Iran-Sanktionen: Gegen ein "Regime mit dem Rücken an der Wand"?

Hohe Militärs bei einem Treffen mit Ayatollah Khamenei. Foto: Khamenei.ir / CC BY 4.0

Die US-Sanktionen haben in der Region weitreichende Folgen. Vertreter der Trump-Regierung hoffen nun auf einen Regimewechsel. Dabei setzen sie ausgerechnet auf die umstrittenen Volksmudschahedin

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Es ist brutal heiß um Basra herum, doch während draußen vor der Stadt gigantische Ölförderanlagen die Landschaft bestimmen, und im einzigen irakischen Tiefseehafen die Containerschiffe festgemacht haben, bleiben in den Häusern die Klimaanlagen, die Kühlschränke, Herde, Fernseher und Lichter oft aus und sorgen damit für eine brandgefährliche Stimmung in der Bevölkerung.

Strom wird in Iran gekauft

Denn Jahre lang hat die Regierung in Bagdad den Strom für die Region bei Versorgungsunternehmen im nahe gelegenen Iran eingekauft, bezahlt mit amerikanischen Finanzhilfen, die eigentlich für den Ausbau der Infrastruktur im Irak gedacht waren. Tatsächlich weisen die Staatshaushalte für die Jahre seit 2003, so sie verfügbar sind, Ausgaben für den Aufbau und Erhalt der Stromversorgung von umgerechnet fast 35 Milliarden Euro aus.

Nur, wer sich im Irak umsieht, sieht vieles, aber fast alles am falschen Ort: Elektrizitätswerke mitten in den Wüste, Straßen, die ins nirgendwo führen, Brücken, die kaum ein Mensch je benutzt und selten nur eine Stromleitung, die nicht Jahrzehnte alt ist. Grund dafür ist das auf den ersten Blick zwar schlüssige, aber im Anbetracht der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen extrem komplizierte Regierungssystem.

Vertrackte Regierungsbildung

Zunächst wird das Parlament gewählt, das stets sehr zersplittert ist. Und das Parlament wählt dann den Präsidenten, der wiederum einen Abgeordneten der stärksten Parlamentsfraktion damit beauftragt, eine Regierung zu bilden. Da nie eine Partei auch nur annähernd eine Mehrheit von 165 der 329 Parlamentssitze erreicht, gleicht die Regierungsbildung einem Basar.

Lange Zeit konnte man all‘ dies übersehen, und auch in Washington, wo man den irakischen Staatshaushalt Jahr für Jahr kräftig aufstockt, sah man gerne weg: Der Kampf gegen den "Islamischen Staat" überschattete so gut wie alles, und der Strom kam aus dem Iran in die Steckdosen in und um Basra herum.

Ein "schlechter Deal"?

Doch dann gab US-Präsident Donald Trump im Mai bekannt, dass er den "schlechtesten Deal aller Zeiten" aufkündigen wird. Dass er dem Kongress dieses Mal nicht, wie durch das US-Gesetz 114-17 in Drei-Monats-Abständen vorgeschrieben, bestätigen wird, dass sich der Iran an das Abkommen hält. Konsequenz: Weitere 90 Tage später, also am vergangenen Dienstag, den 7. August um 0:00 Uhr Washingtoner Zeit, traten damit erste US-Sanktionen gegen den Iran in Kraft; in noch einmal 90 Tagen werden weitere folgen.

Ist der Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) über den die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Europäische Union, China und Russland Jahre lang mit der iranischen Führung verhandelt hatten, tatsächlich ein "schlechter Deal"? Wie die Frage, die sich im Zusammenhang mit diesem Thema stellt, liegt die Antwort im Auge des Betrachters, wird von dessen Standort und Blickfeld mit beantwortet.

Netanjahus Show ...

