Jeder irrt für sich allein

Seite 2: Die Automatik der Entscheidung

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Der Wahl-O-Mat hilft auch nicht weiter. Hirnforscher behaupten, sie könnten unsere Entscheidungen berechnen. Ich bin gespannt, ob sie nicht an meinem Wahlverhalten scheitern würden.

Im Frühjahr habe ich, nur so und aus Francophilie, vor der Stichwahl in Frankreich mal den französischen Wahl-O-Mat bedient. Trotz meiner offenen Sympathien für Macron, den ich keineswegs nur für das "kleinere Übel" halte, kam im Wahl-O-Mat eine klare Mehrheit für die - offiziell behaupteten - Positionen Marine Le Pens zustande.

Denn ich stimmte gegen die Verlängerung des Ausnahmezustands, für Aufgabe der Austeritätspolitik, gegen Privatisierung der Autobahnen und höhere Besteuerung für Diesel, für die Möglichkeit, dass sich auch vorbestrafte Kandidaten zur Wahl stellen dürfen, für eine grundsätzlich positive Bewertung der Rolle Frankreichs während der Kolonialzeit, für eine Verlängerung der Laufzeit bestehender Kernkraftwerke und für Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Das Ergebnis kommt allerdings auch so zustande, weil Macron in vielem neutral ist. Der ist noch nicht mal für oder gegen Sterbehilfe.

Bei der Europawahl 2014 zeigt der Wahl-O-Mat, dem ich Themen angebe, die mir besonders wichtig sind, dass ich mit den Piraten zu fast 70 % übereinstimme. Dahinter folgt die FDP mit gut 60%, knapp dahinter mit 59.2% exakt gleichauf Grüne und AfD!! Tja. Dann SPD, MLPD, Die Linke in dieser Reihenfolge mit auch noch über 50 Prozent Übereinstimmung. Die einzige Partei unter 50 Prozent ist die CDU.

Bei der Berlin-Wahl 2016 markiere ich keine besonderen Schwerpunkte und Prioritäten. So ist das Ergebnis für mich weniger überraschend. Bis auf die Partei mit dem höchsten Übereinstimmungswert. Das ist nämlich die DKP mit 76,3 %. Es folgen: Piraten 71,1; Grüne 65 %; SPD 60,5 %; Die Linke 59,2 %; CDU 43,4 %; AfD 38,2 %. Auch bei der Wahl in NRW 2017 liegt die Piratenpartei vorn: 75 %. Es folgen Die Linke 68,4%; MLDP 65,5%; GRÜNE 60, 5; FDP 59,2 %; und diesmal die CDU (57,9%) vor der SPD (56, 6).

Grundsätzlich ähnlich sieht es dann auch nicht weiterüberraschend beim Wahl-O-Mat für die jetzige Bundestagswahl aus. Ich habe acht Entscheidungen doppelt gewichtet, darunter mein Eintreten für den Schuldenschnitt in Griechenland, Ausbau der EU und die Streichung des Gottesbezugs im Grundgesetz. Das Ergebnis: 81,5 Prozent Übereinstimmung mit den Piraten, 80,4% mit Demokratie in Bewegung, 79,3 % mit den "Humanisten", 75 Prozent mit der MLPD, dahinter mit 69,6 Prozent Grüne und Die Linke gleichauf, dann FDP (63%) und die SPD (54%) immerhin noch über der Hälfte - ist das der Schulz-Effekt? Oder entsprechen 54% nicht eigentlich nur dem, was bei einem Zufallsgenerator auch herauskäme?

Fack you GroKo. Wählt Splitterparteien! Aber wählt

Die eine Tendenz ist klar. Fack you GroKo! Aber was muss man wählen, um die nächste GroKo auch sicher zu verhindern? In jedem Fall darf man nicht die SPD wählen. Ansonsten sollte man sich nichts vormachen bezüglich seiner eigenen Wahlentscheidung. Als ob hier irgendeiner darüber entscheidet, ob Angela Merkel weiter regiert. Wir entscheiden, wem wir die paar Euro Wahlkampfkostenpauschale geben, und wen wir nicht wählen. Wir können auch nicht darüber entscheiden, ob mit der AfD erstmals Rechtsradikale, Rassisten und Hassprediger in den Bundestag kommen. Das wird geschehen.

Dafür haben die Medien, nicht zuletzt auch die öffentlich-rechtlichen Sender gesorgt. Sie - Jauch vor allem, auch Will - haben Pegida und AfD in ihren Talkshows überhaupt erst das Forum geboten, auf dem dieses Unkraut gedeihen konnte. Sie haben sie konsequent als Populisten verharmlost, statt sie "Extremisten", "Radikale" und Nazis in Nadelstreifen zu nennen. Sie haben überhaupt erst dafür gesorgt, dass in den letzten drei Jahren, etwa seit der Anti-EU-Kampagne 2014 und der Griechenlandkrise, ein allgemeines Agenda-Setting durch die AfD stattgefunden hat.

Am Sonntagabend, spätestens am Montag, wird irgendeiner im öffentich-rechtlichen Fernsehen fragen, ob man der AfD nicht vielleicht erst mal eine faire Chance geben sollte… Die zweite Tendenz: Es gibt Parteien unter der Sonne, vor allem welche, die mehr interessante und fortschrittliche Ideen haben als die Parteien im Bundestag. Daher mein Plädoyer: Wählt Splitterparteien! Aber wählt.