Kamen die Scharfschützen aus der Opposition?
Ein abgehörtes Telefongespräch zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und Catherine Ashton zeigt zumindest, wie blind die EU die Janukowitsch-Opposition unterstützt
Ein Telefongespräch (auch hier mit Bildern) zwischen dem estnischen Außenminister Urmas Paet und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton sorgt dafür, die nicht nur von Politikern im Westen und in Russland, sondern auch von vielen Medien gepflegte Aufteilung in die Guten und die Bösen durcheinander zu bringen und ein etwas realistischeres Bild zu fördern. Paet war am 25. Februar in Kiew, also nach dem Sturz von Janukowitsch. Zuvor hatten Scharfschützen das Feuer auf Demonstranten und auch Polizisten eröffnet und damit weltweite Empörung verursacht, die der Maidan-Bewegung zunutze kam und dem Janukowitch-Regime den finalen Schlag versetzte.
Die Wirkung könnte beabsichtigt gewesen sein (Öffentliche Morde auf dem Maidan-Platz). Gemeinhin wurde in Kiew erklärt, dass es sich um Scharfschützen handelte, die von Janukowitsch zur Unterdrückung der Maidan-Bewegung eingesetzt worden waren. Paet berichtet nach seiner Rückkehr nach Estland von einem Gespräch mit der Ärztin und Aktivistin Olga Bogomolets. Sie habe ihm berichtet, dass "alle Indizien", also Fotos und vor allem offenbar die Munition, darauf hindeuteten, dass dieselben Scharfschützen sowohl auf Polizisten als auch auf Demonstrierende schossen und diese töteten. Zuvor hatte Ashton versichert, dass Janukowitsch die Scharfschützen beauftragt hatte.
Paet erklärte gegenüber Ashton, er finde es sehr beunruhigend, dass die neue Koalition nicht gewillt sei, die Vorfälle genauer zu untersuchen. Der Verdacht werde so bestärkt, dass hinter den Scharfschützen nicht Janukowitsch, sondern jemand aus der neuen Regierung stand. Das könne die neue Regierung von Anfang an in Misskredit bringen. Ashton darauf: "Ich denke, wir sollten das untersuchen."
Wie Paet in einer Mitteilung klar stellte, gab er lediglich die Darstellung der Ärztin wieder. Zurückgewiesen wird aber, dass er damit die ehemaligen Oppositionsparteien, die nun die Regierungskoalition stellen, für die Gewalt verantwortlich machte. Er bedauerte schließlich, dass Telefongespräche abgehört werden (dieses Mal halt nicht von der NSA, sondern vom ukrainischen oder russischen Geheimdienst): "Die Tatsache, dass dieser Anruf geleakt wurde, ist kein Zufall."
Interesse an einer Aufklärung bestand offensichtlich nicht. Noch gestern redete Elmar Brok (CDU), der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments, im Talk von Anne Will die Oppositionsseite schön und platzierte alles Negative auf Janukowitsch und Russland. Für den Sturz von Janukowitsch machte er vor allem die angeblich von ihm beauftragten Scharfschützen verantwortlich. Was Scharfschützen, die auf Demonstranten und Polizisten schossen, für Janukowitsch herausreißen sollten, der mit dem sich abzeichnenden Abkommen für sich zumindest eine Übergangsfrist erreichen konnte und auch die Polizei abziehen ließ, konnte Brock in seiner überaus ideologisch gefärbten Haltung nicht plausibel machen.
Die EU und die USA nahmen, so berichtet der Sender RT, keine Stellung dazu. Natürlich war das Gespräch für die russischen Staatsmedien ein gefundenes Fressen, um die Einseitigkeit des Westens hervorzuheben. Die EU und die USA haben bereits vermieden, zu der rechtsextremen Partei Swoboda und dem Rechten Block Stellung zu beziehen, die nun auch Vertreter in der Übergangsregierung haben. Man stellt sich hinter die gesamte Übergangsregierung und scheint auch diesbezüglich keine Bedingungen bei der geplanten Kreditbewilligung stellen zu wollen. Einmal davon ganz abgesehen, warum die Kreditbewilligung nicht an eine Vermögensabgabe oder an eine saftige Reichensteuer für die Oligarchen gebunden wird, die schließlich Teil des Problems der verheerenden Korruption sind.
Unwahrscheinlich ist jedenfalls nicht, dass Teile der rechtsextremen Gruppierungen die Lage in Kiew durch die Tötung von Demonstranten und Polizisten zuspitzen und damit eine Vereinbarung zwischen den Oppositionsparteien und Janukowitsch verhindern wollten. Das wäre ihnen auch gelungen und der Westen, der sich mit der Anerkennung der Übergangsregierung beeilte, in hohem Grad blamiert. Dringend wäre es auf jeden Fall, die Vorfälle aufzuklären und die Unterstützung der Ukraine entsprechend auszurichten. Man darf nur vermuten, dass weder in der EU noch in der USA daran Interesse besteht.
Interessant ist auch, dass Paet sagte, die Menschen hätten auch kein Vertrauen in die Politiker der Oppositionsparteien, sie hätte alle eine "schmutzige Vergangenheit". Ashton ging auf diese Vorbehalte nicht weiter ein, sondern erklärte, die Leute auf der Straße sollten die Rada, das ukrainische Parlament, arbeiten lassen, sonst gebe es ein Chaos. Die Ärztin und Aktivistin müsse sich wie alle anderen der Maidan-Bewegung eben damit arrangieren, wie das Land regiert werden. Es sei schon wichtig, dass man Arzt und Aktivist ist, aber das bedeute nicht, dass man schon ein Politiker sei. Das zeugt auch von der Einstellung der EU-Berufspolitikerin zum Volk nicht nur in der Ukraine, sondern auch in der EU.