Julian Nagelsmann, das Barbie-Trikot und die südwestdeutsche Nationalmannschaft
Lila, der letzte Versuch: Der deutsche Fußball macht den nächsten Schritt auf dem Weg in den Abgrund. Ein Kommentar.
I used to float, now I just fall down/ I used to know but I'm not sure now
Billie Eilish, aus dem Film "Barbie"
What I was made for/ What was I made for?
Takin' a drive, I was an ideal/ Looked so alive, turns out I'm not real
Just something you paid for/ What was I made for?
'Cause I, I I don't know how to feel/ But I wanna try
I don't know how to feel/ But someday, I might.
Schwarz und Weiß/ Wir steh'n auf eurer Seite.
Oliver Pocher
"Hoffentlich gibt es keine Botschaft dahinter" – da hatte Marcel Reif ins Schwarze getroffen. Genau gesagt: ins Violette.
Denn natürlich wird jeder, ob das nun stimmt oder nicht, beim neuen Trikot der Fußballnationalmannschaft: an die Regenbogenbinde denken, die bei der WM in Katar für Debatten und innere Unruhe sorgte.
Zumal Ausrüster Adidas auch noch dazu verbreitete, die neuen Trikots sollten für die Vielfalt des Landes und eine neue Generation von Fans stehen.
"Solch eine Botschaft hätte es nicht gebraucht" ätzte Reif. "Die Botschaft sollte sein: 'spielt eine anständige WM, habt Spaß und macht Spaß.' Wenn sie mir versichern, dass damit das Viertelfinale geregelt ist, können sie auch noch grüne Äpfelchen drauf machen."
Barbie im Fußballland
Was war geschehen? Zusammen mit der Vorstellung des DFB-Kaders für die zwei letzten Freundschaftsspiele der deutschen Nationalmannschaft durch den derzeitigen Bundestrainer Julian Nagelsmann – dazu kommen wir gleich noch – hatte der Deutsche-Fußball-Bund auch die Trikots für die kommende Europameisterschaft im eigenen Land vorgestellt.
Neben dem traditionellen weißen Hemd zu dem es leider wieder einmal keine weißen Hosen gibt – symbolisch hisst die deutsche Nationalmannschaft also bereits im Vorfeld die weiße Flagge – wurde auch das sogenannte Auswärtstrikot vorgestellt.
Das ist in Deutschland traditionellerweise ein grünes Jersey mit einer weißen Hose. In manchen Fällen hatte es auch ein rotes Jersey zu weißer oder schwarzer Hose gegeben. Grün ist in Deutschland eine Tradition, an die sich vor allem jene erinnern, die die größte Zeit des deutschen Fußballs, die Jahre zwischen 1970 und 1976 erlebt haben, in der ein Weltmeisterschafts- und ein Europameisterschaftstitel gewonnen wurde.
"Ich bin immer Fan von ganz klaren Farben"
Die neue Farbe gab es noch nie. Aber um welche Farbe handelt es sich überhaupt? Pink oder Lila oder Rosa oder Violett? Am ehesten ist es wohl ein Pink, das im Bauchnabelbereich dann ins Violette übergeht. In jedem Fall also unentschieden. Aber die Hautfarbe ist ein schrilles Pink, das am ehesten an ein Barbie-Kaugummi für sechsjährige Mädchen erinnert.
Erste spontane Reaktion auch von Experten lautete denn auch am Donnerstag: "Die Farben finde ich ganz gut. Warum das ein deutsches Nationaltrikot sein soll, weiß ich nicht", sagte Fußballexperte Reif: "Ich bin immer Fan von ganz klaren Farben und nicht da noch ein Streifen links und so weiter."
"Weiblichkeit ... Aufmerksamkeitsbedürfnis ... Unreife"
Warum also Pink und Lila? Lila, der letzte Versuch? Solcher Spott liegt nahe. "Wir tragen Schwarz und weiß" sang 2006, beim letzten Heim-Turnier, Oliver Pocher in einem der besseren deutschen Fußball-Lieder.
"Keine andere Farbe wirkt stärker auf die menschliche Psyche" heißt es bei der ersten Suche, "sie verstärkt alle positiven Gefühle und besänftigt Aggressionen Gewalt. Hyperaktive Menschen werden ausgeglichen und ruhiger."