Zunächst einmal sind alle anderen Unterzeichner sowie die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) der Ansicht, dass der Iran seine Verpflichtungen aus dem Abkommen einhält. Trump indes scheint seine Entscheidung unter dem Eindruck einer Pressekonferenz getroffen zu haben, in deren Verlauf Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im April dem Iran vorwarf, während der Atom-Verhandlungen über den Umfang seines Nuklearprogramms gelogen zu haben, und dies mit nach seiner Aussage vom Auslandsgeheimdienst Mossad aus dem Iran beschafften Unterlagen zu belegen versuchte (vgl. Netanjahu setzt zur Eskalation auf Bilder: "Iran lügt").

Die Bedeutung dieser Unterlagen ist auch in Israel umstritten: Während Netanjahu selbst ein entschiedener Gegner des Abkommens ist, sehen dies viele Vertreter der israelischen Sicherheitsdienste anders: Das Abkommen habe Mängel, aber auch positive Effekte gehabt, sagte Tamir Pardo, Mossad-Chef von 2011 bis 2016 im Mai: "Der Iran hat begonnen, gegen den 'Islamischen Staat' vorzugehen."

Die Löcher des Abkommens hätte man besser in Nachverhandlungen gestopft. Und Sima Schein, ebenfalls ehemals eine hochrangige Mossad-Mitarbeiterin, erklärte damals knapp: "Jeder lügt, wir auch."

... und Israels Ängste

Und all‘ diese Äußerungen muss man im Kontext mit dem JCPOA sehen: Vor allem in Israel sehen die Menschen die Fernsehbilder von Menschenmassen in Teheran, die zum jährlichen al-Quds-Tag, Parolen gegen Israel skandieren, und man hat das verbale Wüten des einstigen Präsidenten Ahmadinedschad noch vor sich.

Man hat gehört, dass der Iran die Hamas, die Hisbollah unterstützt und erinnert sich an die Raketen, die 2006 im Norden Israels, 2013 im Süden des Landes, herabkamen. Man stellt sich nahezu zwangsläufig die Frage, was wäre, wenn der Iran die Bombe hätte und kommt ebenso zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass unbedingt verhindert werden muss, dass der Iran die Bombe bekommt.

Wenn man unter der Prämisse des iranisch-israelischen Konflikts hingeht und den JCPOA liest, dann lautet die Antwort ebenso zwangsläufig: Nein, dieses Abkommen ist keine Garantie dafür, dass der Iran nie eine Atombombe bauen wird, selbst wenn sich alle bis aufs Komma daranhalten. Denn das steht nun einmal nicht im Abkommen drin.

Der Streit um die Bombe: Nur ein kleiner Teil eines großen Gefüges

Doch der Streit um die Bombe ist nur ein kleines Teil in einem sehr umfangreichen Gefüge: Es geht um die Unterstützung von paramilitärischen Organisation wie der Hamas, dem Islamischen Dschihad, der Hisbollah, den Huthi im Jemen und des syrischen Militärs durch die iranischen Revolutionsgarden. Es geht um die regionale Vorherrschaft und um Einfluss in den Staaten der Region.

Trumps Ankündigung hat eine Welle von Ereignissen in Gang gesetzt, die sich oft an Orten abspielen, die man auf den ersten Blick weder mit dem Iran noch mit dem Atom-Abkommen in Verbindung bringen würde.

Denn im Team Trump beschränkte man sich nicht allein darauf, einfach nur dem Kongress nicht die geforderte Bestätigung zukommen und damit die Sanktionen wieder aufleben zu lassen. Man schickte Emissäre los, um der Welt eine deutliche Botschaft zu verkünden: Öffentlich forderte Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, deutsche Unternehmen müssten ihre Geschäfte mit dem Iran einstellen, die Bundesregierung habe einen 300 Millionen-Euro-Bargeld-Transfer in den Iran zu unterbinden.

Den Regierungen der arabischen Welt ließ man mitteilen, dass sämtliche Handelsbeziehungen umgehend einzustellen seien. Beispiel Irak: Kurz nachdem die Nachricht aus Washington eingetroffen war, bezahlte die Regierung in Bagdad dem iranischen Versorger die Stromrechnung nicht.

