Ist die Marktwirtschaft alternativlos?
- Ist die Marktwirtschaft alternativlos?
- Weitergabe von Erfahrungen und Erkenntnissen zwischen Betrieben
- Wettbewerb muss nicht Konkurrenz sein
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Preise und Werte und der Anspruch einer Gesellschaft, ein gutes Leben anzustreben. Es geht um eine Kultur, in der Menschen füreinander arbeiten und tätig sind. Wie über eine nachkapitalistische Gesellschaft nachdenken?
Trotz aller Aufmerksamkeit für die verschiedenen Sorten des Marktversagens dominiert in modernen westlichen Gesellschaften die Akzeptanz der Marktwirtschaft. Dieser Artikel stellt in Bezug auf einige Grundfesten der Marktwirtschaft die eingefahrene Überzeugung infrage, sie sei alternativlos.
Märkte als ideale Koordination für anonyme und flüchtige Geschäftsbeziehungen
Unternehmen haben Vorbehalte, ihre Geschäftspartner wegen kleiner Kostenvorteile zu wechseln. Sie wissen es zu schätzen, sich auf zuverlässige Geschäftspartner verlassen zu können. Die Vorstellung vom Markt als Produktion von Waren für unbekannten Bedarf hat bereits heute mit der Realität nur eingeschränkt etwas zu tun.
Viele Produktionsmittel, aber auch Leistungen für den öffentlichen Konsum setzen "vorherige Abstimmung und Vereinbarungen zwischen Auftraggebern und -nehmern voraus." Hinzu kommen "in vielen Bereichen der Industrie zwischen- und überbetriebliche Kooperationen, die bis zur gemeinsamen Produktentwicklung und Produktionsplanung reichen können; Beispiele sind die Hersteller-Zulieferer-Beziehungen in der Autoindustrie, Cooperative commerce oder auch jede Großbaustelle" (Imhof 2004, 64). Bei größeren technischen Anlagen gibt es öffentliche Ausschreibungsverfahren.
Man geht doch nicht in den Supermarkt, um dort hydroelektrische Turbinen für eine Talsperre zu kaufen; diese werden unter Angabe sehr genauer, bis ins kleinste Detail gehender Präzisierungen bestellt. Sogar wenn das durch eine öffentliche Ausschreibung geschieht, ist es doch nicht das gleiche wie die "Zuteilung über den Markt". Die verschiedenen Kostenvoranschläge bedeuten doch nicht, dass tatsächlich verschiedene Produkte hergestellt werden, unter denen man dann eine Auswahl treffen kann.
Ernest Mandel (S. 15)
Die beschriebenen ökonomischen Beziehungen unterscheiden sich von anonymen und flüchtigen Kontakten auf Märkten.
Verstetigung von Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern
Anstrebenswert ist es, die Einspruchsrechte von Kundenverbänden gegenüber Unternehmen auszuweiten. Kunden sind auf Märkten dann nicht mehr vereinzelt.
Sie können durch direkte Rückmeldung (voice) auf Angebote reagieren. Damit sinkt die Notwendigkeit, zu anderen Anbietern abwandern zu müssen (exit) und nur dadurch auf undeutliche Weise Rückmeldung geben zu können.
Zusammensetzungsfehlschluss
Die klassische Begründung für Marktwirtschaft lautet: Nur wenn jeder an sich denkt und seinen Privatinteressen folgt, ist der Allgemeinheit am meisten gedient (Adam Smith 2009, 524). Dieses Argument sieht ab vom Gegensatz zwischen individuellen rationalen Einzelentscheidungen und einem gesamtgesellschaftlichen "sozialen Optimum".
In einer Wirtschaftsrezession kann es für den einzelnen Betrieb rational sein, die Produktion und die Investitionen zurückzufahren. Tun das viele Betriebe, so sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und das verschärft die Rezession noch weiter.
Wenn viele das Einfamilienhaus im Grünen der Stadtwohnung vorziehen, so trägt das zur Zersiedelung bei. Märkte registrieren die Nachfrage von jedem Einzelnen nach (s)einem Auto. In der Marktwirtschaft ist kein Raum dafür, über die Einführung eines neuen zentralen Produkts unter öffentlicher Beratung über seine indirekten und nichtbeabsichtigten zukünftigen Nebenfolgen zu entscheiden.
Die Frage "Will jeder einzelne ein Auto" unterscheidet sich von der Frage "wollen alle, dass alle Autos wollen bzw. individuell Auto fahren? Wollen alle die daraus resultierende 'autogerechte Stadt'?" Die Entscheidungen von Käufern bewegen sich zwischen einzelnen Angeboten. Alternative Gesamtzustände können sie nicht nachfragen. "Wahlmöglichkeit im kleinen garantiert keine Wahlmöglichkeit im großen" (Elson 1990, 75).
Soll der vereinzelte Wunsch in seinem massenhaften Auftreten nicht zerstören, was er will, so muss die Marktwirtschaft überschritten werden. "Wahlmöglichkeit im Großen" heißt: Die Bevölkerung kann beraten und entscheiden bspw. über das Verhältnis zwischen privatem Autoverkehr und einem öffentlichen Verkehrssystem.
Seit langem gibt es Auseinandersetzung über die problematischen Folgen bestimmter Güter- und Dienstleistungsangebote – vgl. die Kontroversen um die Umwelt- und Verkehrspolitik. Notwendig werden gesellschaftliche Entscheidung über Proportionen z. B. zwischen öffentlicher Daseinsfürsorge bzw. öffentlichen Gütern und privatem Konsum.
Grundlegende Entscheidungen
In einer Gesellschaft des guten Lebens hat die Entscheidung über die Bereitstellung von Investitionsmitteln für bestimmte Projekte bzw. Betriebe die verschiedenen dabei maßgeblichen Ziele gegeneinander abzuwägen:
- Auswirkung des Arbeitens und der Produkte auf die Lebensqualität der Kunden, der Arbeitenden und der von Konsum und Arbeit indirekt Betroffenen,
- Notwendigkeiten im Rahmen der modernen Produktion, Technologie, Organisation und Vernetzung sowie
- ökologische Belange.
Schon heute werden staatliche Forschungsmittel, Projektgelder von Stiftungen, aber auch die Kredite ethischer Banken (wie der GLS-Bank) […] auf der Grundlage inhaltlicher Kriterien (also nicht nur von Gewinnaussichten) durch eine plural zusammengesetzte Kommission vergeben.
Raul Zelik (S. 219)
Freunde der Marktwirtschaft halten die "generelle Öffnung des potentiellen Interaktionsfeldes auf eine unübersehbare Vielzahl verschiedenartiger Tauschpartner" (Geser 1983, 112) für die einzige Gewähr dagegen, dass es zu Filz oder zu Klüngel kommt.
Dagegen helfe nur der Markt als vermeintlich "offenes, fluides Feld von stets reversiblen und ad hoc initiierbaren Interaktionsverhältnissen" (Ebd., 113). Gewiss existiert hier die Gefahr, dass Antragsteller informell diejenigen, die entscheiden, zu beeinflussen versuchen.
Dem ließe sich entgegenwirken, indem man z. B. Anträge anonymisiert, die Entscheidungsgremien demokratischer Kontrolle unterwirft und ein polyzentrisches Netz zur Mittelvergabe schafft. Wenn nicht ein einziges Ministerium, sondern viele Stellen und Stiftungen öffentliche Gelder vergeben, würde verhindert, dass sich Verfügungsmacht konzentriert.
Raul Zelik (S. 222)