"Jede Wette, dass die Schuldenbremse die nächste Krise nicht überlebt"

Stephan Kaufmann und Ingo Stützle über die Staatsverschuldung. Teil 2

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Sparprogramme der Politik liefen in der Vergangenheit regelmäßig wie folgt ab: Mit dem Versprechen, Schulden abzubauen, wurden zu Lasten der Armen und der Bevölkerungsmehrheit Sozialausgaben gestrichen und öffentliche Güter privatisiert, während Unternehmen und Vermögende von missliebigen politischen Maßnahmen verschont blieben. In der Praxis waren am Ende solcher Maßnahmen die Schulden üblicherweise höher als davor, was häufig zu einer Verschärfung der Sparprogramme führt. In ihrem Buch Ist die Welt bald pleite? setzen sich Stephan Kaufmann und Ingo Stützle unter anderem mit deisem Phänomen auseinander.

Zu Teil 1: "Staatliche Sparsamkeit kennt immer Profiteure und Verlierer"

Herr Kaufmann, in welchem Zusammenhang stehen Staatsschulden und Privatisierungsprogramme?
Stephan Kaufmann: Mit Privatisierungen kann ein Staat Einnahmen erzielen, ohne die Steuern zu erhöhen. Gleichzeitig wird dadurch privates Kapital angelockt. Gestiegene Staatsschulden können daher als Argument dafür dienen, Privatisierungsprogramme durchzuziehen.
Ingo Stützle: Letzteres ist durchaus relevant. Das weiß die Politik - und die Wissenschaft. So schrieb etwa 2011 die Privatbank M.M.WARBURG & CO, dass die hohe Verschuldung ein "wichtiges Disziplinierungsinstrument zur Durchsetzung struktureller Reformen" sei. Ronald Reagans ehemaliger Direktor des Office of Management, David Stockman, sprach deshalb auch vom "strategisches Defizit", das gezielt eingesetzt werden kann, um einen "schlanken Staat" durchzusetzen.
Stephan Kaufmann. Foto: Bertz und Fischer
Zinsen müssen auch bei Staatsschulden gezahlt werden. Und die führen potenziell zu immer mehr Schulden und immer weniger Haushaltsspielraum. Wäre es da nicht besser, man zieht Steuern ein oder unterhält profitable Staatsbetriebe?
Stephan Kaufmann: Natürlich. Prinzipiell steht ein Staat immer vor der Wahl: Steuern erhöhen oder Schulden machen? Eine Regierung könnte also zum Beispiel Vermögen besteuern, um Einnahmen zu erzielen. Statt das Geld zu akquirieren, kann er es sich aber auch leihen und den Vermögenden dafür Zinsen zahlen. Das ist für die Vermögenden natürlich angenehmer - sie werden reicher statt ärmer.
Ingo Stützle: Die Frage was besser oder schlechter ist, ist eben keine Frage die ein imaginäres "Wir" beantwortet. Da wären wir wieder bei der Frage von vorher. Die Menschen, die von sozialen Transfers abhängig sind oder von vollständig steuerfinanzierten öffentlichen Gütern profitieren würden, also tatsächlich kostenlosen öffentlichen Schulen, Bibliotheken, Schwimmbädern und Nahverkehr, haben eben leider nicht die gesellschaftliche Macht, das gegen die Vermögenden durchzusetzen.
Ich finde, die Frage nach profitablen Staatsbetrieben ist in erster Linie keine danach, wie das Geld in die Staatskasse kommt, sondern eine, die die Frage aufwirft, nach welcher gesellschaftlichen Logik Güter oder Dienstleistungen produziert und zugänglich gemacht werden. Profitable Staatsbetriebe sind zunächst nichts anderes als kapitalistische Unternehmen in Staatshand - etwa die Deutsche Bahn. Die machen Profit - auf Kosten der Lohnabhängigen. Die Frage ist aber, ob nicht von Nah- und Fernverkehr bis Gesundheit alles öffentliche Güter sein sollten, keine Ware und eben auch nicht der Profitlogik unterworfen. Dass man damit auch nicht einer staatlichen Bürokratie das Wort reden muss, zeigen die Debatten um Gemeingüter beziehungsweise Commons oder soziale Infrastruktur, wie sie unter anderem von der Linksnetz-Gruppe um Joachim Hirsch und Heinz Steinert seit über zehn Jahren geführt wird.

"Ökonomisch ist die Schuldenbremse ein Unding"

Wie schätzen Sie die Einrichtung der Schuldenbremse ein, die 2009 in Deutschland und 2011 in die EU installiert wurde?
Stephan Kaufmann: Die Schuldenbremse soll ein Signal an die Finanzanleger, also die potenziellen Geldgeber sein: Habt Vertrauen in die Euro-Zone, hier wird sparsam gehaushaltet, hier ist euer Geld sicher! Ökonomisch ist die Schuldenbremse allerdings ein Unding. Denn zum Beispiel in der Krise muss ein Staat einfach mehr Schulden machen, um den Ausfall der privaten Nachfrage auszugleichen. Wird ihm das verboten, droht ein Griechenland-Szenario: Die Wirtschaftsleistung sinkt, die Steuern schrumpfen, der Staat spart hinterher, dadurch sinkt die Wirtschaftsleistung weiter etcetera.
Jede Wette, dass die Schuldenbremse die nächste Krise nicht überlebt. Letztlich ist sie ein Instrument insbesondere für die Bundesregierung, in die Staatshaushalte der anderen Euro-Staaten hineinzuregieren. Wie in Griechenland. Sie ist ein Instrument, die anderen Euro-Staaten auf das Programm "Wettbewerbsfähigkeit" zu verpflichten. Also auf das Programm: alles für die Investitionsrendite.