Der stellte daraufhin den Strom ab, und nachdem das Energieministerium es nicht schaffte, innerhalb kurzer Zeit eine Lösung zu finden, obwohl Regierungschef Haider al Abadi kurzfristig drei Milliarden US-Dollar freigeschaufelt hatte, gingen die Menschen in der Region, in der nach Abzug ausländischer Finanzhilfen 80 Prozent des irakischen Staatsbudgets erwirtschaftet werden, zu Tausenden auf die Straße.

Antwort der Regierung: Der Iran nutze die Stromlieferungen, um den Irak zu destabilisieren und damit Druck auf die USA auszuüben. Außerdem schickte man Sondereinsatzkommandos von Polizei und Militär in die Region.

Das Problem Saudi-Arabien

Aber damit endet dieser Teil der Geschichte rund um das Atom-Abkommen noch nicht: Aus Sicht Trumps liegt die Lösung ganz klar auf der Hand; sein Allheilmittel lautet Saudi-Arabien. Man solle den Süd-Irak doch einfach ans saudische Stromnetz anschließen, schlägt man im Weißen Haus vor und hat auch gleich ausgehandelt, dass Saudi-Arabien im Irak "innerhalb eines Jahres" ein Sonnenkraftwerk baut und den Strom für wenig Geld an den Irak verkaufen soll.

Doch während man im Weißen Haus einen verstärkten Einfluss Saudi-Arabiens in der Region für eine gute Lösung hält, um den iranischen Einfluss einzudämmen, denken viele in der Region und vor allem im Irak darüber anders: Viele geben der saudischen Führung die Schuld für den Aufstieg des "Islamischen Staats", dafür, dass die Organisation in einem großen Teil des Landes ein Terror-Regime errichten konnte.

Man befürchtet, dass die saudische Regierung wirtschaftlichen Einfluss dazu nutzen könnte, für die eigenen erzkonservativen Werte, für das eigene System zu werben. Diese Gefühlslage hat auch nicht zwangsläufig mit den unterschiedlichen Auffassungen und Erwartungen von Schiiten und Sunniten zu tun; auch viele sunnitische Iraker haben für das "Konzept Saudi-Arabien" nichts übrig.

In Ägypten, wo Sunniten die Mehrheit stellen, gab es Massenproteste, als die Regierung bekannt gab, die beiden unbewohnten Inseln Tiran und Sanafir im Roten Meer an Saudi-Arabien übergeben zu wollen. Es sei der erste Schritt, aus Ägypten einen "Gottesstaat" zu machen, hieß es in einer Klageschrift vor dem Obersten Gerichtshof in Kairo, die im Frühjahr 2017 eingereicht wurde. Saudi-Arabien will über die Inseln eine Autobahnbrücke nach Ägypten bauen, sie zum Teil eines "Neom" genannten Stadtbau-Projektes machen.

Im Irak führte das offene Werben der US-Regierung für eine Annäherung an Saudi-Arabien dazu, dass viele Wähler das Gegenteil taten: Die Saairun-Partei des Iran-nahen schiitischen Klerikers Moktada al-Sadr wurde, zwar weit von einer Mehrheit entfernt, stärkste Kraft, gefolgt von der Fatah-Allianz, nicht verwandt oder verschwägert mit der palästinensischen Fatah, von Hadi al- Amiri, der im Iran-Irak-Krieg in den 1980er Jahren auf Seiten des Iran kämpfte.

Zwar kann al-Sadr selbst nicht mit der Regierungsbildung beauftragt werden, weil er nicht für das Parlament kandidierte. Doch eine von den Sadristen und der Fatah gebildete Regierung aus Technokraten will Washington unter allem Umständen verhindern.

Pro-iranische Kräfte dürften im Irak keinesfalls an die Macht kommen, teilte der US-Sondergesandte für den Kampf gegen den "Islamischen Staat", Brett McGurk, der irakischen Übergangsregierung Anfang August mit; das Weiße Haus erwarte, dass ein pro-westlicher Abgeordneter mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Problem: Dazu müsste die irakische Verfassung gebrochen werden. Und das ist unwahrscheinlich.

