Kapital- und Klimakollaps

Seite 2: Produktivität und Effizienz wandeln sich im Kapitalismus zu Methoden effizienter Weltvernichtung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Selbst wenn noch in einigen Detailfragen Unklarheit herrschen sollte, ist es absolut evident, dass ein radikales globales Umsteuern notwendig wäre, um die drohende Klimakatstrophe zu verhindern. Eine Fortführung der gegenwärtigen, auf exzessiven Ressourcenverbrauch geeichten Wirtschaftsordnung gleicht einem zivilisatorischen Kamikaze-Kurs. Es ist aber auch offensichtlich, dass das kapitalistische Weltsystem absolut außerstande ist, auf diese zivilisationsbedrohende Entwicklung adäquat zu reagieren. Der Ausstoß von Treibhausgasen steigt allen Klimagipfeln zum Trotz global munter weiter an. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie das ureigenste, krisenhafte und selbstwidersprüchliche Bewegungsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise - der Zwang zur permanenten Kapitalakkumulation - der notwendigen Umwelt- und Klimapolitik diametral entgegensteht.

Es ist absurderweise gerade die immer weiter gesteigerte Produktivität der kapitalistischen Weltwirtschaft, ihre in höchste Höhen getriebene Effizienz, die nicht nur die gegenwärtige ökonomische Systemkrise eskalieren lässt (Die Krise kurz erklärt), sondern auch die Klimakrise befördert. Produktivität und Effizienz, die eigentlich die Grundlagen eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen bilden müssten, wandeln sich im Kapitalismus zu Methoden effizienter Weltvernichtung. Der uferlose Zwang zur Kapitalverwertung, der das bestimmende Moment kapitalistischer Gesellschaften, die Triebfeder des fetischisierten "Wirtschaftswachstums" bildet, stößt nicht nur an eine innere Schranke, indem er eine ökonomisch überflüssige Menschheit auf globaler Ebene produziert, sondern auch an äußere, ökologische Grenzen.

Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum, das nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck der Akkumulation von Kapital ist, an seine "stoffliche Grundlage", an die Investitionen in Rohstoffe, Maschinerie, Energie gebunden. Der Zusammenbruch der Schulden- und Spekulationsblasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten der USA, Europas und Chinas dürfte in den vergangenen Jahren klargemacht haben, das eine scheinbar geisterhafte Generierung von Profiten - von Mehrwert - allein aus der Sphäre der Finanzmärkte und der Zirkulation langfristig schlicht nicht möglich ist.

Mehrwert kann letztlich nur vermittels Lohnarbeit in der Warenproduktion generiert werden. Der Kapitalist investiert sein als Kapital fungierendes Geld in Rohstoffe, Energie, Maschinerie und Arbeitskräfte, um in Fabriken neue Waren herstellen zu lassen, die unter Erzielung von Mehrwert (extrahiert aus der Mehrarbeit der Lohnarbeiter) verkauft werden. Das hiernach vergrößerte Kapital wird in diesem endlosen Verwertungsprozess des Kapitals in noch mehr Energie, Rohstoffe etc. investiert, um wiederum noch mehr Waren herzustellen.

Dieser uferlose Kernprozess kapitalistischer Produktion setzt permanentes Wachstum des Kapitals voraus - niemand investiert sein Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Hiermit müssen auch die Aufwendungen - Rohstoffe und Energie - für diesen Verwertungsprozess permanent erhöht werden. Aufgrund des anstehenden Klimawandels wie auch der tendenziellen Ressourcenknappheit käme dieser Prozess sozusagen an seine äußere, ökologische wie "physikalische" Grenze.

Arbeitslosigkeit jetzt oder Klimakollaps später

Verhängnisvoll wirkt sich bei diesem irrationalen gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess - bei dem die Herstellung konkreter Gebrauchsgegenstände in Warenform nur ein notwendiges Durchgangsstadium der endlosen Kapitalakkumulation ist - die durch Konkurrenz beförderte Produktivitätssteigerung aus. Je höher die Produktivität, desto geringer der Wert einer jeden Ware, der sich nach dem Quantum der darin vergegenständlichten Lohnarbeit richtet. Deswegen führt die permanente Steigerung der Produktivität dazu, dass mit demselben Kapitaleinsatz immer mehr Waren hergestellt werden können, wodurch der Ressourcenverbrauch in der Produktion zusätzlich ansteigt und die Absatzprobleme anwachsen. Eine Steigerung der Produktivität um 50 Prozent in der Autobranche führt dazu, dass der Absatz von Autos um 50 Prozent erhöht werden muss, wie etwa die Zeit 2008 in einem lichten Moment in Bezug auf die Arbeitsplatzproblematik ausführte:

Die Krux an der Situation: Selbst wenn die deutschen Hersteller die Verkäufe ihrer Fahrzeuge konstant halten können, wächst mit jedem neuen Modell der Druck auf die Arbeitsplätze. Die Produktivität beim Wechsel von Golf V auf Golf VI sei in Wolfsburg um mehr als zehn Prozent und in Zwickau sogar um mehr als 15 Prozent gestiegen, verriet ein stolzer VW-Chef Winterkorn bei der Präsentation der Neuauflage des wichtigsten Konzernfahrzeugs. Das bedeutet, dass für die Montage der gleichen Zahl von Autos fünfzehn Prozent weniger Leute nötig sind. Wenn also vom Golf VI nicht entsprechend mehr abgesetzt wird, sind Jobs in Gefahr. Genauso läuft es bei neuen Modellen von BMW, Mercedes oder Opel. Teilweise werden dort Produktivitätssprünge von 20 Prozent erzielt.

