Ist eine neue sozialdemokratische Einheitspartei die Lösung?

Seite 2: Zwangsvereinigung in der DDR

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Nun war die Vereinigung in der DDR seitens der stalinistischen Kader sicher mit Zwang verbunden. Tatsächlich gab es allerdings nach dem Ende des NS-Systems in beiden Parteien und darüber hinaus auch in kleineren linken Formationen den Wunsch einer Kooperation. Die Bestrebungen einer einheitlichen Sozialistischen Arbeiterpartei waren auch auf dem Gebiet der BRD vorhanden, wurden aber von der rechten SPD-Führung mit Unterstützung der Alliierten bekämpft.

Es gab also im Westen mindestens genau so viel Repression gegen Befürworter einer Vereinigung der Parteien der Arbeiterbewegung, wie es sie auf dem Gebiet der DDR gegen deren Gegner gab. Trotzdem waren dort viele Sozialdemokraten der Weimarer Republik, die damals sogar auf dem rechten Flügel standen, Befürworter der Vereinigung und arbeiteten in wichtigen Funktionen innerhalb der SED.

Die Erzählung von der Zwangsvereinigung, die natürlich auf reale Repression anspielt, diente der rechten SPD als Legitimation, um die rechte Politik, die sie spätestens seit 1914 verfolgte auch in der BRD fortsetzen zu können. Nach 1933 sahen sogar nicht wenige führende, einst rechte Sozialdemokraten, dass die SPD damit den Weg für die Faschisierung geebnet hat und forderten Kurskorrekturen.

Schon 1930 warnte der sozialdemokratische Breslauer Gewerkschafter Walter Müller in seinem im Malik-Verlag erschienenen Buch "Wenn wir 1918 … eine realpolitische Utopie" vor den Pseudosozialisten Ebert und Co., die plakatierten "Der Sozialismus marschiert" und in Wirklichkeit die weiße Garde der Freikorps marschieren ließ. Walter Müller wurde ein frühes Opfer der Nazis, sein wenig beachtetes Buch war fast vergessen und wurde im BS-Verlag erfreulicherweise erneut aufgelegt.

Es zeigte, dass es bereits in der Weimarer Zeit aktive SPD-Mitglieder gab, die mit der Politik der Parteiführung gründlich abrechneten. Ihre Zahl wuchs nach 1933 und nach 1945 war der Druck sehr stark, nicht erneut das Bündnis mit den alten Mächten einzugehen. Da diente die völlig übertriebene Darstellung des Zwangs bei der SED-Gründung auch als Vehikel, um den alten Kurs fortsetzen zu können.

Dieser historische Exkurs zeigt auch, dass eine Vereinigung weniger wegen politischen Differenzen, sondern wegen symbolischer Fragen schwierig wird. Denn politisch würde die Linke heute von der SPD nicht viel abverlangen. Von allen revolutionären Bestrebungen hat sie sich schon längst distanziert. Sie ist im Grunde eine linke Reformpartei und hat mehr mit der SPD unter Willi Brandt als mit der USPD in der Weimarer Republik zu tun.

Die Fusion würden nicht alle mitmachen, manche Tradionalisten würden draußen bleiben und wären auch gar nicht erwünscht. Trotzdem wird es genauso schwer werden, die beiden sozialdemokratischen Parteien unter einen Hut zu bringen, wie man es schon bei den Reibereien zwischen den beiden liberalen Parteien FDP und Grüne sieht.

Auch hier sind es weniger die politischen Inhalte, sondern die Symbolik und die unterschiedliche Kultur, die zur Abgrenzung führt.