So lässt sich der Atomstreit längst nicht mehr auf den Konflikt zwischen Israel und dem Iran beschränken; man muss den Streit zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, der schon seit Jahrzehnten schwelt, hinzunehmen: Mit Verve beansprucht der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman, der de facto das Königreich regiert, die regionale Führungsrolle für sich, und Donald Trump hilft ihm dabei.

Der Kampf gegen den Iran muss auch als Begründung herhalten, wenn es zunächst einmal gar nicht um den Iran geht: im Jemen, zum Beispiel. Dort kämpfen, sehr grob und lückenhaft zusammengefasst, Truppen der international anerkannten Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansur al-Hadi gegen die schiitischen Huthi-Milizen, die große Teile rund um die Hauptstadt Sana‘a kontrollieren.

Vor allem Saudi-Arabien und die US-Regierung werfen den iranischen Revolutionsgarden vor, die Huthi mit Geld und Waffen zu unterstützen; die iranische Führung räumt das auch indirekt ein. In Saudi-Arabien nutzt man dies indes als Steilvorlage, um die Bombardements von Zielen in Huthi-kontrollierten Gebieten zu rechtfertigen.

"Es geht hier auch darum, den iranischen Terror einzudämmen", sagt Oberst Turki al-Malki, Sprecher des saudischen Verteidigungsministeriums und malt ein Bild von iranischen Revolutionsgarden, die direkt am Roten Meer Position bezogen haben, dazu bereit jederzeit auf alles zu feuern, was sich da draußen im Bab al-Mandab bewegt, der Meerenge zwischen Indischem Ozean und Rotem Meer.

Die Drohung der Schließung der Straße von Hormuz und des Bab al-Mandab

Durch dieses Nadelöhr muss der gesamte Schiffverkehr auf dem Weg zum Suez-Kanal oder in den israelischen Hafen Eilat. Al-Malki lässt keinen Zweifel daran, dass es die Saudis gerne selbst wären, die die Gegend kontrollieren, natürlich "um die Weltwirtschaft zu schützen" und natürlich nur um die "legitime Regierung des Jemen zu unterstützen". Gleich nach der Trumpschen de facto-Kündigung des Atomabkommens startete man gemeinsam mit dem jemenitischen Militär eine Offensive auf die Hafenstadt Hodeidah, einer der größten Städte des Jemen.

Dies sei notwendig, um zu verhindern, dass iranische "Terroristen" eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt "als Geisel nehmen", sagt al-Malki und weist darauf hin, dass mehrmals saudische Schiffe von der jemenitischen Küste aus beschossen worden seien. Seit Beginn der Offensive starben bereits mehrere hundert Zivilsten. Durch saudische Bomben. Und auch Hilfsgüter können nur noch in sehr begrenztem Umfang ins Land gebracht werden.

Im Hintergrund steht die Angst vor einer Folge der Trump-Entscheidung, die international ausgesprochen weitreichende Konsequenzen hätte: Dass die Revolutionsgarden sowohl die Straße von Hormuz an der Ausfahrt des Persischen Golfs als auch das Bab al-Mandab blockieren. Da beide Meerengen nur wenige Kilometer breit sind, wäre dies recht einfach möglich; der weltweite Handelsverkehr, aber auch die Ölexporte der Länder in der arabischen Welt würden dadurch sehr empfindlich gestört.

In drei Monaten, im November, will Trump die iranischen Ölexporte auf Null reduziert sehen; wie er das anstellen will, ist derzeit allerdings offen. Vor allem die chinesische Regierung, Hauptabnehmer des iranischen Öls, hat bereits deutlich gesagt, dass man überhaupt nicht daran denkt, dem Trumpschen Befehl Folge zu leisten.

