Ist Deutschland zu kompliziert geworden?

Deutsche Bürokratie: Was sich in Jahrzehnten entwickelt hat, ist zu komplex und unübersichtlich geworden. Wie wäre es mit mehr situativer Intelligenz?

Die deutsche Bürokratie, die letztlich auf französische Wurzeln zurückgeht, hat sich in Deutschland als hierarchisches Verwaltungssystem etabliert, das auf die routinemäßige Bewältigung großer Arbeitsvolumina, insbesondere durch die Einhaltung streng definierter Rollen und Regeln, ausgelegt ist.

Verzicht auf Vertrauen in den Einzelnen

Sie zeichnet sich durch Kontinuität, Stabilität, Erfahrungsreichtum, die Anwendung bewährter Denkweisen und den Verzicht auf Vertrauen in den Einzelnen aus.

Es soll der Eindruck erweckt werden, dass alle gleich sind und niemand bevorzugt wird. Man will grundsätzlich alle Eventualitäten berücksichtigen, um dann festzustellen, dass man mit dieser "Rasenmähermethode" auch Vorgänge erwischt, deren Bearbeitung mehr Aufwand als Ertrag bringt.

Gerechtigkeit und Aufwand

Das mag am Ende gerecht erscheinen, ist aber letztlich kaum bezahlbar. Wenn das Lehrerkollegium einer Schule im Lehrerzimmer eine gemeinsame Kaffeekasse führt, wird es von der deutschen Finanzverwaltung als sogenannte Kaffeegemeinschaft angesehen und ist damit umsatzsteuerpflichtig.

Auch Kommunalverwaltungen, die z.B. Kopien von Dokumenten beglaubigen, sind für solche Leistungen, die sie nicht ausschließlich erbringen, umsatzsteuerpflichtig. Dass der Aufwand für die Abführung und Abrechnung der Umsatzsteuer letztlich höher ist als das Steueraufkommen, ist im Sinne der Steuergerechtigkeit irrelevant.

Überkommene Vorschriften und Regulierungen abschaffen

Mit der deutschen Schaumweinsteuer wollte Kaiser Wilhelm II. Die deutsche Aufrüstung finanzieren. Die Flotte ruht längst auf dem Meeresboden, die Steuer ist bis heute fällig.

Auch bei Kaffee und kaffeehaltigen Waren hält der Fiskus die Hand auf. Pro Kilo Röstkaffee werden gut zwei Euro Kaffeesteuer fällig, letztlich zulasten der Kaffeepflücker, die für ein Kilo geernteten Kaffee nur wenige Cent erhalten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es sich bei der Kaffeesteuer um eine deutsche Steuer handelt, denn die Zolleinnahmen in der EU stehen Brüssel zu.

Die 1949 eingeführte deutsche Teesteuer, die ursprünglich je nach Qualität zwischen 15,00 und 19,48 DM pro Kilogramm Tee betrug und Tee zu einem beliebten Schmuggelgut machte, wurde 1953 auf 3,00 DM gesenkt und zum 1. Januar 1993 ganz abgeschafft.

Kirche und Staat im Bildungsbereich

Nicht nur bei den Verbrauchssteuern gibt es hierzulande althergebrachte Traditionen. Dazu gehört auch die enge Verflechtung von Kirche und Staat im Bildungsbereich. Dabei geht es keineswegs nur um staatlich finanzierte Privatschulen, sondern auch um den Bereich der Universitäten.

Bei den in Bayern und Freiburg vereinbarten sogenannten Konkordatslehrstühlen, die vor allem die Fächer Theologie und Geschichte betreffen, hat die katholische Kirche ein Einspruchsrecht bei der Besetzung.

Im badischen Freiburg geht dies auf das badische Konkordat zwischen der römisch-katholischen Kirche in Baden und dem badischen Staat zurück. Inzwischen können im Fach Geschichte auch Professoren berufen werden, die nicht der katholischen Kirche angehören.

Vergleichbare Verträge gibt es auch für Universitäten in anderen Bundesländern. In Bayern wollen die Bischöfe ihr Vetorecht inzwischen nicht mehr ausüben.

Regionalverbände als bürokratiearme Zone

Aber selbst in Deutschland gibt es seit Jahrzehnten Tendenzen, staatliche Einrichtungen von lähmender Bürokratie zu befreien. Dazu gehören auch die 1973 gegründeten Regionalverbände in Baden-Württemberg, die als Anstalten des öffentlichen Rechts anders strukturiert sind als herkömmliche Behörden.

Telepolis nahm die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Regionalverbands Südlicher Oberrhein (RVSO) zum Anlass, dem Verbandsdirektor Wolfgang Brucker drei Fragen zu stellen.

Ermöglicht eine schlanke Struktur mit nur 15 Mitarbeitern und ein Standort außerhalb der Verwaltungscluster mehr Bürokratiefreiheit?

Wolfgang Brucker: Der Regionalverband erfüllt als Träger der Regionalplanung und der Landschaftsrahmenplanung staatliche Aufgaben. Er tritt darüber hinaus als Impulsgeber in vielen Fragen der Raumentwicklung sowie als Sprachrohr der Region auf.

Hierfür haben wir eine eigenständige und schlagkräftige Verwaltung mit derzeit rund 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und ein politisches Gremium, die Verbandsversammlung. Diese Struktur reduziert bürokratischen Aufwand, sie sichert aber auch die demokratischen Grundlagen unseres Wirkens und unserer Entscheidungen.

Diese demokratische Legitimierung darf dem zweifelsfrei erforderlichen Bürokratieabbau nicht geopfert werden.

Wer hat den Nutzen von der Regionalverbandsarbeit?

Wolfgang Brucker: Den Nutzen haben alle. Denn unsere Aufgabe ist es, alle Ansprüche an den Raum miteinander in Einklang zu bringen, zwischen verschiedenen Flächenbedarfen und Raumnutzungen zu vermitteln und diese auszugleichen.

Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Lebensqualität, die wirtschaftliche Stärke, die Entwicklung des Mobilitätssystems, die Artenvielfalt u. v. a. in der Region.

Wie wird die Arbeit des Regionalverbandes finanziert?

Wolfgang Brucker: Die Regionalverbände erhalten einen Zuschuss des Landes, welcher heute jedoch nur noch einen untergeordneten Teil der Finanzierung ausmacht. Der größere Teil unseres Haushalts speist sich aus einer Umlage, die wir von den vier Stadt- und Landkreisen unserer Region einziehen. Dazu kommen projektbezogene Dritt- und Fördermittel der EU, des Bundes und des Landes.

Nicht alle staatlichen Behörden können jedoch in den deutschen Verwaltungsstrukturen außerhalb der üblichen Bürokratie angesiedelt werden. In kulturell anders geprägten Regionen verzichtet man grundsätzliche auf eine den europäischen Verhältnissen ähnelnde Bürokratie und kann damit vielfach deutlich schneller sein.