Israel: Der schwierige Kampf für die Geiseln

Menschen mit Schildern "Bring them home now"

Demonstration für die Befreiung der Geiseln in Haifa. Foto: RnDmS, shutterstock

Viele Geiseln sind noch in Gaza. In Israel kämpfen viele Menschen für ihre Freilassung. Doch von wem und warum werden sie dafür angefeindet? Eine Betrachtung.

Fünf Monate ist es, da war auf dem Bebelplatz im Zentrum Berlins die Installation 132 Stühle aufgebaut. Die leeren Sitzgelegenheiten erinnerten an die damals 132 Menschen, die seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober in den Gaza-Streifen verschleppt wurden.

Von 109 der Opfer waren Fotos zu sehen. Wer sie genauer betrachtete, konnte erfahren, dass zu den Opfern der Hamas neben israelischen Staatsbürgern auch Menschen mit Pässen aus Tansania, Russland, Argentinien, Deutschland und anderen Ländern gehören. Es war eine der beeindruckendsten Installationen zum islamischen Überfall vom 7. Oktober 2023, weil sie auf Parolen verzichtete und die vom Terror betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellte.

"Bringt Sie nach Hause, jetzt"

Inzwischen sind einige der Verschleppten von der Hamas ermordet worden. "Bringt Sie nach Hause, jetzt" ist das Motto einer außerparlamentarischen Bewegung, die sich in den vergangenen Monaten in Israel gebildet hatte. Sie ist ein Zeichen der israelischen Demokratie, wo sich selbst in Kriegszeiten und unter der ständigen Drohung von Angriffen von Hisbollah und Hamas eine Protestbewegung etablieren konnte.

Teilweise wurde kritisiert, dass die Protestierenden vorwiegend die Rückkehr der Geiseln gefordert und sich nicht für Opfer des Krieges im Gaza-Streifen interessiert hätten. Doch diese Kritik geht am Kern des Anliegens der Menschen vorbei: Sie durchbrachen mitten in einer Krisen- und Kriegssituation in Israel den Burgfrieden und konfrontierten die Rechtsregierung mit einer für sie unangenehmen Wahrheit.

Die Regierung hatte zuvor das zionistische Versprechen gebrochen, dass in Israel jüdisches Leben geschützt ist. Das erste Mal brach sie es am 7. Oktober 2023, als sie die Anzeichen für den Hamas-Überfall trotz Warnungen ignorierte. Sie bricht es ständig, indem sie der Rückkehr der Geiseln nicht die absolute Priorität einräumte, die die Angehörigen und Freunde der Verschleppten fordern.

Wie Angehörige der Geiseln diffamiert werden

Deswegen ist den Ultrarechten der Protest so unangenehm. Und deswegen ist die Protestbewegung Angriffen aus dem rechten Lager immer öfter ausgesetzt, wie der Journalist Oliver Eberhardt, der auch für Telepolis tätig ist, schreibt: "Immer öfter schlägt den Angehörigen offene Feindseligkeit entgegen. Ende September wurde Eli Elbag, der Vater der Geisel Liri Elbag, am Rande einer Likud-Veranstaltung in Netanja mit Eiern beworfen."

Es ist nicht der einzige Fall von Angriffen auf die Angehörigen der Geiseln. Auch Einav Zangauker, die Angehörige einer Geisel, sei regelmäßig Ziel von Angriffen: "Anfang September bedrohte ein Mann sie mit einem Messer. Am Rande einer Großdemonstration für die Freilassung der Geiseln wurde sie als Staatsfeindin und Verbündete der Hamas beschimpft."

Schon Ende vergangenen Jahres war versucht worden, ein Zeltlager vor der Knesset in Jerusalem in Brand zu stecken, in dem die Angehörigen der Geiseln ihre Proteste koordinierten.

Logik der Ultrarechten in aller Welt

Es mag überraschen, dass die israelische Regierung, die doch den Schutz der jüdischen Bevölkerung im Munde führt, gerade die Menschen im Stich lässt, die diesen Schutz jetzt besonders benötigen würden. Doch sind an Israels Regierung Nationalisten und Kahanisten beteiligt.

Bei Letzteren handelt es sich um eine ultranationalistische Bewegung, benannt nach Meir Kahane, die die Vertreibung palästinensischer Bürger ganz offen propagiert. Die Vorgängerorganisationen des Kahanismus standen auf der US-Terrorliste.

Der Ultranationalismus kann sogar als Negation des Zionismus beschrieben werden. Er verfolgt militaristische und nationalistische Ziele und deshalb sind hier Menschen im Wege, die die Geiseln zurückholen wollen. In ihrem Militarismus und Nationalismus unterscheiden sich die israelischen Ultrarechten nicht von anderen Ultrarechten in aller Welt: Sie reden viel von Volk und Staat, die realen Menschen werden jedoch ignoriert.

Von den eigenen Leuten erschossen

Was Militarismus und Nationalismus anrichten, zeigte sich besonders deutlich am Fall von Yotam Haim. Der Musiker war am 7. Oktober von der Hamas verschleppt worden. Gemeinsam mit zwei weiteren Geiseln konnte er sich im Dezember 2023 selbst befreien. Fünf Tage überlebten sie, immer in der Angst, von den Islamisten wieder entdeckt zu werden.

Ihre ganze Hoffnung lag darin, dass sie von israelischen Soldaten entdeckt werden. Sie hatten "SOS" auf ein Gebäude und die Begriffe "Help" sowie "3 Hostages" auf Stoffreste geschrieben. Am 15. Dezember 2023 wurden die drei vom israelischen Militär entdeckt. Es hätte eine gelungene Selbstbefreiung werden können, eine Inspiration auch für die israelische Gesellschaft.

Doch es kam anders. Die drei Männer, die sich selbst befreiten, wurden am 15. Dezember 2023 von den israelischen Soldaten erschossen. Die israelische Armee vermutete eine Falle.

Opfer des Militarismus

Für seinen Tod sind in erster Linie die Islamisten der Hamas verantwortlich zu machen, die ihn und die anderen verschleppten. Doch er ist auch Opfer einer militaristischen Politik, die erst einmal schießt, bevor sie die Lage erkundet. Warum sahen hochgerüstete Soldaten in drei unbewaffneten Männern eine Falle und schossen sofort tödlich?

Die drei wurden so Opfer einer militaristischen Theorie und Praxis, wie sie die israelische Rechte praktiziert. Da konnte die Idee, dass sich drei Geiseln selbst befreit haben könnten und Hilfe brauchen, gar nicht erst aufkommen. Da wurde sofort eine islamistische Falle vermutet, die ausgeschaltet werden musste. In solcher Logik können die, die zuerst die Geiseln nach Hause bringen wollten, nur Handlanger der Hamas sein.

Solidarität mit der israelischen Bevölkerung

Das ist ein Grund mehr, sich mit der israelischen Bevölkerung zu solidarisieren, was nach dem islamistischen Angriff vom 7. Oktober 2023 besonders wichtig ist. Das bedeutet aber eben nicht, sich mit einer ultrarechten Regierung gemein zu machen, die ‒ und das zeigt sich in der Geiselfrage ‒ auch im Inland über Leichen geht.

Am 7. Oktober 2024, dem Jahrestag des islamistischen Überfalls, gab es Plakate mit drei zentralen Forderungen: Gaza von der Hamas befreien, sofortige Freilassung der Geiseln und Solidarität mit der israelischen Opposition. Dazu gehört auch und gerade die Bewegung für die Freilassung der Geiseln.