"Der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen ist 2015 auf etwa 53 Prozent gefallen"

Stichwort Debtocrazy: Was lehrt uns die Griechenland-Krise zu diesem Problem?
Ingo Stützle: Der Finanzsoziologe Herbert Sultan stellte in einer Untersuchung über Staatseinnahmen heraus, dass über die politische Bedeutung von Schulden, der Gläubigerstaat entscheidet. Was bedeutet das? Die griechischen Staatsschulden wanderten von privater Hand, aus den Bilanzen von deutschen und französischen Banken, in öffentliche beziehungsweise institutionelle Hand. Sie sind jetzt bei der EZB, dem Rettungsschirm oder einzelnen Euro-Staaten. Der fehlende private Kredit, das abhandengekommene Vertrauen der Anleger in Griechenland, wurde durch einen politischen Kredit ersetz.
Deshalb war es den Gläubigerstaaten möglich, im Rahmen der Troika, Griechenland in eine Schuldenkolonie zu verwandeln und Auflagen für Hilfen zu diktieren, die diesen Namen eigentlich nicht verdienen. Die griechischen Schulden wurden einerseits zu einem Mittel, eine brutale Austeritätspolitik durchzusetzen; andererseits war die Troika-Politik gegenüber Griechenland eine Warnung an alle anderen Euro-Staaten.
Aber auch in Griechenland gibt es kein "Wir". Es ging nicht um Deutschland gegen Griechenland: Während die breite Masse der Bevölkerung die Leittragenden sind, lacht sich das Kapital ins Fäustchen. Endlich werden die Reformen durchgeführt, die sie sich so lange erhofft haben. Endlich wird wieder umverteilt: So ist der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen von etwa 65 Prozent im Jahr 2002 auf etwa 53 Prozent 2015 gefallen. Das heißt umgekehrt: den Unternehmern und Rentiers fällt mehr vom gesellschaftlich produzierten Reichtum zu. Der Wealth-X and UBS Ultra Wealth Report zeigt, dass es 2013 in Griechenland 505 sogenannte Ultra-Reiche gab, die insgesamt über 60 Milliarden US-Dollar verfügten. 2014 waren es schon 60 Personen mehr, mit insgesamt 70 Milliarden US-Dollar Vermögen - ein Zuwachs von 16,7 Prozent. Bei der Steuerbelastung sieht es ähnlich aus, nur umgekehrt: die Armen zahlen.

"Neben ökonomischen Zwängen waren vor allem soziale Auseinandersetzungen relevant"

Nach der wirtschaftlichen und politischen Katastrophe, zu der eine prozyklische Wirtschaftspolitik in den 30er Jahren geführt hat: Warum ist man von dem Konzept einer antizyklischen Wirtschaftspolitik abgekommen?
Stepahn Kaufmann: Ist man davon abgekommen? Nicht in den USA, nicht in Japan, nicht in Großbritannien, auch nicht in China, wie man derzeit sieht. In der Euro-Zone dagegen sieht es derzeit so aus, hier haben Staaten in der Krise tatsächlich massiv gekürzt. Allerdings nicht freiwillig, sondern unter Zwang. Gezwungen wurden sie von einem Staat, dessen Wirtschaft nicht in der Krise war: Deutschland. Dass diese Sparprogramme für die Wirtschaft der betroffenen Länder schädlich sind, hat man gewusst. Dennoch wurden sie durchgezogen, um den Euro und die Euro-Zone für die Finanzanleger wieder zu einer sicheren Anlagesphäre zu machen.
Die Kosten für diese "Konsolidierung" hat die Bundesregierung vor allem den südlichen Euro-Ländern aufgehalst. Das Ergebnis ist ein bemerkenswerte Dauer-Krise vieler Länder, rekordhohe Arbeitslosenzahlen und - siehe 30er Jahre - ein Aufstieg rechter Parteien allerorten, die nicht die Umverteilung zum Thema machen, sondern "die Ausländer".
Ingo Stützle: Wie man in den 1930ern nicht aus Vernunft von der Laissez-faire-Politik abgekommen ist, so ist die Wirtschaftspolitik ab Ende der 1970er Jahren nicht plötzlich unvernünftig geworden. Neben ökonomischen Zwängen waren vor allem soziale Auseinandersetzungen relevant. In den USA haben massive Klassenkämpfe und vor allem die Armen- und Arbeitslosenbewegung den New Deal durchgesetzt. Noch bis 1932 hatte US-Präsident Franklin D. Roosevelt jede schuldenfinanzierte Staatsintervention abgelehnt. Und in den 1970ern, als die Profitraten unter Druck gerieten, war es wiederum ein Klassenkampf von oben - schön nachzulesen etwa in David Harvey kleinem Bändchen zur Kleinen Geschichte des Neoliberalismus.

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