Iran: USA setzen trotz Corona-Epidemie Politik des maximalen Drucks fort
Washington verhängt neue Sanktionen. Die Zahl der Infizierten in Iran steigt auf über 17.000. Indessen wurden 85.000 Häftlinge auf freien Fuß gesetzt
Wird der Krieg wegen Corona Pause machen? Das ist bislang als einzige Spekulation zur Ausbreitung der Pandemie in Ländern des Nahen Ostens zu hören, die einen positiven Beiklang hat. Wenn es um Menschenleben geht, ist der Preis für eine durch das Virus aufgenötigte Waffenruhe allerdings hoch. An Horrorszenarien besteht auch in der Region von Iran bis nach Nordafrika kein Mangel.
Ein Überblick zur Ausbreitung des Virus in der Region ist schwierig. Das liegt wie zum Beispiel in Nordostsyrien daran, dass es keine Tests gibt. Das Gebiet der kurdischen Selbstverwaltung ist wahrscheinlich keine Ausnahme. Dazu kommt die Informationspolitik. Nicht von ungefähr kursierte zu den ersten Meldungen über Ansteckungen mit Sars-CoV-2 aus Iran der Begriff "political corona".
Freilassung von Gefangenen
Am Fall Iran ist zu sehen, wie sich mehrere Konfliktherde überlagern. Eine Nachricht, die in normalen Zeiten Aufsehen erregen würde, ist nur eine von vielen: Mehr als 85.000 Häftlinge wurden freigelassen, gab der Sprecher der iranischen Justiz, Gholamhossein Esmaili bekannt. Die Hältfe unter ihnen sollen politische Gefangene sein. Laut Informationen von al-Jazeera ist die Maßnahme als vorübergehend gedacht - wegen des Virus und des bevorstehenden Neujahrsfestes - am 3. April sollen sie ins Gefängnis zurückkehren. Aber wer weiß, ob das die Situation erlauben wird.
Dass die Angst vor einer Corona-Ansteckung zu Gefängnisrevolten führen kann, die nur mit großem Aufwand zu kontrollieren ist oder vielleicht gar nicht mehr, gehört wahrscheinlich zu den hauptsächlichen Gründen der Amnestie.
Da sich unter den Freigelassenen auch viele befinden sollen, die während der Proteste inhaftiert wurden, wird auch die öffentliche Meinung ein Grund sein. Die Führung geriet in den letzten Wochen und Monaten unter starken Druck, von außen wie von innen. Dabei spielte die Informationspolitik eine große Rolle (Corona-Virus: Iran unter besonderer Beobachtung und Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine: Festnahmen und iranische Medienvertreter gegen Propaganda).
Kreditanfrage beim IWF, Sanktionen von den USA
Der wird im Moment von den USA noch verschärft. Es wurden neue Sanktionen bekannt gegeben, während die Regierung in Teheran um Hilfe beim Internationalen Währungsfonds bat - zum ersten Mal in 60 Jahren -, um der Versorgung der Infizierten nachzukommen. Auch für die Gewährung des Kredits über 5 Milliarden Dollar, den die Regierung braucht, um den Krankenhausbetrieb vor einem Zusammenbruch zu bewahren - und um die covid-19-Ausbreitung zu verlangsamen -, braucht es angeblich die Zustimmung der USA.
Gestern wurden in Iran über 17.361 Fälle von Corona-Infizierten gemeldet. 1.192 neu Infizierte sind innerhalb von 24 Stunden hinzugekommen. Es gab angeblich 147 Tote infolge von covid 19. Gestern meldete das Gesundheitsministerium insgesamt 1.135 Tote. 5.710 haben sich demnach sich erholt. Die Kurve der Fallzahlen steigt steil an. Bekannt gewordene Szenarien von Forschern rechnen mit 100.000 Toten, falls die Krankenhausversorgung nicht zusammenbricht.
US-Außenminister Pompeo erklärte aufs Neue, dass man die Politik des maximalen Drucks auf Iran beibehalten wolle, was mit den neuen Sanktionen unterlegt wird. Diese werden zwar in manchen Berichten als "symbolisch" bezeichnet, weil sie auf Unternehmen und einzelne Personen zielen. Doch gehören sie einmal zu einem Sanktionsregime der USA gegen Iran, das der Bevölkerung stark zusetzt. Zum anderen treffen auch sie das Ölgeschäft, das eine wesentliche Einnahmequelle Irans ist.
