Iran und Israel: Das Risiko der "unbeaufsichtigten" Milizen

Ministerpräsident Netanjahu auf den Golanhöhen. Foto: Mark Neyman /GPO (Government Press Office) Israel

Vom Iran bewaffnete Gruppen in Syrien und im Jemen sind für Israel eine Bedrohung; Russland versucht, zu vermitteln

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Es ist eine eigentümliche Stille. Ab und zu fahren Militärjeeps vorbei, bremsen ab, damit die Soldaten einen prüfenden Blick auf die Leute werfen können, die da allein am Straßenrand stehen, und in die Ferne blicken, nach Syrien, in den Krieg. Man meint Rauchfahnen in der Ferne sehen zu können; ob da Häuser brennen oder einfach nur Windhosen Staub durch die Sommerhitze wirbeln?

Man wird es nicht erfahren: Jener Teil der Golanhöhen, die Israels Militär während des Sechs-Tage-Krieges 1967 eroberte und dann im Dezember 1981 einseitig und ohne völkerrechtliche Grundlage annektierte, ist heute eine dünn besiedelte Einöde, ein Touristenziel, von dem aus man tief in eines der beiden bis heute wirklich noch mit Israel im Kriegszustand lebenden Länder blicken kann: Syrien.

Während sich Israel, die Staaten auf der arabischen Halbinsel und der Irak im Laufe der vergangenen Jahre angenähert haben, Kontakte an der Tagesordnung sind, auch wenn man keine offiziellen diplomatischen Beziehungen pflegt, ist man mit dem Libanon und mit Syrien nie wärmer geworden.

Die Hoffnung auf Frieden in den 1990erJahren

Dabei hatte es in den 1990er Jahren mal eine Zeit gegeben, in der es so aussah, als stünde eine Einigung kurz bevor: Jordanien hatte gerade einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet, die palästinensische Autonomiebehörde wurde geschaffen. Internationale Diplomaten und israelische Politiker sagten, dass jetzt Syrien und der Libanon an der Reihe seien, und tatsächlich traf man sich am Verhandlungstisch. Und scheiterte.

Offiziell ging es um Sicherheitsgarantien: Von den Golanhöhen aus herrschen freier Blick und freies Schussfeld auf den gesamten israelischen Norden. Und um Wasser: ein Großteil der israelischen Wasserversorgung stammte damals direkt oder indirekt von den Golanhöhen. Doch tatsächlich sei es die öffentliche Meinung gewesen, die den Verhandlern einen Strich durch die Rechnung gemacht haben, sind sich jene sicher, die damals dabei waren: Irgendjemand hatte durchsickern lassen, dass verhandelt wird.

"Das ist unser Land"

Eine goldene Regel der Nahost-Verhandlungen lautet, dass man möglichst im Geheimen miteinander spricht, weil mit der Öffentlichkeit auch der Druck steigt, bestimmte Interessen zu berücksichtigen. So kam es dann auch: Schon bald zogen Rechte mit israelischen Fahnen durch das Land, und riefen "So Artzeinu", "Das ist unser Land".

In Syrien wurde der damalige Präsident Hafez al-Assad dafür kritisiert, dass er das tat, von dem er zuvor immer gesagt hatte, dass er es nicht tun werde; er deutete die Verhandlungen einfach um: Die Regierung sei dabei, den Golan "zurück zu erobern".

Ungefähr zur gleichen Zeit begann in Israel der Aufstieg eines bis dahin eher unbekannten Politikers in die obersten Führungszirkel: Schnell, innerhalb von Jahren, arbeitete sich Benjamin Netanjahu, ursprünglich Unternehmensberater, dann Botschafter bei den Vereinten Nationen, vom einfachen Abgeordneten zum Vorsitzenden des rechtskonservativen Likud hoch.

Israelische Panzer auf den Golanhöhen. Foto: Mark Neyman/GPO (Government Press Office Israel)

Er brachte ein Feindbild mit, das zur damaligen Zeit niemand in Israel oder in der internationalen Gemeinschaft auf dem Schirm hatte: den Iran. Und die nukleare Bedrohung. Der Iran unterstütze palästinensische Terrorgruppen, die libanesische Hisbollah, ein nuklear aufgerüsteter Iran sei eine Bedrohung für die gesamte Welt, schrieb Netanjahu in seinem 1995 veröffentlichten Buch "Fighting Terrorism - How Democracies Can Defeat Domestic and International Terrorists".

