Jenseits von Gesundheitsnotstand und Verschwörungswahnsinn

Seite 3: Proteste gegen Einschränkung der Grundrechte wachsen

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Zudem gibt es heute einen wesentlichen Unterschied zwischen der Situation vom 28. März und jetzt. Ende März gab es kaum öffentliche Proteste gegen die Notmaßnahmen. Viele, auch aus der Linken, waren verunsichert, warteten ab oder sahen zum Shutdown keine Alternative angesichts der Gefahr, dass viele Menschen an dem Virus sterben müssen. Das hat sich geändert.

Mittlerweile gibt es von unterschiedlichen Seiten eine theoretische und praktische Kritik an einer autoritären Staatspolitik, die aber meist mit sozialen Protesten gekoppelt ist. So plant am kommenden Sonntag, den 26. April eine Aktion Eigensinn von 12 bis 19 Uhr eine performative Protestaktion gegen den autoritären Staat am Mariannenplatz in Berlin Kreuzberg. Die Initiatoren kommen auch aus dem Kunstkontext, haben sich die Aktionen am Rosa-Luxemburg-Platz angesehen und daraus gelernt, dass die Abgrenzung nach rechts einen zentraleren Stellenwert einnehmen muss.

In Berlin sind auch weitere Proteste um den 1. Mai geplant, u.a. von der Stadtteilinitiative Hände weg vom Wedding, die eine Demonstration unter dem Motto "Die Reichen sollen zahlen - soziale Kämpfe verbinden" angemeldet haben. Dort wird auch klar Kritik an einer autoritären Staatspolitik in Zeiten von Corona geübt:

Die aktuelle Situation dient Bundes- und Landesregierungen nun dazu, unter dem Vorwand des Infektionsschutzes, politischen Protest und legitimen Widerstand zu verhindern. Der Berliner Senat und die Polizei haben uns in den vergangenen Wochen bewiesen, dass sie kein Interesse an einer Einhaltung des Infektionsschutzes haben, sondern dass sie lediglich ihre Macht durchsetzen wollen.

Bei den Protesten für die Seenotrettung von Menschen im Mittelmeer, zum Beispiel durch die Initiative "Seebrücke" am 05.04.2020 oder auf dem Leopoldplatz am 11.4.2020, wurden demokratische Rechte außer Kraft gesetzt. Immer war es die Polizei, die politische Kundgebungen und Demonstrationen trotz des hohen Maßes an Infektionsschutz aufseiten der Teilnehmenden drangsalierte.

Die Gefahr steigt, dass dieser Ausnahmezustand ein Normalzustand werden soll. Kundgebungen, Demonstrationen, Streiks werden somit verhindert. Staat und Unternehmen können fast ungehindert ihre Macht durchsetzen. Doch der 30. April ist eine weitere Möglichkeit, demokratische Kämpfe auf die Straße zu tragen.

Aus dem Aufruf für eine Stadtteildemonstration am 30. April im Wedding

Das Berliner Bündnis Aktion gegen Arbeitgeberunrecht plant am 1. Mai um 13 Uhr eine Kundgebung in Berlin-Kreuzberg ebenfalls gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Beschäftigten vor dem Gebäude des Krankenhaus-Konzerns Vivantes in Berlin-Kreuzberg:

Es wird ein nationaler Konsens heraufbeschworen, nach dem Motto wir sitzen alle im gleichen Boot, vor dem Virus sind wir alle gleich. So eine Gleichheit gibt es im Kapitalismus nicht. Wir sitzen nicht im gleichen Boot mit den Herren SAP, Würth oder Siemens. Wir sitzen nicht im Boot mit den Superreichen, die aus ihrer Villa mit Garten uns ein "Bleibt zu Hause-Selfie" schicken.

Aus dem Aufruf der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht zum 1. Mai 2020

Das sind nur einige von vielen Beispielen für zahlreiche geplante Proteste gegen die Abwälzung der sozialen Folgen der Corona-Krise auf die einkommensschwachen Teile der Bevölkerung, für die Rechte von Geflüchteten und gegen eine autoritäre Staatspolitik, bei denen umgesetzt werden kann, was der Philosoph Clemens Heni in seinem Text vom 20.4.2020 fordert: "Jenseits von Ausnahmezustand und Verschwörungswahnsinn: Kritiker der Corona-Massenhysterie aller Länder vereinigt Euch."

Es geht, um hier nochmal Clemens Heni zu zitieren, um den Kampf um eine Zukunft jenseits von Volksgemeinschaft und Gesundheitsdiktatur.: Mit Rechten gegen autoritären Staat demonstrieren: I would prefer do not.

Das ist auch eine Aufforderung an die Kritiker von autoritärer Staatlichkeit, deutlich zu machen, dass ihre Aussagen nichts mit dem Geraune von Verschwörungstheoretikern zu tun haben. Die Politologin Detlef Georgia Schulze hat in einer Analyse die häufige Verwendung des Begriffs Notstands im Zusammenhang mit der Situation des Corona-Shutdowns einer Kritik unterzogen.

Vielleicht ist der von Heni verwendete Begriff des Gesundheitsnotstands eine Möglichkeit, hier etwas Klarheit zu bringen. Dass es um eine reale Gefahr geht, zeigt der Diskussionsbeitrag von Frederic Valin in der Taz, der alle Menschen zu Patienten machen will.

Die Lage wäre sehr viel weniger schlimm, wenn sich jede(r) betroffen fühlen würde, statt damit beschäftigt zu sein, sich aus Risikogruppen herauszurechnen.

Frederic Valin, Taz

Er fordert also, wir sollen alle Risikogruppen werden und das ganze Leben zur Quarantäne. Es gibt also genügend Grund gegen diese Apostel eines autoritären Gesundheitsstaates zu protestieren. Wenn es aber darum geht, ob das gemeinsam mit Rechten geschehen soll, können wir uns bei der Antwort Bartleby zum Vorbild nehmen und sagen: "I would prefer not to."