Irans Parlamentswahlen

Seite 4: Prognosen und Perspektiven

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Das iranische Parlament spielt keine große Rolle weder in der Außen- noch (mit Einschränkung) in der Innenpolitik. Der Entscheidungsträger ist Ayatollah Khamenei, dem es laut Verfassung obliegt, die Richtlinien der Außenpolitik zu bestimmen.

Als die Regierung den Benzinpreis verdreifachte und damit die landesweiten Proteste im Dezember auslöste, wollten die Abgeordneten der Reformerfraktion einen Antrag auf Annullierung stellen. Ayatollah Khamenei hat das verhindert. Die angeblich von Reformern dominierte Majlis hat sich in den letzten vier Jahren als eines der schwächsten Parlamente in der Geschichte der Islamischen Republik erwiesen.

Das Parlament wurde auch bei den Nuklearverhandlungen völlig umgangen. Die exorbitante und radikale Disqualifikation der reformistischen Kandidaten wird letztendlich zur monoton islamistischen Vereinheitlichung des Parlaments führen. Aber es wird keinen Unterschied zur aktuellen Situation darstellen, da auch das derzeitige Parlament mit seiner reformistischen Mehrheit nichts ausrichten kann. Reformistische Parlamentarier wagen es nicht, sich Ayatollah Khamenei zu widersetzen.

Der Teheraner Abgeordnete Ali Motahari bezeichnete das Parlament als eine "Filiale des Büros des Revolutionsführers". Parlamentsabgeordneter im Iran ist jedoch ein sehr profitabler lukrativer Job, für den die Kandidaten sehr viel Geld für den "Wahlkampf" ausgeben, weit mehr als sie als Abgeordnete in einer ganzen Legislaturperiode verdienen. Majlis-Abgeordneten häufen großen Reichtum durch Lobbyarbeit für große Stiftungen und Unternehmen an.

Ali Rabii, der als Arbeitsminister vom Parlament abgesetzt wurde, benannte Personen, die von Abgeordneten vorgestellt und empfohlen worden waren. Sie habe er in verschiedenen staatlichen Unternehmen eingesetzt. Ahmad Tavakoli, ein Mitglied des "Rates zur Feststellung der Interessen des Regimes" (Feststellungsrat), enthüllte im August 2019 in einem Brief an den Vorsitzenden des Rechtsausschusses der Majlis, dass zwei Abgeordnete in den Kauf von "sechstausend Autos und mehreren hundert Kilo Gold" und somit in eine Störung des Marktes involviert sind.

Die beiden wurden nach drei Tagen Haft gegen Kaution freigelassen. Es gibt angeblich auch Beweise dafür, dass einige Vermittler jene durch die "Eignungsprüfung" durchgefallenen Kandidaten kontaktieren, um gegen einen hohen Geldbetrag und durch Beziehungen das Ergebnis umzuändern. Mahmoud Sadeghi, der gegenwärtige reformorientierte Parlamentsabgeordnete machte dem Wächterrat diesbezüglich schwere Vorwürfe.

In einer prominenten Moschee, dessen Freitagsprediger ein Mitglied des Wächterrates ist, wurden bei den letzten Wahlen die "Verhandlungen" über eine Revidierung der Entscheidung des Wächterrates geführt. Für das Rückgängigmachen der Ablehnung wurden umgerechnet etwa 300.000 US-Dollar verlangt. Sadeghi enthüllt jedoch diesen Verstoß erst jetzt, wo er selbst betroffen ist und seine Kandidatur abgelehnt worden ist (auch hier).

Der in den USA ansässige Arzt Masoud Noghrehkar, der für seine nach Einschätzung des Autors geistreichen literarischen, gesellschaftlichen und politischen Artikel und Bücher bekannt ist, konstatiert: Nicht nur im Hinblick auf die iranische Parlamentarismus-Geschichte vor der Revolution, sondern auch für die Geschichte des globalen Parlamentarismus sind die Majlis der Islamischen Republik mit Ausnahme der ersten, wo die Kontrolle durch die Herrschenden noch nicht so stark war, eine beschämende Katastrophenerfahrung.

Der Boykott der Wahlen durch zahlreiche Parteien, Organisationen, Verbände und prominente Persönlichkeiten aus etlichen Branchen wird den Usulgarayan zugutekommen, da sie ihre Stammwähler haben. Eine geringe Wahlbeteiligung würde aber dem Regime schaden, da es sich bisher rühmte, die Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung zu haben.

Das iranische Fernsehen (IRIB) führte letzte Woche auf seinem Telegrammkanal eine Umfrage durch, um das Wahlklima zu verbessern. Aber die Ergebnisse der Umfrage überraschten die Führungskräfte des Senders derart, dass sie gezwungen wurden, den Bericht wieder zu entfernen.

Der Sender mit mehr als 673.000 Mitgliedern fragte sein Publikum: "Sie, die ehrenwerte iranische Nation, für welche Partei oder Gruppe stimmen Sie?" Die Wahlmöglichkeiten waren Reformisten, Fundamentalisten (Usulgarayan) und Unabhängige, und am Ende gab es die Option: "Ich werde nicht wählen gehen."

Die Umfrage stieß sehr schnell auf die Aufmerksamkeit von mehr als 130.000 Teilnehmern, und zur Überraschung der Führungskräfte des Senders entschieden sich 82% der Teilnehmer für die Option "Ich werde nicht wählen gehen."