Bei öffentlichen Auftritten ließ Netanjahu in den Köpfen der Zuhörer regelmäßig das Bild iranischer Truppen erscheinen, die im Westjordanland, im Gazastreifen auf den Golanhöhen in Sichtweite von Tel Aviv, Haifa, Jerusalem stehen und darauf warten, den jüdischen Staat zu zerstören.

Damals wie heute warfen Politiker aus dem linken Spektrum, aber auch Vertreter von Militär und Geheimdiensten Netanjahu vor, ein ernstes, komplexes Thema zu übertreiben, für politische Zwecke zu missbrauchen, während durchaus der eine oder andere mahnte, dass man die politischen Dynamiken im Iran nicht unterschätzen sollte.

"Nicht jeder, der Israel sagt, meint auch Israel", sagte Schimon Peres, nach der Ermordung von Regierungschef Jitzhak Rabin 1995 Übergangspremier, im Wahlkampf 1996 und gab damit Netanjahu indirekt Recht: "Seit der Islamischen Revolution legitimiert die iranische Führung ihren Machtanspruch auch durch den Kampf gegen Israel und für die Palästinenser. Es ist nicht abwegig zu sagen, dass der Iran auch Taten folgen lässt, um zu beweisen, dass man es ernst meint."

Politisch erfolgreich wurde dieses Bedrohungsszenario durch die Darstellung des Iran in den Medien: Im Fernsehen, in den Zeitungen waren, wann immer über den Iran berichtet wurde, Bilder von martialisch blickenden, schwer bewaffneten Revolutionsgarden, von Menschenmassen, die "Tod Israel" riefen zu sehen.

Wie mit Iran umgehen?

Doch gleichzeitig blieb der Iran, die iranische Bedrohung immer weit weg: Teheran und Tel Aviv trennen gut 1.500 Kilometer Luftlinie. "Was die mögliche Unterstützung für palästinensische Gruppen wie die Hamas und den Islamischen Dschihad betrifft, war unsere Herangehensweise stets, dass wir damit umgehen können", sagt Avi Dichter, von 2000 bis 2005 Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Beth und heute Parlamentsabgeordneter für Netanjahus Likud:

Wir haben ja ständig daran gearbeitet, unsere Methoden zu verbessern, Anschlagspläne zu erkennen und zu vereiteln, und wir sind mit der Zeit immer besser geworden.

Avi Dichter

Nur: Die Zeiten haben sich geändert. Wenn man auf den Golanhöhen steht oder an der Grenze zum Gazastreifen, wenn man mit ausländischen Diplomaten, mit Politikern aus Israel und der arabischen Welt spricht, dann wird deutlich: Iran, Israel sind nicht mehr weit voneinander entfernt, sondern einander gefährlich nahe.

Die Dinge sind sehr viel komplizierter geworden, als sie einst waren, und als sie heute scheinen, wenn Netanjahu vor Aktenattrappen Beweise für angebliche Lügen des iranischen Regimes präsentiert ( Netanjahu setzt zur Eskalation auf Bilder: "Iran lügt"), oder US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen mit dem Westen als den "schlechtesten Deal aller Zeiten bezeichnet".

Dabei geht es heute im Konflikt zwischen Israel und dem Iran nur noch vordergründig um nukleare Bedrohung: "Selbst dann, wenn absolut sicher wäre, dass der Iran niemals jemals eine Atombombe bauen könnte, wäre das Problem noch längst nicht vom Tisch", sagt John Kerry, US-Außenminister unter Präsident Barack Obama.

Denn im Libanon unterstützen die iranischen Revolutionsgarden die Hisbollah mit Waffen, Ausbildern und Logistik, in Syrien hat man eine Vielzahl von großen und kleinen Kampfgruppen ausgerüstet, möglicherweise auch eigene Truppen, mindestens aber Militärberater vor Ort.

