Ist die Marktwirtschaft alternativlos?

Seite 3: Wettbewerb muss nicht Konkurrenz sein

Wettbewerb zur Ermittlung der "besten Ideen und Lösungen" kann stattfinden "innerhalb von übergeordneten Kooperationsstrukturen". Der Sieger "genießt soziale und fachliche Anerkennung, das ist Anreiz genug, kreativ und fleißig zu sein. Ähnlich funktionierten die längste Zeit Wissenschaft und Sport: Anerkennung durch andere Menschen war ausreichender Ansporn" (Felber 2008, S. 128f.).

Von der Konkurrenz im Kapitalismus unterscheidet sich das ums Ganze. Für sie gilt: the winner takes it all. Alle müssen sich so stark wie möglich anstrengen, aber nur der Gewinner bekommt den Gewinn. Es wird in Summe sehr viel mehr Aufwand getrieben als nötig ist. Der erfolgreiche bzw. der kapitalstärkere Konkurrent verdrängt den Verlierer auf lange Sicht aus dem Geschäftsfeld.

Dominant ist in der nachkapitalistischen Gesellschaft ein anderer Antrieb: Es geht um eine Kultur, in der Menschen füreinander arbeiten und tätig sind (vgl. Creydt 2022). Wir finden bereits im Kapitalismus viele Arbeitende vor, die sich in ihrer Arbeit nicht allein an pekuniären Vorteilen orientieren, sondern arbeitsinhaltlichen Maßstäben folgen und durch ihre Tätigkeit dazu beitragen wollen, die Welt ein wenig besser zu hinterlassen (vgl. Creydt 2014, Teil I).

Motive für Innovationen sowie für effizientes Arbeiten existieren also auch ohne Konkurrenz und Privateigentum. Zudem setzen Innovationen häufig große Forschungstätigkeiten voraus. Sie sind mit hohen Kosten verbunden, und es ist im Einzelfall schwer abschätzbar, ob Forschung zu profitablen Anwendungen führt.

Insofern bedürfen Forschungstätigkeiten häufig staatlicher oder halbstaatlicher Einrichtungen bzw. Finanzierung. Damit entfällt ein weiteres Argument für die These, ohne Privateigentum und Konkurrenz könne es keine Innovationen geben. (Vgl. dazu Mazzucato 2014 und die Debatte um dieses Buch.)

Als zentraler Vorteil des Marktes wird die Leistung des Preismechanismus angesehen, "jeder Art von knappen Mitteln" einen "numerischen Index" zuzuordnen, "der nicht von irgend einer physischen Eigenschaft abgeleitet ist, die das einzelne Ding besitzt, sondern der seine Bedeutung im Hinblick auf den ganzen Komplex von Mittel-Zweck-Verhältnissen wiedergibt oder in dem diese sich ausdrückt" (Hayek 1976, 113).

Der Marktteilnehmer braucht nun "bei jeder kleinen Veränderung nur diese quantitativen Indices (oder 'Werte') zu betrachten, in denen alle relevanten Informationen enthalten sind" (Ebd.). Der Markt enthalte ein "System von Fernvermittlungen, das die einzelnen Produzenten instand setzt, nur mit Hilfe der Beobachtung von ein paar Zeigern […] ihre Tätigkeit an Änderungen anzupassen, von denen sie nie mehr zu wissen brauchen, als sich in der Preisbewegung widerspiegelt" (Ebd., 115).

Das mag für die Aufgabe stimmen, herauszufinden, ob das jeweilige Produkt unter oder über dem gesellschaftlich durchschnittlichen notwendigen Aufwand liegt und auf zahlungsfähige Nachfrage trifft. Die diesbezüglichen Informationen über Veränderungen lassen sich über Preissignale in den Ketten der Vor- und Hilfsprodukte einer Ware schnell weiterleiten.

Als problematisch erweist sich aber die Behauptung, alle relevanten Aspekte des Wirtschaftsgutes in einem numerischen Index darstellen und alle einschlägigen Sachinformationen in einem leicht handhabbaren quantitativen Informationsinhalt bündeln zu können.

Beispiele für bereits gegenwärtig existierende qualitative Indikatoren sind: die Materialintensität pro Serviceeinheit (MIPS), der DGB-Index "gute Arbeit" und der Human-Development-Index.

Diese qualitativen Indikatoren gibt es aufgrund einer Erfahrung: Preise sind unterkomplexe Informationskonzentrate. Sie sind nicht in der Lage, das Konsequenzenspektrum wirtschaftlichen Handelns in aller Breite sichtbar zu machen. Vieles, wofür sich kein Marktpreis bildet bzw. nicht bilden kann (z. B. Lebensqualität des Arbeitens, Gesundheit u. a.), entzieht sich monetärer Bewertung.