Im Iran rechnet die Regierung deshalb fest damit, dass Trump versuchen wird, iranische Tanker am Verlassen iranischer Hoheitsgewässer zu hindern. Präsident Hassan Ruhani drohte deshalb mehrmals öffentlich mit einer Blockade der Straße von Hormuz, sollte dies passieren, und die Revolutionsgarden übten Anfang August schon einmal für den Ernstfall. Gut ein Viertel der weltweiten Öltransporte zur See passieren jährlich die Meerenge, die zum Teil in iranischen Hoheitsgewässern liegt.

Würde der Iran es tun? Alles hängt davon ab, wie sich die Dinge in den kommenden Monaten im Iran entwickeln werden. Und ob jemand versuchen wird, von außen nachzuhelfen. Denn die Trump-Entscheidung hat eine Vielzahl von Begehrlichkeiten und Erwartungen geweckt, die mit der Frage, ob JCPOA gut oder schlecht ist, ob und wann man im Iran eine Atombombe bauen könnte, nichts zu tun haben.

Iran mit dem Rücken zur Wand?

Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton spricht von "Regime Change", einem Systemwechsel also, und sieht sich durch die Proteste bestätigt, die seit einigen Wochen immer wieder in iranischen Städten stattfinden; manche diagnostizieren gar, die iranische Führung stehe "mit dem Rücken zur Wand": Doch tatsächlich ist das nicht erkennbar.

Zwar bilden sich immer wieder spontan Proteste; doch eine zentrale Organisation gibt es ebenso wenig wie klare Forderungen: Meist geht es gegen die stark gestiegenen Preise, denn im Iran hängt so gut wie alles vom Dollar-Kurs ab, und der hat seit Mai kräftig an Wert gewonnen. Vor einem Jahr kostete ein Dollar 38.300 Rial, vor einem Monat 83.000 Rial; Anfang August wurden dann bereits 100.500 Rial verlangt. Doch auch die Finanzhilfe für militante Gruppen im Ausland wird kritisiert, die Rückkehr des Schah gefordert, gegen die in manchen Regionen extremste Luftverschmutzung.

Sicherheitsberater Bolton sieht darin einen ersten Erfolg der Sanktionen; US-Außenminister Mike Pompeo stellt fest, das "iranische Volk" habe "genug von der Kleptokratie". Doch die Proteste begannen gar nicht erst im Mai, sondern schon Monate davor und zwar schon lange davor.

Während die iranische Öffentlichkeit durch das Atom-Abkommen und den Fall der internationalen Sanktionen wirtschaftlichen Aufschwung und Jobs erwartete und dass Touristen ins Land kämen, entstand so etwas wie eine Debatten-Kultur: Man begann offen, auf der Straße, in den Cafés über Missstände zu sprechen und Kritik zu üben. In den Städten hat man Freude an Meinungsäußerung und Protesten gefunden.

Doch das sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass der Glaube an das Regierungssystem immer noch groß ist; so gut wie niemand spricht davon, das bestehende System gegen etwas völlig Neues auszutauschen; die Kritik richtet sich stets gegen konkrete Missstände: Korruption, eine ausgesprochen langatmige Verwaltung, politische Entscheidungsprozesse, die überwiegend im Hinterzimmer stattfinden, Zensur und die mittlerweile enorme wirtschaftliche und militärische Macht der Revolutionsgarden.

Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte ihnen in seiner Regierungszeit eine Vielzahl von Unternehmensbeteiligungen zugeschustert; im vergangenen Jahr begann dann die Rouhani-Regierung damit, gegen dieses Unternehmensimperium vorzugehen.

Und dennoch: Die Revolutionsgarden halten die Fäden in der Hand. Noch sind die Kräfteverhältnisse klar verteilt: Man ist dem Ayatollah loyal, folgt seinem Urteil. Doch Ajatollah Ali Khamenei ist mittlerweile 79 Jahre alt; es ist absehbar, dass an der Spitze kurz- oder mittelfristig eine Neubesetzung ansteht. Klare Favoriten für das Amt gibt es derzeit nicht; es droht ein also ein Vakuum und zwar nicht so sehr an Macht, sondern an Autorität.