Im Gazastreifen erhalten die Hamas, der Islamische Staat Unterstützung aus Teheran. Im Irak hilft man einigen der Milizen, die im Verbund mit anderen Milizen unter den Namen Haschd asch Scha‘bi (Volksmobilisierungskräfte) unter anderem gegen den Islamischen Staat kämpften.

Im Jemen hilft man Ansar Allah, in Deutschland besser als Huthi-Milizen bekannt, aus, und ja, auch der Jemen hat für Israel eine wichtige Bedeutung: Die Hafenstadt Hodeidah, seit Jahren unter Ansar Allah-Kontrolle, liegt direkt an der Meerenge, die vom und ins Rote Meer führt.

Alle Schiffe auf dem Weg von oder nach Eilat oder vom und zum Suezkanal müssen hier vorbei. Israel, die USA, aber auch Saudi-Arabien und Ägypten befürchten, dass die Revolutionsgarden hier eine Basis aufbauen und von dort aus die Meerenge blockieren könnten.

Nur: Warum das alles?

Machtfaktoren im Iran

Was den Irak, was Syrien betrifft, spricht man vor allem im iranischen Außenministerium recht offen über die Hintergründe. "Der Irak, Syrien sind direkt vor unserer Haustür", sagt Sprecher Bahram Ghassemi: "Der Islamische Staat ist auch für uns eine Bedrohung, die wir vernichten müssen." Gleichermaßen sehe man aber auch den amerikanischen Einfluss im Irak mit Sorge: "Die USA haben gerade erst gezeigt, dass man ihnen nicht trauen kann, als sie das Abkommen mit uns gekündigt haben."

Doch gleichzeitig fordern vor allem Parlamentsabgeordnete der konservativen Fraktionen, die iranische Führung müsse die Idee der "Islamischen Republik" verbreiten, um den Einfluss Saudi-Arabiens einzudämmen. Seit Langem liegen das erzkonservative Königreich und der Iran im Clinch.

Der Iran wirft Saudi-Arabien vor, Terrorgruppen in den iranischen Provinzen an der Grenze zu Pakistan zu unterstützen; dort wohnen viele Sunniten, die der islamischen Republik ablehnend gegenüberstehen. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Konflikten mit den iranischen Sicherheitsdiensten.

Nach zwei fast zeitgleichen Anschlägen auf das iranische Parlament und das Mausoleum von Ajatollah Ruhollah Khomeini warf der Iran Saudi-Arabien vor, die Attentäter unterstützt zu haben; Beweise dafür wurden allerdings nie vorgelegt.

Doch kurz darauf schossen dann die Huthi-Milizen vom Jemen aus erstmals eine Rakete auf die saudische Hauptstadt Riad ab. Zwar hatte es bereits zuvor immer wieder Angriffe auf saudisches Gebiet gegeben; diese blieben aber auf Militärstellungen in grenznahen Regionen beschränkt.

Doch auch die Innenpolitik spielt eine große Rolle.

Die Nachfolge von Ajatollah Ali Khamenei

Am Freitagabend sitzt in einem Nebenraum des iranischen Parlaments eine Gruppe älterer Männer zusammen; im Fernsehen läuft Fußball: Der Iran spielt gegen Marokko, ist am Gewinnen; durch das Land rollte eine Welle der Euphorie. Eine gute Zeit also, für die Einflussreicheren unter den 88 Mitgliedern des Expertenrats, um sich zu treffen, um über das zu sprechen, über das man im Iran öffentlich nicht einmal laut nachdenkt: die Nachfolge von Ajatollah Ali Khamenei.

78 Jahre ist er alt, krank; öffentliche Auftritte sind selten geworden. "Unser Staatsoberhaupt hat sehr viel Macht", sagt Außenamtssprecher Ghassemi unverbindlich. "Da ist es absolut unausweichlich, dass wir vorbereitet sind."

Dass man dies außerhalb der Öffentlichkeit tut, dass auch das Treffen am Freitag von der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA nur mit einer knappen, betont nichtssagenden Meldung verkündet wurde, hat vor allem diesen Grund: Das extrem komplizierte Regierungssystem, eine Balance aus Machtansprüchen und Ambitionen, die nahezu minütlich neu austariert werden müssen, wackelt und ächzt und droht aus den Fugen zu geraten.