Es besteht auch die Möglichkeit des Wahlbetruges. Wie im Falle der höchst umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009, wo Wahlurnen zugunsten eines Kandidaten gefüllt wurden, kann es auch diesmal sein, dass die Wahlurnen manipuliert werden. Denn die Oberaufsicht des Wahlprozess obliegt laut Artikel 99 der Verfassung dem Wächterrat. Beschwerden müssen ebenfalls diesem Organ vorgelegt werden.

In diesem Clip (in den letzten 8 Minuten) warnt der erste iranische Staatspräsident Abol-Hassan Bani Sadr vor unfairen Tricks und einer List des Regimes in den letzten Stunden vor den Wahlen, um die Bevölkerung an die Wahlurne zu zwingen. Bani Sadr, der seit 1981 im Pariser Exil lebt, erklärt: Rohanis Regierung wird allen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes mit Sanktionen drohen, wenn sie nicht wählen gehen würden.

Wahlstempel erhält man im Personalausweis. Abteilungsleiter und andere höhere Dienststellen versuchen, ihre Untergebenen zur Wahlurne zu animieren, notfalls mit Drohungen. Der Bevölkerung allgemein würde nahegelegt werden, dass sie ohne den "Wahlstempel" in ihrem Ausweis beim Erledigen ihres Alltages (zum Beispiel beim Gang zu Behörden) Schwierigkeiten bekommen würden. Manche gehen unter diesen Umständen wählen und werfen einen blanken Stimmzettel in die Wahlurne im Glauben, dass sie sich dem Regime widersetzt haben.

Diese tauchen aber in der Wahlbeteiligung-Statistik auf und das Regime wird selbst diese "weißen Stimmzettel" mit Namen versehen. Der andere seit einiger Zeit sehr häufige Trick besteht darin, dass eine große Anzahl von Mitarbeitern von Rohanis Informationsministerium beauftragt wird, die Bürger mit Anrufen oder SMSen einzuschüchtern.

Dem Autor dieser Zeilen wurden von etlichen Verwandten, Freunden und Bekannten aus dem Iran (und vielen Iranern in social media) die Nutzung dieser Praxismethoden seitens des Regimes mit Nachdruck bestätigt.

Der Wahlausgang wird höchstwahrscheinlich zu einem Parlament führen, in dem die Usulgarayan (prinzipientreue Islamisten) eine überwältigende Mehrheit haben werden. Im "Machtkampf" zwischen Reformern und Usulgarayan, der sich überhaupt nicht um wahre Reformen und wohlwollende Veränderungen für das Volk dreht, wird es Hassan Rohani in seinem letzten Amtsjahr sehr schwer haben.

Die Wahlen finden zum ungünstigsten Zeitpunkt für die Führungselite statt. Die harten Sanktionen und als Folge der Beinah-Kollaps der Wirtschaft führen nicht mehr zum Volkszorn gegen die USA. Die Islamische Republik war noch nie derart von außen wie von innen gleichzeitig herausgefordert. Außenpolitisch wird Iran nach meiner Einschätzung immer mehr isoliert und geächtet.

Selbst der Bundesrepublik Deutschland werden die Mullahs immer unheimlicher. Der jährliche Sicherheitsreport, den das Allensbach-Institut im Auftrag eines deutschen Unternehmensdienstleisters durchführt ("Sicherheitsreport 2020") zeigt auf, wovor die Deutschen sich fürchten. Laut dieser Studie sind 66% der Menschen in Deutschland der Ansicht, dass die größte Bedrohung für den Frieden in der Welt in den kommenden Jahren vom Iran ausgehen werde, gefolgt von den USA und Nordkorea.

Im Reich der Ayatollahs geschehen Dinge, die das menschliche Vorstellungsvermögen überstrapazieren. Angehörige der Opfer des abgeschossenen ukrainischen Flugzeuges wurde die Einreise nach Kanada zwecks der Teilnahme an Trauerfeier untersagt bzw. erschwert. Etwa 61 von 176 Opfern waren Iraner, die in Kanada lebten bzw. einen Doppelstaatler-Status hatten.

Nur im Iran werden Beerdigungszeremonien der Opfer "geklaut". Einige Augenzeugen der Beerdigungen schrieben in den sozialen Medien, dass Sicherheitskräfte den Sarg der Toten vor ihren Familien beschlagnahmten und die Familien und nahen Verwandten der Getöteten daran hinderten, die Beerdigung selber durchzuführen.

Laut dem den Revolutionswächtern nahestehenden Medium Tasnim waren bei der Beerdigung die Kommandeure der Revolutionsgarden, Gouverneure, Freitagsimame, Vertreter von Vali-e Faqih (Khameni), Provinz- und Staatsbeamte anwesend und sangen Parolen zur Unterstützung des Regimes und gegen die USA! Dabei wurden die 176 Opfer der ukrainischen Maschine von Raketen der Revolutionswächtern getötet.

Einige Familien haben Widerstand geleistet und konnten die Beerdigung ihrer Angehörigen in der Sektion "Märtyrer" mit der Flagge der Islamischen Republik verhindern, andere haben sich dafür entschuldigt, dass sie dies nicht verhindert haben. Wer heute noch eine Lanze für die religiöse Diktatur im Iran bricht, nur weil Amerika auf der anderen Seite des Konfliktes steht, der hat den Sinn für Humanismus und Realität verloren.