"Notbremsungen"

Dies ist die Wahl, die der Spätkapitalismus den Lohnabhängigen lässt, sollte er nicht überwunden werden: Arbeitslosigkeit jetzt oder Klimakollaps später. Diese aus der "Überproduktivität" des Spätkapitalismus resultierenden systemischen Absatzprobleme ließen die schon immer gegebenen Tendenzen zur Ausrichtung des Warendesigns anhand der geplanten Obsoleszenz zunehmen. Hierbei werden Waren so produziert, dass sie möglichst schnell veraltern und so Neuanschaffungen notwendig machen. Je schneller nach Ablauf der Garantiefrist die Produkte ihren Geist aufgeben, desto schneller können neu produzierte Waren vermittels ihres Verkaufs Mehrwert generieren - und noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben.

Der Kapitalismus bringt eine irrationale Produktion für die Müllhalde hervor, die auf permanentes, blindes Wachstum angewiesen ist. Nichts ist peinlicher als das IPhone vom letzten Jahr. Die Produktivitätssteigerung, die eigentlich zur Realisierung einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise unabdingbar ist, wirkt im Kapitalismus als ein Brandbeschleuniger, da hier eine funktionalistische Rationalität dem irrationalen und an seinen eskalierenden Widersprüchen zugrunde gehenden Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung dienen muss. Aus diesem durch Rationalisierungsschübe ins Extrem getriebenen Verwertungszwang ergibt sich eine Tendenz effizienter Ressourcenverschwendung. In der Agrarindustrie fungiert übrigens zumeist der menschliche Körper als die besagte Müllhalde, für die produziert wird.

Ein Paradebeispiel für diesen selbstzerstörerischen Prozess liefert die US-amerikanische Maisindustrie, die seit der sogenannten Grünen Revolution in den 1970ern die US-Verbraucher mit dem tollen Maissirup beglückt, der zunehmend auch in der EU Verwendung findet. Dieses gesundheitsschädliche Fruktosekonzentrat hat den gewöhnlichen Zucker weitgehend verdrängt. Der Filmemacher Curt Ellis hat in seinem Dokumentarfilm "King Corn" die Geschichte und die Folgen der Industrialisierung der US-amerikanischen Maisbranche beleuchtet. Er schilderte die Einführung des Süßungsmittels in einem Interview:

In den 1970ern wurde diese enorme Steigerung der Maiserträge erreicht, und nun tauchten überall im Mittleren Westen diese gigantischen Maisberge auf. Deswegen schien alles hilfreich, um diese Maismengen verwenden zu können - wie eben der Maissirup, der sich nun in tausenden Produkten wiederfindet. Er ist überall, er ist in deiner Spaghettisoße oder in einem Laib Brot - in Produkten, in denen er vor einer Generation noch nicht zu finden war.

Curt Ellis

Produktivitätssteigerungen in der kapitalistischen Agrarindustrie führen somit nicht zu einer Schonung der begrenzten natürlichen Ressourcen, sondern zum Bemühen, auf Biegen und Brechen neue Nachfragefelder zu schaffen, um den Verwertungsprozess aufrechtzuerhalten - und wenn es der menschliche Körper sein muss, der als Maissirupmüllhalde missbraucht wird. Das Kapital fungiert somit als eine Weltvernichtungsmaschine, es stößt an seine äußeren, ökologischen Grenzen - die endliche Welt wird von der uferlosen und selbstbezüglichen Verwertungsbewegung des Kapitals buchstäblich verbrannt.

Für das Kapital, das auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine destruktive Eigendynamik entfaltet, ist die Welt nichts weiter als ein lästiges Durchgangsstadium bei seiner uferlosen und selbstzweckhaften Bewegung der Selbstverwertung. Alles, die gesamte Erde, hat sich diesem irrationalen und selbstzweckhaften Kreislauf der Verwertung des Kapitals unterzuordnen - auch um den Preis des zivilisatorischen Untergangs.

Radikale, an den Wurzeln dieser geschilderten Problemstellung ansetzende ökologische Politik muss folglich die Überwindung dieser kapitalistischen Produktionsweise zu ihrer Maxime machen. Einzig eine postkapitalistische Gesellschaftsformation, die sich nicht mehr dem Zwang zur uferlosen Kapitalakkumulation, also zum blinden und permanenten Wirtschaftswachstum, unterordnet, könnte vielleicht noch einen zivilisatorischen Zusammenbruch verhindern.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.