Auf dem Papier hat der Ajatollah grundsätzlich in allem das letzte Wort. Aber das Staatsoberhaupt regiert nicht selbst; das tut die Regierung unter Führung des vom Volk direkt gewählten Präsidenten, die ihre eigenen Initiativen vom Parlament absegnen lassen muss, und dessen Entscheidungen umzusetzen hat.

Direkten Einfluss auf das politische Tagesgeschäft nimmt der Ajatollah vor allem über den Wächterrat: Dieses zwölfköpfige Gremium wird je zur Hälfte vom Ajatollah und vom Parlament besetzt; jeder Kandidat für ein öffentliches Amt, jede Gesetzesinitiative, und mag sie noch so unbedeutend sein, wird hier auf Vereinbarkeit mit der Verfassung der islamischen Republik geprüft, wobei die Regeln unklar sind.

Vor der vergangenen Parlamentswahl scheiterte selbst der als ausgesprochen regimetreu geltende Hassan Khomenei, Enkel von Ajatollah Khomenei, am Wächterrat, während eine ganze Reihe von Kandidaten, die sich zuvor kritisch geäußert hatten, durchgewinkt wurde.

Im Umfeld der Wahllisten der sogenannten Reformer wurde deshalb darüber spekuliert, dass der Wächterrat, der nur höchstens 100 Mitarbeiter hat, mit der Masse an Kandidaten schlicht überfordert war: In Erwartung, dass viele scheitern werde, hatte man doppelt und dreifach Kandidaten aufgestellt.

Der Expertenrat indes wählt den Ajatollah aus; eine Aufgabe, die nicht so einfach ist, wie sie klingt: Die Anforderungen sind hoch. Der Ajatollah zieht einen Großteil seiner gesellschaftlichen und politischen Stellung daraus, dass er für die Bevölkerung Identifikationsfigur ist. Gesucht wird also ein Kandidat, der eine religiöse Autorität ist, gut reden kann, aber vor allem: zwischen den verschiedenen Macht- und Interessengruppen vermitteln kann.

Nun, im Auswahlverfahren, kommt aber auch eine starke politische Komponente hinzu: Seit der letzten Wahl haben im Expertenrat die sogenannten Reformer die Mehrheit. Und die sperren sich dagegen, dass Khamenei seinen Nachfolger selbst benennt, fordern stattdessen einen modernen, weltoffenen Kandidaten. Oder, alternativ, dass der Expertenrat für eine Übergangszeit die Aufgaben des Ajatollah selbst übernimmt.

Die Justiz und die Revolutionsgarden

Doch im Hintergrund gibt es zwei weitere Machtfaktoren: Die Justiz, und die Pasdaran, zu deutsch Revolutionsgarden. Sie sind nicht nur Militär, sondern haben durch eine Vielzahl von Unternehmensbeteiligungen auch einen extremen Einfluss auf die Wirtschaft. Ihr Chef, Mohammad Ali Dschafari, macht bei seinen öffentlichen Auftritten keinen Hehl daraus, dass er bei der Besetzung des höchsten Amtes das letzte Wort haben will.

Sein Wunschkandidat: Ex-Präsident Ali Ahmadinedschad, mit dem er sich gerne zeigt; aus gutem Grund. Ahmadinedschad war derjenige, der Pasdaran-Funktionären im Zuge von Privatisierungsmaßnahmen Unternehmensbeteiligungen zugeschoben hat, wie sich in mehreren Korruptionsprozessen gegen Funktionäre der Pasdaran in Teheran heraus stellte.

Dass es überhaupt zu diesen Verfahren kam, dass in den iranischen Medien darüber berichtet wurde, liegt wohl daran, dass auch vielen in der iranischen Justiz und Politik der enorme wirtschaftliche und militärische Einfluss der Pasdaran nicht mehr geheuer ist.

Zu oft hatte sich Dschafari (auch: Jafari) in den vergangenen Jahren in die Tagespolitik eingemischt und sich kurz vor der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr öffentlich darüber beschwert, dass Präsident Hassan Ruhani die Pasdaran, also ihn, nicht an Regierungssitzungen beteilige. Ruhani konterte darauf hin ebenso öffentlich, jeder, der ein öffentliches Amt bekleide müsse sich bewusst sein, dass er dem Ajatollah und der Verfassung verpflichtet sei.

