Juristische Aufarbeitung der Genua-Proteste
Fast parallel zum Prozess gegen 30 Polizisten wegen des Überfalls auf die Diaz-Schule hat nun auch ein Prozess gegen 25 Globalisierungskritiker in Genua begonnen
Mehr als zweieinhalb Jahre nach den Massenprotesten gegen den G8-Gipfel von Genua (Folter in Genua?) beschäftigt sich die italienische Justiz noch einmal mit den Vorfällen, die im Sommer 2001 weltweit für Aufsehen und Empörung sorgten. Höhepunkt war die berühmte chilenische Nacht von Genua, als Polizeieinheiten in die als Schlafstätte für Demonstranten zur Verfügung gestellte Diaz-Schule eindrangen und die Menschen in ihren Schlafsäcken misshandelten und schwer verletzten (Angriff auf unbequeme Journalisten in Genua).
Wer die Befehle zu dem Angriff gab, ist bis heute ungeklärt (Späte Gerechtigkeit). Zeugen haben in dieser Nacht führende Politiker der italienischen Rechtskoalition am Tatort gesehen. Ob sich die Ereignisse noch aufklären lassen, wird sich bald zeigen. Seit letzten Freitag wird gegen 30 Polizisten, die an dem Angriff auf die Diaz-Schule beteiligt waren, vor Gericht verhandelt. Die Anklagepunkte reichen von schwerer Körperverletzung bis zu übler Nachrede, falscher Anschuldigung und der Vortäuschung einer Straftat. Die beiden letzten Anklagepunkte beziehen sich auf das polizeiliche Einschmuggeln von Molotow-Cocktails, Knüppeln und Steinen, mit denen die Demonstranten zu Gewalttätern gestempelt werden sollten, was mittlerweile auch gerichtlich festgestellt wurde.
Die italienischen Globalisierungskritiker sehen in dem Prozess noch längst nicht den Sieg der Gerechtigkeit. Schließlich wurde auch der Schütze, der für den Tod des jungen Demonstranten Carlo Giuliani am 20.Juli 2001 während der Proteste in Genua verantwortlich war, vor Gericht freigesprochen. Er übt seinen Polizeiberuf weiterhin aus. Auch die jetzt angeklagten Polizisten sind weiterhin im Polizeidienst und wurden teilweise sogar nach 2001 noch befördert. Die italienische Regierung hat sich immer hinter die Polizei gestellt und alle Vorwürfe als Stimmungsmache der Linken zurückgewiesen. So rechnet kaum jemand mit einer Verurteilung.
Wesentlich anders sieht es bei dem Prozess gegen 25 Globalisierungskritiker aus, der am 2. März unter großen Polizeischutz in Genua begonnen hat. Die Angeklagten werden beschuldigt, an den militanten Auseinandersetzungen während der G8-Proteste beteiligt gewesen zu sein. Die Anklagepunkte lauten unter anderem auf schweren Landfriedensbruch und Plünderung. Betroffen sind auch viele Aktivisten der Bewegung der Ungehorsamen oder Disobbedienti ("Der Ungehorsam ist eine hervorragende Intuition gewesen."), einer in Italien einflussreichen linken Strömung, die sich im wesentlichen auf die zapatistische Praxis und die in dem Buch Empire niedergeschriebenen Theorien von Antoni Negri und Michael Hardt stützt (Die Globalisierer blockieren die Globalisierung). Der führende Aktivist der Disobbedienti Luca Casarini bezeichnet die Anklage in einem Brief als "Krieg gegen die Bewegung".
Die Disobbedienti haben immer wieder mit Aktionen des zivilen Ungehorsams von sich reden gemacht, Gewalt gegen Personen aber abgelehnt. Sie haben in den letzten Wochen in ganz Italien gegen die Anklagen mobilisiert. So haben sie während der Karnevalstage Spenden gesammelt und unter dem Motto "Nehmen wir ihnen die Maske ab" Flugblätter verteilt: Dort heißt es über das Kalkül der italienischen Justiz: "Sie wollen jene, welche die sozialen Kämpfe voranbringen, für kriminell verkaufen. Sie sagen, dass der, der ein Haus besetzt, gefährlich ist. Wer gegen den Krieg aktiv ist, ist gefährlich." In einem Appell an die sozialen Bewegungen rief Haidi Giuliani, die Mutter des in Genua erschossenen Demonstranten zur Solidarität mit den Angeklagten auf.