"Just for Fun"
Das Verfahren gegen Lynndie England wurde eröffnet, das Pentagon will den Folterskandal auf ein paar Sündenböcke und Abub Ghraib beschränken
Das Bild der Militärpolizistin und Gefangenwärterin Lynndie England, auf dem sie einen nackten irakischen Gefangenen an der Leine wie einen Hund hält, ist zu einem der Sinnbilder der Misshandlungen in Abu Ghraib geworden. Das Verfahren gegen sie hat begonnen - und im Pentagon demonstriert man, wie leider nicht anders zu erwarten, dass nur einzelne Sündenböcke geopfert werden sollen, um die Moral der Truppe, im Irak-Einsatz schwer angeschlagen, nicht noch weiter zu schädigen.
Vor zwei Wochen, wie immer gut von der US-Regierung inszeniert, gab es großen Rummel über die Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der 9/11-Comission. Der Bericht sprach die Bush-Regierung frei und schob die Schuld an den Terroranschlägen vornehmlich den Geheimdiensten zu. Damit lässt sich leben (Harry Plotter und die Teppichmesser des Schreckens). Doch die Vorwürfe, dass Angehörige von US-Streitkräften, die überall als schwer bewaffnete Avantgarde von Freiheit und Menschenrechten auftreten, ausgerechnet im befreiten Irak und im ehemaligen Foltergefängnis des Diktators Saddam Hussein Folter, Misshandlungen und ins Reale gewendete sadistische Rituale ausüben, sind schwerwiegend. Zusammen mit der vom Weißen Haus gebilligten Willkürjustiz im Umgang mit Gefangenen in den zahlreichen Lagern des "US-Gulag", der angeordneten Folter bei Verhören oder dem Verschicken von Gefangenen mitsamt Frageliste in befreundete Folterstaaten, wäre der Krieg gegen den Terrorismus diskreditiert (Die intellektuellen Wegbereiter von Folter und Willkürjustiz).
Einer wirklichen Aufdeckung stand nicht nur entgegen, dass der Umgang mit Gefangenen - wenn auch sicher nicht in manchen der bekannt gewordenen Exzesse in Abu Ghraib - vermutlich von ganz oben angeordnet wurde, sondern auch Unruhe im Militär provoziert hätte. Seit dem Krieg in Afghanistan wurden viele Angriffe von US-Soldaten auf Zivilisten, die aus Angst, Übereifer oder Gleichgültigkeit losgeschossen haben, nicht wirklich untersucht oder geahndet. Schon mit dem Massakern in Afghanistan, das eine wohl ausgelöst durch die unsanften Verhörmethoden eines CIA-Agenten und das andere ausgeführt von einem mit den US-Militärs verbandelten Warlord, hatte die Richtung gezeigt, wie das Pentagon diese Probleme lösen will. Man deckt, wenn es irgend geht, jede Aktion der Soldaten, auch wenn just dies in Afghanistan und vor allem im Irak den Widerstand weiter schürt. Würde man hart gegen die eigenen Leute vorgehen, so würden diese wenn nicht revoltieren, so doch davon laufen, sobald es geht, da sie verständlicherweise lieber den Tod von Unschuldigen in Kauf nehmen, als ihr eigenes Leben zu riskieren.
Der als abschließend gedachte Pentagon-Bericht (Taten von Einzelnen sieht in den Misshandlungen von afghanischen und irakischen Gefangenen, fast schon heimlich einem Senatsausschuss präsentiert, während die Medien und damit die öffentliche Aufmerksamkeit auf die vermeintlichen Enthüllungen der 9/11-Commission gerichtet waren, nur vereinzelte Vorfälle. Das Pentagon spricht von "bad apples", man sieht trotz zahlreicher Todesfälle in Gefangenenlagern keine systematischen Probleme, Führungskräfte werden sowieso von jeder Mitverantwortung freigesprochen.
Unter den Tisch wird also alles gekehrt, während ein Schauprozess gegen einige Sündenböcke wegen Verschwörung zur Häftlingsmisshandlung oder dem Begehen von unzüchtigen Akten veranstaltet wird. Die 21-jährige England soll mit sechs weiteren Militärpolizisten, die das Ganze mehr oder weniger aus persönlichem Spaß begangen haben, symbolisch abgestraft werden. Wenn sie mitspielen, dürften die Urteile, wenn sie vor einem Militärgericht erscheinen müssen, dementsprechend harmlos ausfallen. Gestern hatten bei der Vernehmung wieder zwei Armeeangehörige versichert, es gäbe keinen glaubwürdigen Beweis dafür, dass jemand in der Befehlskette über den Beschuldigten für die Misshandlungen verantwortlich sein könne. Dafür spräche auch, dass die Gefangenen keinen "Informationswert" hatten. Und die Beschuldigten hätten einfach ihren Frust abgelassen und das gar nicht so ernst gemeint: "They were just joking around, having some fun, on the night shift."
