Ist eine "Null-Covid-Strategie" sinnvoll, aber nicht durchführbar?

Seite 2: Aktionsplan für europäische Maßnahmen gegen Coronavirus-Mutanten

Angesichts der beunruhigenden Tatsachen, dass sich in den letzten Wochen stärker virulente SARS-CoV-2- Mutanten in Großbritannien, Südafrika und Brasilien entwickelt haben, sich von dort aus verbreiten und wahrscheinlich auch bei uns schon teilweise auf dem Vormarsch sind, hat der oben genannte Kreis von Fachleuten am 21.1.2021 in The Lancet einen zweiten erweiterten Aufruf mit einem konkreten paneuropäische Aktionsplan zur Abwehr der Coronavirus-Varianten veröffentlicht2.

Darin heißt es: Die Covid-19-Fälle sind in ganz Europa sehr hoch. Die derzeitigen Maßnahmen reduzieren die Ausbreitung der Viren nicht ausreichend, und es entstehen neue SARS-CoV-2-Varianten mit neuen epidemiologischen Eigenschaften. Diese deuten darauf hin, dass sie eine höhere Übertragbarkeit haben als die ursprüngliche Variante.

Wenn das zutrifft, werden viele Länder, in denen es gelungen ist, den Reproduktionsfaktor R auf 1 oder darunter zu senken, trotz der aktuellen Maßnahmen mit einer neuartigen Welle der viralen Ausbreitung konfrontiert sein. Sobald sich eine ansteckendere Variante etabliert hat, wird die Stabilisierung der Zahl der Neuinfektionen immer schwieriger.

Trotz der Verfügbarkeit wirksamer Impfstoffe wird die Produktion zur Deckung der Nachfrage und die Einführung von Impfprogrammen viele Monate in Anspruch nehmen. Die Länder werden die hohen Fallzahlen und ihre negativen Auswirkungen noch in den nächsten Monaten bewältigen müssen.

Mit langsam zunehmender Immunität der Bevölkerung und dem evolutionären Selektionsdruck auf das Virus wird die Entstehung neuer SARS-CoV-2-Varianten anhalten, was möglicherweise zu ansteckenderen Mutanten und vielleicht sogar zu solchen führen wird, für die bestehende Impfstoffe weniger wirksam sind. Solche Varianten könnten die Krise schnell verschärfen, lange bevor genügend Menschen geimpft worden sind.

Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, um die Verbreitung neuartiger Varianten zu verhindern, werden die Fallzahlen und Krankenhauseinweisungen zunehmen. Ein drastischer Anstieg der Neuinfektionen könnte in der Folge zum Zusammenbruch der Gesundheitssysteme führen. Viele Intensivstationen sind bereits jetzt am Rande ihrer Leistungsfähigkeit, und nicht dringende Behandlungen in den Krankenhäusern wurden und werden um Wochen oder Monate verschoben.

Wenn Varianten wie die B.1.1.7 aus Großbritannien zu einem neuen Anstieg der Fälle führen, könnte dies die Angehörigen des Gesundheitswesens überfordern und die Gesundheitssysteme an den Rand des Zusammenbruchs bringen.

Deshalb muss Europa jetzt handeln, um eine weitere Verbreitung des Coronavirus und seiner Varianten zu stoppen. Es muss ein klarer Plan für sofortiges gesamteuropäisches Handeln und für die rasche Etablierung von Maßnahmen zur öffentlichen Gesundheiterhaltung ausgearbeitet werden, da neue Varianten mit erhöhter Infektiosität wahrscheinlich auch weiterhin entstehen werden.

Als Kernelemente werden die unten aufgeführten Maßnahmen vorgeschlagen. Der Leitgedanke ist, wie schon oben aufgeführt, die Fallzahlen so schnell wie möglich zu reduzieren, da dies starke Vorteile für Gesundheit, Gesellschaft und Wirtschaft hat. Die gemeinsame Aktion aller europäischen Länder wird jede nationale und lokale Anstrengung wirksamer und wirkungsvoller machen.

Je länger die derzeitigen halbherzigen und widersprüchlichen Beschränkungen andauern und je weniger effektiv sie werden, desto eher werden die psychologischen, sozialen und wirtschaftlichen Ressourcen der Menschen erschöpft sein. Wenn neue Varianten noch strengere und längere Maßnahmen erfordern als die bestehenden Maßnahmen, ist es von größter Bedeutung, dafür zu sorgen, dass Menschen mit besonders hohen Belastungen finanzielle, soziale und gesundheitliche Unterstützung erhalten und die Verteilung der Lasten ausgeglichen und gerecht gestaltet wird.

Die Grundprinzipien des Handelns bestehen darin, den Import neuer Varianten zu vermeiden, deren Ausbreitung zu verhindern und die molekulare Überwachung der aktiven Viruspopulationen zu verbessern. Je früher und effektiver die Länder handeln, desto früher können die Beschränkungen danach gelockert werden.

