Kampf um die Wasserversorgung in Damaskus: Immer nur Propaganda?

Milizenkämpfer im Wadi Barada mit Triumpfgeste. Propaganda - Bildquelle: maytham/Twitter

Milizen mit Beteiligung der al-Qaida-Truppe al-Nusra-Front sperren der syrischen Hauptstadt das Wasser ab und können auf gute Presse hoffen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Wassernot in Damaskus bringt findige Bewohner von Damaskus dazu, sich allerlei Improvisationen einfallen zu lassen, um mit dem Fakt zurecht zu kommen, dass nichts mehr aus den Wasserleitungen kommt, berichtet die New York Times.

Die Wasserversorgung der Hauptstadt komme seit langer Zeit ("historically") hauptsächlich aus dem Tal des Barada-Flusses, informiert der Artikel, und dass das Wadi Barada unter der Kontrolle von "Rebellen, die Baschar al-Assad stürzen wollen", stehe. Der Wasserzufluss aus dem Tal sei am 22. Dezember zum Halten gekommen. Beide Seiten, die Regierung und die gegnerischen Milizen, würden sich gegenseitig vorwerfen, dass sie dafür verantwortlich seien.

In Damaskus gebe es lange Schlangen an Trinkwasserausgabestellen und die Bewohner müssen sehr sorgfältig mit den Wasserrationen umgehen. 5,5 Millionen Menschen in Damaskus und Umgebung würde es an Wasser fehlen, wird ein UN-Sprecher namens Jens Laerke zitiert, der - besonders für Kinder - von einem damit einhergehenden erhöhten Krankheitsrisiko spricht.

Rückeroberung der Wasserversorgung für die Regierung aus Propaganda-Gründen wichtig?

Im Bericht der Tagesschau überschrieben mit "Damaskus sitzt auf dem Trockenen" steuert Carsten Kühntopp aus dem ARD-Studio Kairo erneut den üblichen Schwerpunkt der deutschen Syrien-Berichterstattung an. Am Ende seines Beitrags erklärt er den Lesern noch einmal, dass die Rückeroberung des Barada-Tals für die Regierung aus Propaganda-Gründen wichtig sei.

Dabei stützt er sich auf Rami Abdelrahman, den Chef der "oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte", der davon spricht, dass sich die Regierung bemühe, "die Trinkwasserversorgung für Damaskus zu sichern und einen moralischen Erfolg zu erzielen".

Das ist der Abschlusssatz des Beitrags. Der "moralische Erfolg" bleibt als Fazit hängen. Kenntlich wird daran die Sonderbewertung des Dschihadismus-Problems in Syrien. Anders gesagt: Wie würde die westliche Öffentlichkeit darauf reagieren, wenn militante Gruppen unter Führung ausgewiesener Terrorgruppen die Wasserversorgung einer westlichen Hauptstadt kontrollieren und sie immer wieder mal periodisch sperren?

Die Berichterstattung würde selbstverständlich darauf drängen, dass die Regierung die Kontrolle schnellstmöglich wiedererlangt. Würde der britischen, französischen, italienischen oder deutschen Regierung dabei unterstellt, dass sie damit Propaganda gegen "aufständische Rebellen" macht?

Strittige Punkte: "Ihr Einsatz, Bellingcat!"

Es gibt strittige Punkte zu den Ursachen des Stopps der Wasserversorgung. Regierungstruppen hatten Ende Dezember Milizen im Barada-Tal angegriffen. Im Zusammenhang mit den Kämpfen wurde eine Versorgungsstation zerstört. Der Streit geht nun darum, ob Regierungstruppen für die Zerstörung verantwortlich sind oder die Milizen.

Die Regierung wirft den Milizen vor, dass sie das Wasser mit Diesel vergiftet hätten. Die Milizen ihrerseits werfen der Regierung vor, dass die Armee Bomben auf die Wasserversorgungsanlagen geworfen und damit auch Generatoren beschädigt habe, was zum Abfließen des Diesels geführt habe.

Dieses ist, wie in Berichten über Syrien der Standardsatz lautet, nicht verlässlich nachprüfbar. Dafür gibt es dann Aufklärungsbemühungen von Journalisten, die sich investigativ und unabhängig nennen, aber dennoch eine deutliche politisch-tendenzielle Agenda haben wie zum Beispiel Bellingcat. Dort wird mit stetiger Zuhilfenahme von Quellen aus Kreisen der Milizen und viel Bildmaterial der Schluss nahegelegt, dass das "wahrscheinlichste Szenario" darauf hinauslaufe, dass die Regierung für den Schaden an der Quelle verantwortlich ist.

Zwar wird erwähnt, dass die Milizen eine "nukleare Option" hätten, den Zuflusstunnel zu zerstören, aber unterstellt wird, dass die Milizen aus Eigeninteresse nicht zu einem solchen Mittel bereit wären, weil sie sich damit selbst schaden würden. Für die Regierung gilt nach Lesart von Bellingcat die Logik des Eigeninteresses nicht. Ihr wird, ohne auf Logik zu achten, unterstellt, dass sie die Wasserversorgung der Hauptstadt absichtlich mit Angriffen auf die Quelle zerstört.

Ein Kommentar unter dem Artikel, gepostet von "Paveway IV", widerlegt die Beweisführung des Bellingcat-Autors mit sachlichen Argumenten. Die Wasserversorgung werde vor allem durch Schleusen geregelt, auch nach den Angriffen, heißt es dort. Der unvoreingenommene und interessierte Leser kann sich selbst ein Bild machen. Vielleicht hilft ihm das.

Milizen in Siegerpose

Erwähnt werden soll noch, dass das Bellingcat-Bildmaterial noch durch ein Foto ergänzt werden müsste, das einen Milizen-Kämpfer in Siegespose vor herabgefallenen Teilen an einem Wasserkanal zeigt. Das Foto stammt von maytham, einem Twitteraccount, der häufig Informationen veröffentlicht, die die Sicht der syrischen Regierung wiedergeben.

Veröffentlicht ist das Foto auch in einem Bericht von Moon of Alabama zur "Wasserkrise", worin der Möglichkeit nachgegangen wird, dass die Milizen selbst mit Sprengsätzen die Station zerstört haben. Schaut man sich ein Video an, das ausgerechnet Regierungsgegner zur Stützung des These eines zerstörerischen Angriffs der Regierungstruppen präsentieren, so wird eher die These der Sprengung bestärkt. Auch die Bewertung dieser Ansicht bleibt dem sachkundigeren Leser überlassen.

Al-Qaida im Hintergrund

Ein wichtiges Element der Auseinandersetzung ist jedoch unstrittig: die Beteiligung der al-Qaida-Truppe al-Nusra an der Besetzung des Gebietes, das für die Wasserversorgung von Damaskus seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle spielt. Dafür finden sich auch Belege bei ausgewiesenen Kennern der Milizen und der Dschihadisten, die nicht im Verdacht stehen, der Regierung in Damaskus verbunden zu sein, wie dies bei Aymenn J. Al-Tamimi der Fall ist.

Wie groß der Anteil der al-Nusra-Kämpfer unter den 2.000 Kämpfern des Wadi Bada ist, wird unterschiedlich eingeschätzt. Es gibt allerdings deutliche Hinweise darauf, dass al-Nusra dort schon lange installiert ist. Und es gibt eine Erfahrung in Syrien, die sich überall dort zeigt, wo al-Nusra mit von der Partie ist: Die al-Qaida-Filiale begnügt sich nicht mit einer Nebenrolle.