Marktpreise reagieren überdies auf aktuelle Knappheiten (z. B. des Erdöls) und berücksichtigen nicht zukünftige Knappheiten. Die These stimmt nicht, die Preisen seien eine Kurzschrift, mit der sämtliche maßgebliche Informationen in Bezug auf die relativen Nutzen und Kosten auf kostensparende Weise kommuniziert werden können. Schlussendlich kennen Marktwirtschaftler von vielem den Preis, nicht aber den Wert.

Veränderung der Bilanzierung

Bereits in der Gegenwart breiten sich Produktlinienanalysen, Umweltbilanzen, Umweltverträglichkeitsprüfungen und Technikfolgeabschätzungen aus. Diese Wissensinfrastruktur vergegenwärtigt die mit den Produkten, der Produktion und dem Verbrauch verbundenen Effekte, Voraussetzungen und Rückkoppelungen.

Anstrebenswert ist eine alle Voraussetzungen und Wirkungen des jeweiligen Betriebs umfassende Bilanzierung und ein nicht ausschließlich finanzielles, sondern auch die qualitativen Indikatoren einschließendes Rechnungswesen.

Viele Unternehmen fertigen bereits Sozial- und Umweltbilanzen an. Es gilt, sie weiter zu entwickeln, sie in umfassende Bilanzen zu integrieren und diese zur Grundlage wirksamer Steuerung zu machen. Erforderlich wird ein "stofflich-vieldimensionaler Wertbegriff" im Unterschied zur Maxime "Wert ist, was Geld kostet oder bringt" (Freimann 1984, 22).

Die "auf Wettbewerbsfähigkeit verkürzte Überlebenssicherung" der Betriebe kann ebensowenig länger im Zentrum stehen (Pfriem 2011, 231) wie deren Eigennutzenmaximierung auf Kosten der Arbeitenden, der Mit- und Umwelt.

Einen viel versprechenden Ansatz bilden die gegenwärtigen Konzepte zu "Nachhaltigkeits-" bzw. "Gemeinwohlbilanz". Wer fragt, wie eine "Nachhaltigkeitsbilanz" oder "Gemeinwohlbilanz" aussehen kann, findet dazu Vorschläge bei Bender, Bernholt, Winkelmann (2012, 137-143) oder bei Christian Felber.1

Dass diese Autoren sich Illusionen über die Grenzen dieser Bilanzen in der kapitalistischen Ökonomie machen, mindert nicht den Wert der Konzepte für das Nachdenken über eine nachkapitalistische Gesellschaft. (Zum in diesen Bilanzen (noch ?) nicht gelösten Problem der "Umrechnung" von Qualität auf Quantität ("Bilanzpunkte") vgl. Creydt 2021, § 6.)

Die mehrdimensionale Wertrechnung, die auch die schwer bezifferbaren Qualitäten berücksichtigt, "führt, anders als die herkömmliche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, zu keinem ein-deutigen (oder ein-äugigen) Maßstab ökonomischen Handelns. Der Grad gesellschaftlicher Wohlfahrt kann nur durch Abwägung […] von quantitativen und qualitativen Faktoren (Lebensstandard und Lebensqualität) bestimmt werden, muss also durch politischen Dialog entschieden werden. Dies ist ein Nachteil hinsichtlich der modelltheoretischen Praktikabilität, entspricht jedoch in weit höherem Maße der Realität als die Reduktion ökonomischen Handelns auf monetarisierte und kommerzielle Vorgänge" (Hauchler 1985, 56).

Es "verleitet ein […] aggregierter Bilanzierungsversuch tendenziell dazu, die Komplexität sozialer Phänomene durch Homogenisierung zu übergehen" (Pfriem 2011, 188). Solche Konzepte stoßen an die Grenze der Unvergleichbarkeit qualitativ verschiedener Güter und Arbeiten.

Wir haben in diesem Artikel nicht sämtliche Argumente für Märkte als zentrale Institution wirtschaftlicher Vermittlung diskutiert, sondern uns auf diejenigen konzentriert, die in einer Gesellschaft des guten Lebens massiv an Geltung einbüßen. Notwendig wird die Ablösung der herkömmlichen eindimensionalen betriebs- und volkswirtschaftlichen Rechnungsweisen durch "mehrdimensionale Erfolgskonzepte" (Ebd.).

Die Überwindung der herkömmlichen betriebs- und volkswirtschaftlichen Rechnungsweisen "durch eine komplexere Wertorientierung zerstört die (scheinbare) Rechenhaftigkeit, Eindeutigkeit und 'Eleganz' der ökonomischen Modelle. Das ist unbequem und desillusionierend" (Hauchler 1985, 58), wird aber angesichts der Unterkomplexität dieser Modelle gegenüber der Realität erforderlich.