Und dann: Der Farbton sei "eng mit dem Aufstieg der Marke Barbie und ihrem Einfluss auf die Populärkultur verwoben." Im Jahr 2022 war Barbie Pink die zentrale Nuance der Sommerkollektion des italienischen Modehauses Valentino.
"Positive Eigenschaften, die mit der Farbe Barbie-Pink assoziiert werden" sind demnach "Lebendigkeit, Energie, Verspieltheit, Selbstbewusstsein, Individualität, Weiblichkeit, Spaß", negative Eigenschaften "Überstimulation Impulsivität, Aufmerksamkeitsbedürfnis, Unreife".
Nichtweiße Models und zeitgeistige Multikulti-Botschaften statt gutem Fußball
Kein Wunder, dass nun die Aufregung unter den Fans groß ist, zumal zumindest Ausrüster Adidas seine Kollektion auch sehr betont mit Vielfalts- und Multikulti-Botschaften garniert, und im Netzauftritt fast ausschließlich durch nichtweiße Models darstellen lässt.
Das gefällt nicht allen und verwickelt die deutsche Nationalmannschaft zwangsläufig schon wieder in eine neue Regenbogendebatte.
Es geht gar nicht darum, gegen Diversität zu sein. Nur sollte vielleicht gerade eine deutsche Fußballnationalmannschaft versuchen, auf allzu platte zeitgeistige Botschaften zu verzichten, und auch jene visuell zu integrieren, denen politisches Statements als solche auf die Nerven gehen. Besser würde man sich erstmal darauf konzentrieren, wieder gut oder wenigstens erfolgreich Fußball zu spielen.
Symptomatisch für die Lage der deutschen Nationalmannschaft
Das Trikot und die Debatte um die Farbe sind letztlich aber nicht wirklich wichtig auch wenn solche kleinen Dinge auf große Folgen haben und Entwicklungen mitprägen. Allerdings: Die Entscheidung für die Farbe des Trikots und die Debatte darum herum sind symptomatisch für die Lage der deutschen Nationalmannschaft.
Sie sind symptomatisch dafür, dass alles mögliche schief läuft im deutschen Fußball, dass die Prioritäten nicht einfach nur verrückt wurden, sondern komplett auf den Kopf gestellt und das eine latente Panik dort grassiert, wo nicht schon reine Depression herrscht.
Verkrampfter Neustart
Das zeigt auch der verkrampfte Neustart, den Julian Nagelsmann jetzt in der Kaderzusammenstellung vorgenommen hat. Vor allem langjährige Säulen aus München und Dortmund hat Nagelsmann ausgemustert: Mats Hummels, Niklas Süle, Leon Goretzka, Serge Gnabry, Robin Gosens, Nils Schlotterbeck, Julian Brandt, Jonas Hofmann.
"Lust und Gier" erhofft er sich stattdessen von Rückkehrern wie "Querpass-Toni" Kroos und dem langverletzten Manuel Neuer, mit dessen Rückkehr ins Bayern-Team im Herbst der Zusammenbruch des FC Bayern in der Meisterschaft begonnen hat.
Nagelsmann Kader-Zusammenstellung ist vor allem darauf angelegt, interne Konflikte zu vermeiden. Die Anspruchshaltung der Dortmunder mag den Bundestrainer genervt haben. Aber nun verzichtet er auf einen Kader, in dem echte Konkurrenz herrscht.
Der Jugendliche als Strohhalm: die Pavilovicisierung des deutschen Fußballs
Und dass dann Pavlovic nach nur 14 Bundesligaspielen schon in der Nationalmannschaft sein darf, ist durch Leistung nicht zu erklären. Auch dass Josuah Kimmich in der Abwehr aufgeführt wird, spricht für eine plötzliche ist die Pavilovicisierung des deutschen Fußballs. Der Jugendliche als Strohhalm
Vor allem aber hat Nagelsmann einen fast komplett süddeutschen und südwestdeutschen Kader zusammengestellt - Hoffenheim Heidenheim Stuttgart, München -, der nicht zufällig aus Spielern vor allem der Vereine besteht, bei denen Nagelsmann schon gearbeitet hat: VfB Stuttgart, TSG Hoffenheim, FC Bayern München
Es kann nichts Gutes bei alldem herauskommen.