Israel-Krieg: Terror kann nicht durch Krieg bekämpft werden
Der Feldzug Israels erinnert an den gescheiterten "Krieg gegen den Terror". Sicherheit für Israel schafft das nicht. Das sehen auch gut 400 Friedensorganisationen so. Ein Kommentar.
Über den Krieg in Nahost ist ein internationaler Richtungsstreit entbrannt. Der UN-Generalsekretär António Guterres sprach sich früh für die Lieferung dringend benötigter Hilfsgüter und eine Feuerpause aus. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hingegen hatte sich beim EU-Außenminister-Treffen Anfang der Woche zunächst gegen eine solche Waffenpause gestellt.
Vor dem UNO-Sicherheitsrat am Dienstag sprach Baerbock dann von der Notwendigkeit sogenannter "humanitärer Fenster". Auf dem EU-Gipfel in Brüssel haben die EU-Staaten diese Haltung bekräftigt. Doch solch diplomatisch gewählten Formulierungen dürfen nicht vom Wesentlichen ablenken: Das Menschenrecht auf Gesundheit muss selbst im Krieg die Richtschnur des Handelns sein.
Die Lage in Gaza ist desaströs. Nach Angaben der UN gehen im Gazastreifen derzeit Wasser, Lebensmittel, Treibstoff, medizinische Versorgung und sogar Leichensäcke zur Neige.
Gerade Treibstoff wird etwa für Entsalzungsanlagen in Gaza benötigt. Einem Bericht zufolge stehen den Menschen in Gaza weniger als einen Liter Wasser pro Tag zur Verfügung.
Das von den UN empfohlene Minimum für das Überleben liegt bei 15 Litern pro Person und Tag.
Die UN warnt, dass die Menschen – insbesondere kleine Kinder – bald an schwerer Dehydrierung sterben werden. Stadtviertel wurden zerstört und in Schutt und Asche gelegt. Palästinenser:innen, die Sicherheit suchen, finden keinen Schutz.
Viele derjenigen, die aus dem nördlichen Gazastreifen in den Süden umgesiedelt sind, wurden Berichten zufolge bei ihrem Fluchtversuch oder nach ihrer Ankunft im südlichen Gazastreifen bombardiert.
Schon einmal ist der Versuch gescheitert, Terror mit Krieg zu besiegen. Der "Krieg gegen Terror" und die Nachfolgekriege haben laut Neta Crawford und Catherine Lutz vom "Costs of War"-Projekt der US-amerikanischen Brown University inzwischen 4,5 und 4,7 Millionen direkte und indirekte Todesopfer gefordert.
Der "Krieg gegen Terror" hat eine ganze Region ins Chaos gestürzt und riesige Fluchtbewegungen ausgelöst. Millionen syrischer, irakischer und afghanischer Flüchtlinge sind Leidtragende der verheerenden Militärinterventionen, an denen auch die deutsche Bundesregierung beteiligt war.
US-Präsident Joe Biden hat Israels Präsident Benjamin Netanjahu jüngst davor gewarnt, nicht die "Fehler" der USA nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu wiederholen.
Der Terror des politischen Islams wurde damals bis nach Europa getragen, nach Paris, Brüssel und Berlin. Heute schwappt der Hass über nach Europa. In Deutschland werden Synagogen angegriffen und Davidsterne auf die Türen jüdischer Häuser gezeichnet.
Das ist inakzeptabel und zutiefst erschreckend. Jüdische Künstler:innen, Schrifsteller:innen und Wissenschaftler:innen haben in einem Offenen Brief jüngst davor gewarnt, mit Repression und Zensur gegen arabische, muslimische und palästinensische Mitbürger:innen zu reagieren.
Diese Maßnahmen hätten ein Klima der Angst, der Wut und des Schweigens geschaffen. Es mache Juden und Jüdinnen nicht sicherer, wenn Deutschland das Recht auf öffentliche Trauerbekundung um verlorene Menschenleben in Gaza verweigere.
Unsere ärztliche Friedensorganisation IPPNW verurteilt die massiven Angriffe der Hamas auf Israel sowie die Entführungen scharf. Sie ist entsetzt über die Gewalt gegen israelische Zivilist:innen – darunter viele Frauen und Kinder.
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Genauso verurteilen wir die Tötung von Zivilist:innen; sie lösen die dem Krieg in Gaza zugrundeliegenden Konflikte nicht.
Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt muss endlich durchbrochen werden. Alle Akteure im israelisch-palästinensischen Konflikt müssen sich an die Prinzipien des internationalen Völkerrechts und der Menschenrechte halten.
Es gibt keinen Frieden ohne Verhandlungen und ein Ende der völkerrechtswidrigen israelischen Besatzungspolitik. Über die Freilassung der israelischen Geiseln hinaus muss daher ein umfassender internationaler politischer Verhandlungsprozess zu den zahlreichen ungelösten Fragen des Israel-Palästina-Konflikts wiederaufgenommen werden.
Damit sich sowohl die israelische Regierung als auch die Vertreter der Palästinenser sowie die Vertreter der umliegenden arabischen Staaten wieder an den Verhandlungstisch setzen können, sind Verhandlungen unerlässlich: für eine Waffenpause, für einen humanitären Korridor und für einen Waffenstillstand. Terroristische Anschläge, auch die der Hamas, lassen sich durch Krieg nicht bekämpfen.
Wir unterstützen daher den UN-Generalsekretär António Guterres in seiner Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand und der Einrichtung eines humanitären Korridors im Nahen Osten.
Dies fordern auch schon fast 400 internationale Organisationen in einem Aufruf von Crisis Action, dem sich die IPPNW angeschlossen ha.
Die palästinensischen Zivilist::innen werden von allen Konfliktparteien in Geiselhaft genommen. Eine komplette Abriegelung des Gazastreifens ist nicht mit humanitären Grundsätzen des Völkerrechts vereinbar.
Der UN-Sicherheitsrat, der UN-Generalsekretär und alle einflussreichen Staats- und Regierungschefs müssen unverzüglich Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass ein Waffenstillstand in Kraft tritt.
Dies ist unsere einzige Möglichkeit, weitere Verluste an Zivilist*innen und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
Dr. med. Angelika Claußen ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Sie ist Co-Vorsitzende der IPPNW sowie Präsidentin der IPPNW Europa.
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