Kampf gegen Einflussnahme: Der Russe in uns
US-Wahl: Vorwürfe gegen Moskau. Kampf gegen Einflussnahme schürt Gefahr im Inneren. Droht Politisierung der Geheimdienste? Ein Telepolis-Leitartikel.
Die Geschichte wiederholt sich. Wie schon im Jahr 2016 soll Russland derzeit versuchen, den Ausgang der US-Wahl Anfang November zu beeinflussen. Diese Meldung machte in dieser Woche weltweit die Runde. Grundlage sind Berichte US-amerikanischer Geheimdienste.
Auch Telepolis hat darüber geschrieben, zumal die US-Regierung Sanktionen gegen Akteure in Russland angekündigt hat. Westliche Medien haben die Nachrichten aus Washington prominent aufgegriffen – und weitgehend unkritisch wiedergegeben. Dabei werfen sie einige Fragen auf.
Erstens: Die Frage nach dem Regelbruch
Der Bericht New York Times, an dem sich viele deutsche Medien – auch Telepolis – orientiert haben, enthält einen bemerkenswerten Satz:
Nach Einschätzung der US-Geheimdienste bevorzugt der Kreml bei der Wahl im November Ex-Präsident Donald J. Trump gegenüber Vizepräsidentin Kamala Harris, weil er der Unterstützung der USA für die Ukraine skeptischer gegenübersteht.
New York Times
Abgesehen von der Frage, ob es für eine solche Erkenntnis Geheimdienste braucht, erschließt sich dem Leser die Brisanz der These nur schwer. Natürlich beobachten Regierungen und Geheimdienste weltweit das Geschehen in anderen Staaten unter dem Gesichtspunkt der Wahrung eigener Interessen.
Ein flüchtiger Blick in diplomatische Depeschen, etwa der USA auf Wikileaks, genügt, um zu erkennen, dass Lagebeurteilungen und Handlungsempfehlungen zum Tagesgeschäft von Auslandsvertretungen gehören.
Mehr noch: Gerade die USA haben im Zuge ihrer Hegemonialpolitik seit 1945 offen und unverhohlen in die Geschicke von Staaten und ganzen Kontinenten eingegriffen; stets die eigenen geo- und wirtschaftspolitischen Interessen im Blick.
William Blum, Autor des Standardwerks Killing Hope über US-amerikanische Interventionen, bescheinigte seinen Landsleuten eine gewisse Skrupellosigkeit angesichts von …
Atombomben auf das japanische Volk, Flächenbombardements auf Korea, die es in die Steinzeit zurückwarfen, Napalm und Pestizide auf die Vietnamesen, einer drei Jahrzehnte währenden Versorgung der Lateinamerikaner mit Folterwerkzeugen und -methoden (…) und dann dem Abwurf von 177 Millionen Pfund Bomben auf das irakische Volk im größten Luftangriff der Geschichte.
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Zweitens: Die Methoden des Westens
Natürlich kann man jetzt sagen: Alles Whataboutism und billiger Antiamerikanismus. Alles lange her und mit der heutigen Situation nicht vergleichbar. Nur: Das erklärt nicht den Widerspruch zwischen dem eigenen Handeln und dem, was man anderen zugesteht.
Fast zeitgleich zu dem Bericht der New York Times über die mutmaßliche Einflussnahme auf den Wahlkampf in den USA gab in Deutschland der russische Oppositionelle Oleg Orlow der ARD ein Interview. Darin forderte er – was sein gutes Recht ist – ein entschiedenes Vorgehen des Westens gegen die Putin-Führung in Russland. Zitat:
Ich erwarte nicht unbedingt einen Zusammenbruch des Regimes, aber ich erwarte sein Ende. (…) Und deswegen denke ich, dass es noch maximal zehn Jahre so weitergehen kann. Und danach kommt entweder ein Zusammenbruch, wie Sie sagen, oder das Regime verfault langsam von innen und die Eliten werden etwas unternehmen. Und bis dahin müssen sich die Zivilgesellschaft und die Opposition in Russland und im Exil überlegen, was danach geschehen kann.
Oleg Orlow
Der Sturz Putins ist seit Jahren ein mehr oder weniger offen verfolgtes Ziel westlicher Russlandpolitik. Lange Zeit wurde Alexei Nawalny als möglicher Protagonist eines Machtwechsels im Kreml unterstützt – ungeachtet seiner rechtsextremen Vergangenheit.