Denn Ayatollah Khamenei hält sich aus der Tagespolitik weitgehend heraus, erteilt vor allem allgemeine Richtlinien. Denn die Autorität, die das Amt ausstrahlt, kann schnell verloren gehen, wenn sich der Amtsinhaber zu stark einmischt, möglicherweise kontroverse Entscheidungen gar selbst trifft.

Doch was passiert, wenn sich der nächste Ayatollah sich nicht daran hält? Möglicherweise gar Reformen anordnet, die nahezu zwangsläufig dazu führen würden, dass jene Verwaltungsmitarbeiter gehen müssten, die mit Blut und Gedanken der Jahre nach der Revolution befleckt sind?

Von der Ethik-Kommission des nationalen Fußballverbandes, die von einem Richter geleitet wird, der in den 1980er Jahren mehr als 1000 Menschen zum Tode verurteilte, bis zur Stadtverwaltung im hintersten Zipfel des iranischen Hinterlandes - diese Leute sitzen überall, immer noch, sperren sich gegen jede Form von Reform und erwarten, dass der Ayatollah die Revolution aufrecht erhält.

Die Volksmudschahedin

In den USA liebäugelt man derweil mit einem Systemwechsel von außen. Im Team Trump sucht man daher nun die Nähe zu den Modschahedin-e Chalq (Volksmudschahedin; MeC) einer Oppositionsgruppe, deren Anhänger vor allem im Ausland leben. Daneben existiert seit 1981 der "Nationale Widerstandsrat", der sich selbst als Exilparlament bezeichnet, aber im Verfassungsschutzbericht 2013 als politischer Flügel der Modschahedin-e Chalq bezeichnet wird.

Im Iran hat die Gruppe so gut wie gar keine Bedeutung, und auch keine Unterstützerbasis. Im Irak unterhielt man ein "Camp Aschraf" genanntes Lager, dass 2009 von den irakischen Behörden gewaltsam geräumt wurde. Die MeC betreiben eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit, durch die sie immer wieder auf Menschenrechtsverletzungen im Iran hinweisen, und einen harten Kurs gegen das Regime in Teheran fordern.

Doch auch die MeC und der Nationale Widerstandsrat stehen in der Kritik: Menschenrechtsorganisationen werfen den MeC sektenartige Strukturen vor; in dem Lager im Irak, in dem 3.500 Anhänger der Organisation lebten, habe es massive Menschenrechtsverletzungen gegeben, kritisieren Human Rights Watch und ehemalige Angehörige.

Dennoch hat die Trump-Regierung keine Hemmungen: Bei einem Treffen der MeC im Juni trat Trump-Anwalt und Ex-Bürgermeister von New York, Rudy Giuliani als Redner auf, und auch Bolton stellte die Organisation mehrmals als "ernstzunehmende Alternative zum Terror-Regime in Teheran" dar. Bolton unterhält bereits seit langem enge Kontakte zur Organisation: Die Vorwürfe gegen die Organisation bezeichnete er auf Anfrage als "Propaganda des iranischen Regimes".

Nun ist also davon auszugehen, dass zusätzlich zu den vielen Herausforderungen, die die Atom-Entscheidung Trumps in der Region stellt, auch noch die Ansichten, Forderungen und Meinungen einer mindestens fragwürdigen Organisation auf dem Weg über Bolton Teil der Entscheidungsfindung im Weißen Haus werden.

In der Nachbarschaft zum Iran macht dies jedenfalls vielen Sorge: In Armenien, in Aserbaidschan, in Afghanistan, im Irak und in der Türkei bringen die Regierungssprecher die Angst ihrer Chefs vor dem "Syrien-Modell" zum Ausdruck, wie ein Sprecher des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinyan es nennt.

Er meint damit, dass jemand hingeht und mit großem Glauben an den "iranischen Frühling" und "wenig Weitsicht" allen Waffen in die Hand drückt, die gerne eine hätten. Armenien sei wegen seiner geographischen Lage auf gute Beziehungen zum Iran angewiesen und auch in den anderen Nachbarländern will man keinen Bürgerkrieg und keine Instabilität im Iran.