Noch ist die Autorität des Ajatollah so groß, dass auch Dschannati sich nicht dagegen wendet. Doch je weniger präsent Khamenei ist, desto größer wird das Vakuum.

"Wir betrachten diese Entwicklungen mit Sorge", sagt ein russischer Diplomat in Tel Aviv: "Auf der einen Seite haben wir ein iranisches Regime, das instabil wird und überall in der Region Gruppen bewaffnet; auf der anderen ist die israelische Regierung, die über ein militärisches Vorgehen gegen den Iran nachdenkt. Und dann ist da ein US-Präsident, der über das Internet die Gemüter aufstachelt. Das ist ein riesiges Problem, das gelöst werden muss."

Hoffnung auf Russland

Dass sich Russland, nachdem man sich Jahre lang aus den Irrungen und Wirrungen der Nahost-Diplomatie herausgehalten hatte, nun verstärkt einbringt, hat mehrere Gründe: In Israel leben nach russischen Angaben an die 400.000 Menschen, die die russische Staatsbürgerschaft besitzen. In Syrien unterhält man eine Militärbasis, unterstützt den Präsidenten Baschar al-Assad militärisch.

Und direkt an den Iran grenzen die Staaten Zentral-Asiens, die Russland als seine Einflusssphäre betrachtet. "Wir wünschen uns eine stabile Regierung in Syrien unter der Führung von Präsident Assad", sagt auch ein Sprecher des russischen Außenministeriums, während der Diplomat in Tel Aviv deutlicher wird: "Auch wenn der Iran ebenfalls die syrische Regierung unterstützt, sind einige der Aktionen dort aus unserer Sicht problematisch."

Dazu zählt insbesondere die Unterstützung für örtliche Milizen im Südwesten Syriens in der Nähe zu Israel. Sowohl Vertreter Russlands als auch Syriens bestätigen, dass die Revolutionsgarden solche Gruppen bewaffnet haben, damit diese unter Aufsicht von Personen, die man als "Militärberater" bezeichnet, gegen Oppositionsgruppen vorgehen, die teilweise dem Islamischen Staat nahestehen.

Ausgesucht werden diese Gruppen vor allem danach, dass sie aus Schiiten bestehen und erklären, dass sie sich der Ideologie des Ajatollah und der syrischen Regierung verbunden fühlen. Doch ganz auf der eigenen Seite stünden solche Gruppen nie, sagt ein US-Diplomat, der während des Irak-Krieges im Auftrag der US-Regierung Milizen mit Waffen und Geld versorgte, in der Annahme, dass diese dann auf Seiten der USA kämpfen:

Wir haben damals schnell gemerkt, dass man damit Pandoras Box öffnet: Es kann gut gehen, muss es aber nicht. Spätestens wenn Forderungen nicht mehr erfüllt werden, wenden sich diese Leute jemandem anderen zu.

US-Diplomat

Als die Haschd asch-Scha‘bi im Irak auf Mossul vorrückten, waren manche der Milizen mit amerikanischen Waffen und iranischen Militärfahrzeugen ausgerüstet; was davon direkt geliefert wurde, und was auf dem stets reich bestückten Schwarzmarkt gekauft wurde, lässt sich dabei nicht nachvollziehen.

Dass Israels Luftwaffe seit einigen Monaten verstärkt Stellungen in Syrien angreift, die den Pasdaran zugerechnet werden, hat in Russland zu umfangreichen politischen und diplomatischen Aktivitäten geführt: Schon im Jahr zuvor hatten Netanjahu und Verteidigungsminister Avigdor Liebermann öfter mit Präsident Wladimir Putin und seinen Verteidigungs- und Außenministern gesprochen als mit US-Präsident Donald Trump.

Russlands exzellente Beziehungen

Zwar betont Netanjahu öffentlich stets, zwischen ihn und Trump passe "kein Blatt Papier", und er stellte sich öffentlich auch hinter sehr kontroverse Trump-Pläne wie den Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko: "Hauptsache, er macht was wir wollen", heißt es aus seinem Team.