Und dann ist da auch noch der niedrige Ölpreis, der die Wirtschaft in Iran empfindlich trifft. Und was weitere Konfliktherde angeht, so genügt ein Blick in den Irak, wo die USA und Iran ihren Konflikt in einem Pulverfass austragen. Über Raketen-Angriffe auf Basen, in denen US-Militärs stationiert sind, und US-Luftangriffe auf Stellungen der Miliz Khatib Hizbollah, die das US-Kommando im Verdacht hat, dass sie für die Angriffe auf die Militärstützpunkte mit amerikanischer Präsenz verantwortlich ist, wurde hier schon berichtet.
Der Zermürbungskrieg zwischen Iran und den USA im Irak
Der Krieg währt schon lange. Eskaliert ist er im Vorfeld der Ermordung des iranischen Generals Soleimani Anfang Januar durch eine US-Drohne. Dies sowie der Gegenschlag durch iranische Raketen fanden eine internationale Aufmerksamkeit, die sich nun aber anderen grausligen Entwicklungen zugewendet hat. Indessen schaukelt sich der Konflikt zwischen Iran und den USA im Irak hoch und jüngste Nachrichten lassen Beobachter fürchten, dass das Gelände für Instabilität und Chaos bereitet werde.
Mit der Auswahl von Adnan al-Zurfi als neuen Premierminister für den Irak, der den USA nahesteht (er war 2004 unter dem US-Irak-"Verwalter" Paul Bremer Gouverneur von Nadschaf), würden die politischen Lager im Irak aufgeheizt, so die Befürchtung. Die Lage in Irak ist durch die Proteste aufgrund von Versorgungsnöten ohnehin "gereizt", dazu kommen die überaus harten Reaktionen auf die Proteste, die mehreren Hundert Demonstranten das Leben gekostet hat.
Das ging einher mit dem Aufwiegeln der Lager, deren Streit mit der Einteilung in "pro oder gegen Iran", "pro oder gegen die USA" zugespitzt wird. Zu diesem Gemisch kommt hinzu, dass der Angriff der USA Anfang Januar am Flughafen Bagdad nicht nur den iranischen General Soleimani tötete, sondern auch den irakischen Kommandeur der al-Haschd- asch-Schabi (Volksmobilmachungskräfte), die zur irakischen Armee gehören.
Die USA weigerten sich, dem irakischen Parlamentsbeschluss zum Abzug der amerikanischen Truppen zu befolgen, und führen seither einen Krieg gegen die oben genannte Miliz Khatib Hizbollah, in dessen Folge auch Mitglieder der irakischen Armee getötet wurden. Die USA habe Beweise dafür, dass diese für die Angriffe auf die US-Militärstützpunkte verantwortlich sei, heißt es aus der US-Führung. Dahinter stünde Iran.
Mittlerweile hat sich eine neugegründete Miliz zu den Angriffen bekannt. Sie hat offiziell nichts mit Iran zu tun. Dass sie keine Verbindungen zu Iran hat, ist allerdings wenig wahrscheinlich.
Virus-Gegenmaßnahmen im Irak und in Syrien
Ob eine militärische Eskalation durch die Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus gebremst würde? Diese Hoffung, die zu Anfang des Beitrags geäußert wurde, ist konkret nicht einzuschätzen. Aus dem Irak wurden gestern 164 Fälle von Infektionen gemeldet. Dabei wird es nicht bleiben. Im kurdischen Norden (38 bekannte Fälle) wurden bereits Notfallmaßnahmen eingeleitet.
Auch die kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens hat Gegenmaßnahmen getroffen. Gestern meldete die syrische Regierung wie auch die WHO, dass in Syrien "keine Fälle" von Sars-CoV-2-Infizierten bekannt sind.
Indessen machen unbestätigte Meldungen die Runde, das es infizierte türkische Soldaten in Idlib gibt. Dazu kommen Gerüchte, wonach iranische Milizen das Virus nach Syrien einschleppen könnten oder dies schon getan haben.
Die große Befürchtung ist, dass es die Flüchtlingslager mit ihrer ärmlichen medizinischen Versorgung erwischen könnte. In Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung hofft man, dass das ausbreitungsschnelle Virus die großen Lager wie al-Hol nicht erwischt.