Ist eine "Null-Covid-Strategie" sinnvoll, aber nicht durchführbar?

Seite 3: "Zero Covid" zeigt, wie eine Strategie solidarisch umgesetzt werden könnte

Unter dem Hashtag #ZeroCovid wurde am 12.1.2021 ein Plan für einen solidarischen europäischen Shutdown veröffentlicht, der inzwischen über 90.000 Unterzeichner gefunden hat. Er stützt sich auf den oben dargestellten internationalen Aufruf von WissenschaftlerInnen für die konsequente Eindämmung der Covid-19-Pandemie, geht aber über diese Vorschlägen vor allem auf dem Gebiet der Sozialpolitik weit hinaus.

Wie bei der Initiative der WissenschaftlerInnen ist Ausgangspunkt die Einschätzung, dass die bisherige Strategie der Eindämmung der Pandemie ("Flatten the Curve") gescheitert ist. Stattdessen wird ein Strategiewechsel in Form einer "solidarischen Pause" für einige Wochen vorgeschlagen, bei dem die Kontakte auf ein Minimum reduziert werden, und zwar nicht nur im Freizeitbereich, sondern auch am Arbeitsplatz. Nach Vorstellungen der Autoren von ZeroCovid sollen auch gesellschaftlich nicht dringend erforderliche Bereiche der Wirtschaft für eine kurze Zeit stillgelegt werden.

Dieses Vorgehen soll mit umfassenden sozialpolitischen Maßnahmen flankiert werden. Dazu gehören ein umfassendes Rettungspacket für Menschen, die von den Auswirkungen des Shutdowns besonders hart getroffen werden, wie solche mit niedrigem Einkommen und in beengten Wohnverhältnissen.

Da diese und weitere notwendigen Maßnahmen viel Geld kosten, wird die Einführung einer europaweiten Solidaritätsabgabe auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und höchste Einkommen gefordert.

#ZeroCovid spricht sich auch für den Ausbau einer sozialen Gesundheitsinfrastruktur einschließlich der Rücknahme der bisherigen Privatisierungen und Klinikschließungen aus, wobei die Finanzierung der Krankenhäuser über Fallpauschalen durch eine solidarische Finanzierung ersetzt werden sollte.

Weiterhin wird die Position vertreten, dass Impfstoffe ein globales Gemeingut und ein Ergebnis der kreativen Zusammenarbeit vieler Menschen sind und deshalb der privaten Profiterzielung entzogen werden sollten.

Marcus Hammerschmitt hat in einem lesenswerten Artikel am 18.1.2021 in Telepolis ZeroCovid-Initiative kommentiert und schreibt:

Die Einwände gegen den Text sind die erwartbaren. Das sei ja wieder einmal Sozialismus über die Umverteilungsschiene, tönt es von rechts. Forschungsergebnisse privater Firmen wie die neuen mRNA-Impfstoffe seien das Eigentum dieser Firmen. Der ganze Aufruf - völlig unrealistisch.
Weiter heißt es dort: "Sozialismus? Der wäre so billig wie mit einer bloßen "Reichensteuer" nicht zu haben. Als Jonas Salk, der Entwickler der Polio-Impfung, 1955 gefragt wurde, wem denn das Patent an seiner Impfung gehöre, sagte er: "Naja, ich würde sagen, den Menschen. Es gibt kein Patent. Könnte man die Sonne patentieren?" Und die Sache mit dem mangelnden Realismus? Der "Zero-Covid"-Aufruf müsste sich schon richtig ins Zeug legen, um noch unrealistischer zu sein als die Hoffnung, die Corona-Pandemie bei geöffneten Schulen und Betrieben wirksam eindämmen zu können, bevor die Bevölkerung durchgeimpft ist."Marcus Hammerschmitt, Runter auf Null, aber solidarisch

Dieses Statement Hammerschmitts spricht für sich und könnte der Einstieg in eine fruchtbare Debatte darüber sein, welche Konsequenzen aus dem Scheitern der bisherigen Pandemiebekämpfung und dem Auftauchen von bedrohlichen Mutanten zu ziehen sind.

Fazit:

  1. Das Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen der oben dargestellten Aufrufe sind weniger als zehn Neuinfektionen pro Million Einwohner pro Tag entsprechend weniger als 800 Neuinfektionen pro 24 Stunden. Das erscheint angesichts der derzeitigen hohen Zahl an Fällen ein kaum erreichbares Ziel. Man sollte aber nicht vergessen, dass wir im Sommer letzten Jahres diese Zielmarke über viele Wochen schon unterschritten hatten.
  2. Es muss auch erwähnt werden, dass das von WissenschaftlerInnen vorgestellte Null-Covid-Konzept der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie nicht ganz so neu ist wie es auf den ersten Blick scheint. Es gab schon im März 2020 wichtige wissenschaftliche Vordenker wie Joscha Bach und Tomas Pueyo. So hat Pueyo schon damals in seiner beeindruckenden Arbeit "The Hammer and the Dance", die über 40-Millionen-Mal im Internet aufgerufen wurde, in Abgrenzung zu dem Konzept "Flatten the Curve" für harte Lockdown-Maßnahmen für einige Wochen plädiert, ohne dass von Seiten der Politik auf ihm gehört wurde.
  3. Unbedingt notwendig ist eine vorurteilsfreie und ergebnisoffene Debatte über die Null-Covid-Strategie, denn deren Umsetzung kann in nächster Zeit nur gelingen, wenn große Teile der Bevölkerung dazu motiviert werden, dabei mitzumachen. Und das kann nur gelingen, wenn diese Strategie solidarisch umgesetzt und mit möglichst vielen Elementen der ZeroCovid-Initiative kombiniert wird.

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin- Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin- Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Er ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Nikotin-Tabakforschung e.V. (DGNTF) und arbeitet in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

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