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Nach dem Angriff russischer Truppen auf die Ukraine im Februar 2022 wurde sogar ein Tyrannenmord diskutiert, also die gewaltsame Beseitigung Putins. "Cäsar, Hitler, Putin: Darf man einen Tyrannen töten?", hieß es im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk. In den USA schwadronierte der republikanische Senator Lindsey Graham über die Liquidierung Putins. Ein russischer Geschäftsmann in den USA setzte zeitweise ein Kopfgeld von einer Million Dollar auf Putin aus – "dead or alive".
Drittens: Die Gefahr für die demokratische Ordnung
Diese Analogie ist gar nicht so falsch: Denn die Aufregung über das Vorgehen Russlands und übrigens auch Chinas rührt im Wesentlichen daher, dass diese aufstrebenden Mächte sich das herauszunehmen wagen, was die USA und ihre Verbündeten sich selbst immer zugestanden haben: die Welt nach ihren Interessen zu gestalten. Was von Washington bis Berlin als regelbasierte Ordnung wahrgenommen wurde, hat ein Großteil der übrigen Welt als Wildwest-Politik verurteilt, in der das Recht des Stärkeren gilt.
Nun scheinen die Russen – bildlich gesprochen – zurückzuschlagen, und die Aufregung ist groß. Die US-Regierung hat sofort Gegenmaßnahmen ergriffen und droht mit weiteren Schritten.
Es gäbe eine zweite Handlungsoption, an die offenbar niemand denkt: Jeder hält sich aus den inneren Angelegenheiten des anderen heraus. Alle Akteure verständigen sich auf der Grundlage der UN-Charta und in den Gremien der Weltorganisation auf ein Ende und eine Ächtung der Regime-Change-Politik, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges unermessliches Leid verursacht hat.
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Wenn sich aber der Kampf um gegenseitige Einflussnahme und Sabotage verschärft – und danach sieht es leider aus –, dann birgt das erhebliche Risiken auch für die demokratische Verfasstheit der eigenen Gesellschaften. Darauf weist auch die New York Times hin.
Sie zitiert Kritiker des jüngsten Vorgehens der US-Regierung, die eine Einschränkung der in den USA hoch gehaltenen Meinungsfreiheit befürchten.
Paul M. Barrett, stellvertretender Direktor des Stern Center for Business and Human Rights an der New York University, betont die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung. Er forderte die US-Regierung auf, sorgfältig vorzugehen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht zu verletzen.
Die Herausforderung, so Barrett, bestehe darin, eine Balance zu finden, die es erlaube, konsequent gegen verdeckte Kampagnen vorzugehen, die demokratische Prozesse untergraben, ohne die Meinungsfreiheit zu beeinträchtigen. Denn so wie die Vorwürfe bisher geäußert wurden, könnten sie auch US-Medien treffen, die bestimmten politischen Interessen widersprechen.
Viertens: Die Rolle politisierter Geheimdienste
Nicht nur in den USA ist die Grenze zwischen politisch motivierten Vorwürfen und nachweislich illegalen Machenschaften schwer zu ziehen. Der Grund: Die Informationen stammen aus geheimdienstlichen Quellen und sind daher zunächst nicht überprüfbar.
Gerade in den stark polarisierten USA ist die Gefahr groß, dass sicherheitspolitische Institutionen im Kampf der politischen Lager missbraucht werden. Allein die jüngsten Vorwürfe sind geeignet, den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump in die Nähe ausländischer Einflussnahme zu rücken, ohne dass er gefragt worden wäre oder in irgendeiner Weise Einfluss auf das Geschehen hätte nehmen können.
Ein Szenario, das auf beunruhigende Weise an die filmische Dystopie Civil War des amerikanischen Regisseurs Alex Garland erinnert.
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Die demokratischen Kräfte in den USA, aber auch in Europa sind nun gut beraten, mit politischen Anschuldigungen, deren Quellen nicht überprüfbar sind, vorsichtig umzugehen. Das gilt hauptsächlich für Informationen von Nachrichtendiensten, von denen bekannt ist, dass sie sich in der Geschichte mehrfach geirrt oder politisch motiviert gehandelt haben.
Diese Entwicklung hat längst auch Deutschland erfasst. Auch hier tauchen erste Geheimdienstberichte auf, in denen Medien – noch zurückhaltend – die Verbreitung feindlicher Narrative attestiert wird. Mit entsprechenden Delegitimierungsversuchen sehen sich Akteure in Medien und Politik konfrontiert, die etwa die Ukraine-Politik der Nato-Staaten, die Wirksamkeit der EU-Sanktionen gegen Russland oder die Abkopplung der europäischen Wirtschaft von China infrage stellen.
Die Gefahr ist offensichtlich, dass im inneren und äußeren Machtkampf westlicher Staaten zwei Kollateralschäden zu beklagen sind: Demokratie und Meinungsfreiheit.