Mittlerweile ist über den Wahlkampfrummel, die von allen geschürte Sicherheitshysterie und neuen Terrorwarnungen, die von der US-Regierung gezielt zur Medienmanipulation eingesetzt werden, der Folterskandal und die Menschenrechtsverletzungen im US-Lagersystem zu einem Thema geworden, das kaum mehr eine wirkliche Bedeutung und in Vergessenheit gerät. Die Aufmerksamkeit ist weiter gezogen, was wieder einmal nahe legt, dass es strategisch effektiv ist, unangenehme Aufklärung möglichst lange hinauszuziehen, da dann die schnell nach Abwechslung suchende (individuelle und kollektive) Aufmerksamkeit schon ganz woanders ist.
So verwundert nicht, dass weitere, bislang unbekannte Einzelheiten aus dem Bericht über die Vorfälle in Abu Ghraib von General Antonio Taguba kaum mehr auf Interesse stoßen. Teile des Berichts wurden als geheim klassifiziert und nur den Kongressabgeordneten zugänglich gemacht. Weitere Einzelheiten hat nun die Zeitschrift Rolling Stone veröffentlicht, was sicher auch ungewöhnlich und ein Grund ist, warum dies nicht wirklich wahrgenommen wird. Immerhin handelt es sich um über 100 Anhänge und 6.000 Seiten, die bislang vor der Öffentlichkeit zurück gehalten wurden.
Dokumente zeigen ein Gefängnis im vollständigen Chaos. Gefangenen wurde infiziertes Essen gereicht und sie wurden gezwungen, in schmutzigen Unterkünften zu leben. Gefangene und US-Soldaten wurden in nächtlichen Granatenangriffen getötet und verwundet. Anhänger von Saddam Hussein arbeiteten als Wächter in der Anlage und schmuggelten offensichtlich Waffen zu den Gefangenen.
Noch einmal deutlich werde, dass nach dem Besuch im Sommer 2003 von General Geoffrey Miller, dem damaligen Leiter des Guantanamo-Lagers, die Misshandlungen im Irak begonnen haben. Ausgerechnet Miller, der beispielsweise den Einsatz von Hunden zur Einschüchterung abngeordnet haben soll, wurde von Verteidigungsminister Rumsfeld nach dem Bekanntwerden des Skandals zum Verantwortlichen aller Gefängnisse im Irak. Auch das wirft ein Licht auf die Verhältnisse im Pentagon. Untersucht wurden von Taguba übrigens nur Vorfälle, die mit Armeeangehörigen zu tun haben. Die Rolle der Geheimdienstmitarbeiter, die die Verhöre durchführten und die Wächter aufgefordert haben sollen, die Gefangenen "weich" zu machen, blieb schon einmal außen vor - und dürfte auch nicht mehr Thema werden.
In den Dokumenten sei, so Rolling Stone, etwa eine Zeugenaussage, dass ein unter Abu Hamid bekannter Übersetzer in Uniform einen Jungen vergewaltigt habe. Im Ramadan habe Militärpolizist Charles Graner und ein weiterer US-Soldat einen Iraker nackt in einem Bett gefesselt und in seinen Anus Phosphorlicht eingeführt. Wiederholt berichteten Zeugen von brutalen Misshandlungen von nackten gefesselten Gefangenen durch Schläge. Ihr Gesicht wurde in eine Schüssel mit Urin gedrückt, zur Demütigung pissten die Wärter auf sie. Ausführlich wird auch noch einmal die Nacht vom 8. November beschrieben, in der die Exzesse von London und anderen an sieben irakischen Gefangenen begangen wurden, die man von den Bildern kennt. Von den auch auf den Bildern zu sehenden Toten mit schweren Verletzungen wird seltsamerweise nicht gesprochen. Und ob die im Abschlussbereicht des Pentagon aufgeführten und belegten Misshandlungen und Morde überhaupt je weiter untersucht werden, kann man fast ausschließen. All das heißt wiederum, dass das Militär und vor allem die Geheimdienste weiterhin freie Hand haben und gedeckt werden.