Ist die Marktwirtschaft alternativlos?

Seite 2: Weitergabe von Erfahrungen und Erkenntnissen zwischen Betrieben

Betriebsgeheimnisse sorgen dafür, dass Arbeitskollektive und Forschungs- und Entwicklungsprojekte sich gegeneinander abschotten.

In gegenseitigen Hospitationen und Beratungen wäre es – unter Voraussetzung der Überwindung des Privateigentums – möglich, dass Arbeitende aus verschiedenen Betrieben voneinander lernen, sich untereinander über best practice-Vorgehensweisen auseinandersetzen und sich etwas voneinander abgucken.

Gegenwärtig stellt sich erst auf den Märkten heraus, ob das Produkt den gesellschaftlich durchschnittlichen Standards entspricht, sie übertrifft bzw. sie unterbietet. "Das, was selbstverständlich geschehen muss, wenn man an verschiedenen Produktionsstätten erzeugt, der Ausgleich der Erzeugungsmethoden" und Produktionsbedingungen innerhalb einer Branche vollzieht sich in der Marktwirtschaft über "den antagonistischen Konkurrenzkampf" inklusive der Vernichtung von Betrieben (Leichter 1923, 32).

Statt diesen Umweg zu gehen, "wäre es viel einfacher und zweckmäßiger, man würde […] die Geheimnistuerei lassen und sich […] in den verschiedenen Werkstätten zusammensetzen können, um solidarisch miteinander die Erfahrungen der Produktion auszutauschen und den Erzeugungsprozess zu verbessern" (Ebd., 31).

Eine Entwicklung in diese Richtung stellt die von Volkswagen und Amazon Web 
Services aufgebaute Volkswagen Industrial Cloud dar.

Mit ihr "werden künftig die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen 122 Fabriken des Volkswagen Konzerns zusammengeführt. […] Langfristig geht es auch um die Integration der globalen Lieferkette des Volkswagen Konzerns mit über 30.000 Standorten von mehr als 1.500 Zulieferern und Partnerunternehmen. Gemeinsam mit Amazon Web Services legt Volkswagen seine Industrial Cloud deshalb als offene Industrie-Plattform an, die perspektivisch auch weitere Partner aus Industrie, Logistik und Handel nutzen können."

Das Privateigentum am Betrieb und die Konkurrenz zwischen Betrieben stehen aber im Gegensatz zur Kooperation über Betriebsgrenzen hinaus.

Mit der Datenweitergabe an Zuliefererbetriebe gehen vor allem hochinnovative Unternehmen ein großes Risiko ein: Sie verlieren das alleinige "Herrschaftswissen" über die betriebsinternen Daten. Ein Unternehmer, der sein Know-how mit Dritten teilen muss, kann seinen Wettbewerbsvorsprung schnell verlieren

Arthur Wöhe (S. 354)

Er riskiert, dass Netzwerkpartner erfolgreiche Praktiken kopieren und in der Konkurrenz gegen ihn wenden.

Selbst wenn durch gegenseitige Beratung ein bewusster Ausgleich der Arbeitsaufwände der einzelnen Betriebe innerhalb einer Branche erreicht werden könnte, bleibt offen, welche der qualitativ verschiedenen Produkte bzw. Dienstleistungen von den Kunden mehr nachgefragt werden als andere.

Entsprechende Voraussagen sind für das Gelingen einer Planwirtschaft erforderlich, konnten aber bisher nicht befriedigend geleistet werden.

Auch entkräftet das Argument der beschriebenen branchen-internen Konsultationen nicht die These, allein auf Märkten könne sich herausstellen, in welchen Proportionen die vielen von ganz verschiedenen Branchen angebotenen Produkte und Dienstleistungen zueinander stehen. Die zentrale Planungsbehörde weiß infolge der Arbeitsteilung, Spezialisierung und den dezentralen Wissensbeständen und Kompetenzen nicht, was im Einzelnen zu tun ist.

Umgekehrt wissen die einzelnen Betriebe nicht Bescheid über die Anforderungen, die sich aus einer gesamtgesellchaftlich sinnvolle Vernetzung der vielen Handlungsketten ergeben. Eine Verstaatlichung der Wirtschaft schafft noch keine bewusste und kooperative Vergesellschaftung.