzug durch die Stadt geschleift wurden (Triumph der Grausamkeit), eine Erinnerung an Somalia. Dadurch wurde aber klar, wie stark das Pentagon auf Söldner setzt (Die globale Konjunktur der Söldnertruppen). Im Laufe des Jahres fielen mehrere Städte in die Hände sunnitischer Aufständischer und es begann der Städtekampf, bei dem das Pentagon neue Methoden zu Bekämpfung einsetzte (Die Stadt im Krieg).
Der Aufstand gipfelte in der Übernahme Falludschas durch die Aufständischen (Nach den Amerikanern kommen die Islamisten). Die Stadt wurde - wie andere auch - durch einen Wall vollständig eingeschlossen. Die Bevölkerung wurde schließlich aufgefordert, die Stadt zu verlassen. 250.000 sollen dem Folge geleistet zu haben. Anschließend wurde Falludscha, wo sich aber auch noch Zivilbevölkerung aufhielt, bombardiert und die verbliebenen Aufständischen in einem blutigen Kampf von Spezialeinheiten getötet. Das brutale Vorgehend des US-Militärs hat weit verbreitet Kritik hervorgerufen, die Stadt war weitgehend ein Trümmerfeld (Falludscha: das amerikanische Grosny, Die Niederlage von Falludscha).
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