Alle Arten von Maßnahmen sollten in ganz Europa koordiniert und synchronisiert werden. Jede zusätzliche Verringerung der Ansteckung (d. h. von R) zählt, da sie die notwendige Dauer strenger Maßnahmen mehr als proportional reduziert.

Folgende Kernmaßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Europa sollten durchgeführt werden:

1. Mit einer klaren Präventionsstrategie niedrige Fallzahlen erreichen und aufrechterhalten:

  • Klare Ziele definieren und die Motivation, diese zu erreichen, neu beleben; klar definieren, welche Ziele für die Aufhebung der Maßnahmen zu erreichen sind, und die Gründe dafür erläutern; überzeugend vermitteln, dass der Kampf gegen die Pandemie eine gemeinsame Anstrengung erfordert, die im Interesse aller Bürger liegt; angemessene soziale und wirtschaftliche Unterstützung für die Bedürftigen gewährleisten.
  • Frühzeitig handeln: Maßnahmen zur Eindämmung durchführen, bevor die Fallzahlen steigen.
  • Auffordern, die Anzahl der physischen Kontakte mit anderen Personen zu reduzieren: Treffen mit so wenigen verschiedenen Personen wie möglich; Umsetzung der Arbeit im Home-Office und Verbesserung der Online-Beschulung; kleine, stabile soziale Gruppen zu Hause und am Arbeitsplatz sind wechselnden Kontakten vorzuziehen.
  • Ansteckungen verhindern durch individuelle Maßnahmen wie Abstandsregeln, Hygiene, Gesichtsmasken, Belüftung und Verwendung von Filtern, geschlossene und überfüllte Räume meiden und bei Krankheitssymptomen zu Hause bleiben; FFP2-Masken für Bedürftige und alle, die nicht von zu Hause aus arbeiten können.

2. Überwachung der Ausbreitung des Virus und einzelner Varianten:

  • Testen, verfolgen, isolieren, unterstützen: Durchführen einer obligatorischen Isolierung von Personen mit bestätigten Infektionen und Förderung der vorbeugenden Quarantäne von Verdachtsfällen; betroffene Personen und Familien sind zu unterstützen.
  • Vorbeugende Screenings durchführen und testen: Tests an Schulen und am Arbeitsplatz kostenlos anbieten, um Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und Menschen zu schützen; Erhöhung der Testkapazität zur Deckung der Nachfrage; Abwasserüberwachung einrichten, um lokale Ausbrüche zu erkennen.
  • Erhöhen der genetischen Sequenzierung und PCR-basierte Detektion der B.1.1.7-Variante sowie anderer Varianten des Coronavirus.

3. Das Virus an den Grenzen stoppen und die besonders Vulnerablen schützen:

  • Reisen innerhalb und über nationale Grenzen hinweg reduzieren und Tests und Quarantäne für grenzüberschreitende Reisende einführen; Tests sollten 24 Stunden vor der Reise und 7–10 Tage nach der Reise erforderlich sein; Quarantäne für Personen, die aus Ländern mit hoher lokaler Neuinfektionsrate mit Covid-19 oder verdächtigen Varianten einreisen.
  • Verbesserung des Schutzes und der Unterstützung älterer und schutzbedürftiger Gruppen; den europäischen Austausch über erfolgreiche Strategien und Maßnahmen zur Beschleunigung der Fortschritte auf diesem Gebiet fördern.

4. Steigerung der Wirksamkeit und der Schnelligkeit der Impfung:

  • Beschleunigung der Impfung: Verbesserung der Impfstoffversorgung, -bereitstellung und -zuteilung durch gegenseitiges Lernen und internationale Zusammenarbeit; die Bemühungen zur Förderung der Impfstoffproduktion sind zu koordinieren.
  • Überwachen von Infektionen bei geimpften Personen, um eine mögliche Reinfektion mit neuen Varianten oder ein mangelhaftes Impfmanagement so schnell wie möglich zu erkennen.
  • Beantworten von dringenden Fragen durch internationale Zusammenarbeit; Forschung, um die Impfprozeduren zu verbessern, um die Logistik zu optimieren und die Impfbereitschaft mit Hilfe von Daten aus weiteren Ländern zu erhöhen.

Wie Peter Mühlbauer in einem Telepolis-Artikel am 28.1.2021 beschrieben hat, ist es dieser Initiative gelungen, bis in die Lobby der Staatsführung vorzudringen (No Covid: Zonengrenzen statt Ländergrenzen). Bei dem letzten Corona-Gipfel konnten Melanie Brinkmann und Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig das Papier "Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2"3 vorstellen, das von der oben genannten Gruppe von Wissenschaftlern erarbeitet worden war.

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