Doch gleichzeitig hat man wenig Vertrauen in seine Künste auf der diplomatischen Bühne, wie sollte man auch: Auf Schlüsselpositionen in der Region sind die Botschafterposten immer noch frei; in Katar schmiss Botschafterin Dana Shell Smith auf dem Höhepunkt der Krise zwischen Katar, Saudi-Arabien und den anderen Golfstaaten außer Oman im vergangenen Jahr hin und erklärte öffentlich, sie habe keine Lust mehr Ergebnisse zu erzielen, nur um bei Twitter lesen zu müssen, dass der Präsident in 140 Zeichen alles zunichte gemacht hat.

So baut man in Israel lieber auf Russlands Regierung und nutzt deren exzellente Beziehungen zum Iran, zur syrischen Regierung. Denn nachdem man Jahre lang darauf gebaut hatte, dass die Opposition irgendwann die Oberhand dort gewinnen werde oder dass wenigstens von Syrien aus, so lange die Situation so ist, wie sie ist, keine Bedrohung für Israel ausgeht, hat man sich nun darauf eingestellt, dass al-Assad auf absehbare Zeit im Amt bleiben wird.

Offiziell geht es in den Gesprächen zwischen Israels Regierung und der Führung in Moskau stets darum, die israelischen Luftangriffe zu koordinieren; man wolle nicht mit russischen Truppen aneinander geraten, so das israelische Verteidigungsministerium.

Doch sowohl israelische als auch russische Diplomaten sagen offen, dass es vor allem darum gehe, Gesprächskanäle mit der syrischen Regierung und der iranischen Regierung und den Pasdaran zu eröffnen: Denn die internationalen Sanktionen haben auch dazu geführt, dass der Einfluss Russlands im Iran stark gestiegen ist: Wirtschaftliche und militärische Kontakte sind an der Tagesordnung; man hat einen Zugang, den westliche Regierungen nicht haben.

So wichtig ist Russland aus israelischer Sicht, dass man während der Skripal-Affäre auch über die sehr deutliche Forderung Großbritanniens hinwegging, Israel möge wenigstens einige russische Diplomaten ausweisen.

Kernpunkte der russischen Vermittlungstätigkeit scheinen zu sein, eine Lösung für das Iran-in-Syrien-Problem zu finden und Israels Premier davon abzuhalten, einen Militärschlag gegen den Iran anzuordnen, der mit Sicherheit nun, in einer kritischen Übergangsphase im Iran, in der sich die politische Ausrichtung der kommenden Jahrzehnte entscheidet, militärische und politische Falken stärken würde.

Iranische Militärvertreter nicht einfach abziehen

Denn man kann, auch wenn Netanjahu dies öffentlich fordert, die iranischen Militärvertreter nicht einfach abziehen, weil dann die Gruppen, die man bewaffnet hat, im wahrsten Sinne des Wortes unbeaufsichtigt wären.

Niemand kann vorhersagen, was die dann mit ihren Waffen tun werden. Werden sie Israel angreifen? Die Waffen verkaufen? Sich gegen die syrische Regierung richten? Aus Sicht russischer Diplomaten müssten deshalb entweder iranische Ansprechpartner im Land bleiben, die Gruppen entwaffnet werden oder die syrische Regierung das Kommando übernehmen.

Als Option gilt auch der Einsatz russischer Militärpolizisten, wobei syrische Regierungsvertreter anzweifeln, dass diese ausreichenden Einfluss hätten. Sicher ist aber: Man will die Konfrontationen mit Israel so gering halten, wie es nur geht.

"Man muss leider sagen, dass die Eskalation mittlerweile weit über die Frage ob und wann der Iran die Atombombe hat, hinaus geht", sagt auch Tamir Pardo, ehemals Mossad-Chef und entschiedener Gegner der Aufkündigung des Atomabkommens durch Trump: "Es war kein perfekter Deal, aber es war das Beste, was man bekommen konnte, und es hat positive Effekte gehabt."

Die Pasdaran hatten, auf Anweisung von Ajatollah Khamenei an Einfluss verloren, bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gewannen die Reformer haushoch. Pardo: "Das hätte man nutzen können, und man hätte auch in der Syrien-Frage vieles anders machen können. Aber jetzt sind die Dinge nun mal wie sie sind."