Kapital- und Klimakollaps

Bild: Nasa

Welche Wechselwirkungen bestehen zwischen der Wirtschaftskrise und dem außer Kontrolle geratenden Klimawandel?

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Die Menschheit steuere binnen der kommenden Jahrzehnte auf eine Klimakatastrophe zu, die alle bisherigen klimatischen Umbrüche in der Menschheitsgeschichte in den Schatten stelle und die Zivilisation - insbesondere die Küstenstädte - bedrohe. Dies ist die Kernaussage einer umfassenden Studie, die von einem Team unter der Leitung des bekannten Klimawissenschaftlers James E. Hansen jüngst publiziert wurde.

Der Klimawandel schreite viel schneller voran als ursprünglich angenommen, so fasste Newsweek die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, an der 18 Wissenschaftler beteiligt waren. Ein "gefährlicher Klimaumbruch" bedrohe die Menschheit in "Dekaden, nicht in Jahrhunderten", titelte die New York Times (NYT). Die Grundaussage der Studie bestehe laut NYT darin, dass durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern kein gradueller, langfristiger Klimawandel ausgelöst werde, sondern dass es zu einem "abrupten Klimawechsel" komme.

Ausgelöst werde dieser abrupt ablaufende Klimaumschwung durch die - viel rascher als zuvor angenommen ablaufende - Eisschmelze in den Polarregionen, die sich aufgrund positiver Rückkopplungen selbst verstärkt und gigantische Massen an Schmelzwasser in die Gewässer der Arktis und Antarktis einfließen lässt. Dieses Süßwasser werde dann das "globale Förderband" der Meeresströmungen, die thermohaline Zirkulation, zum Erliegen bringen, das das gegenwärtige stabile Klima der Welt maßgeblich prägt. Westeuropa etwa profitiert von dem Golfstrom, der für ein gemäßigtes und mildes Klima in dieser Region sorgt.

Sobald dieses globale Förderband seine Funktion als eine Art klimatischer Ausgleichsmechanismus verliert, würden die Temperaturdifferenzen zwischen den tropischen und den gemäßigten Breiten massiv zunehmen, was zur Ausbildung bislang unbekannter Unwetter und Stürme führen müsse. Hansen spricht von "Monsterstürmen", die alles bisher Erlebte in den Schatten stellen würden: "Die Hölle wird losbrechen im Nordatlantik und den angrenzenden Ländern", so Hansen in einem Video wörtlich. Dabei habe dieser Prozess bereits eingesetzt, wie er unter Verweis auf zwei ungewöhnlich kalte Meeresregionen vor Grönland und der Antarktis ausführte, deren Temperatur durch Schmelzwasserzuflüsse abgesunken sei.

Die Prognosen der Hansen-Studie, die von einem rapiden Anstieg des Meeresspiegels von einem bis fünf Metern bis 2100 ausgehen, wurden von einer zweiten, kurz darauf publizierten Untersuchung gestützt, der zufolge der Meeresspiegel um zwei Meter in diesem Jahrhundert ansteigen werde, sollten die CO2-Emmissionen weiter im gewohnten Ausmaß ansteigen. Selbst bei einer Umsetzung der Beschlüsse zur Reduktion der Treibhausgasemissionen, die bei dem "historischen" Klimagipfel von Paris vereinbart wurden, dürfte der Meeresspiegel um rund einen Meter bis 2100 ansteigen: "Heutzutage messen wir den Anstieg des Meeresspiegels in Millimetern", erläuterte einer der Autoren der Studie gegenüber New Scientist. "Wir sprechen aber über einen potenziellen Anstieg von mehreren Zentimetern jährlich, allein durch die Eisverluste in der Antarktis".

Beide Untersuchungen stützen sich auf klimageschichtliche Erkenntnisse, die zumeist durch aufwendige Bohrungen in der Polarregion gewonnen wurden. Ein Blick in die Klimageschichte der Arktis, den etwa die Sedimentbohrungen in dem isolierten nordsibirischen Kratersee Elgygytgyn möglich machen, gewährte in einer 2013 publizierten Studie der Wissenschaft einen bedrückenden Ausblick auf die Zukunft. Vor rund zwei bis drei Millionen Jahren war die gesamte Arktis eisfrei; an den Ufern des Polarmeers wuchsen üppige Wälder. In den Sedimentablagerungen des Kratersees, der vor 3,6 Millionen Jahren entstand, wurden entsprechende fossile Pollen gefunden. Zudem lagen die Küstenlinien im hohen Norden sehr viel weiter südlich, da der globale Meeresspiegel um bis zu 40 Meter über dem heutigen Niveau lag. Die Durchschnittstemperaturen in dieser Klimaperiode waren rund acht Grad Celsius höher als heutzutage.

Konflikte drohen aus erzwungener Migration und wirtschaftlichen Kollaps durch Klimaerwärmung

Alarmierend an dem Befund war, dass die globale atmosphärische Kohlendioxidkonzentration (CO2) vor drei Millionen Jahren mit 400 ppm (parts per million) in etwa dem Wert entsprach, der aufgrund des ständig wachsenden Ausstoßes von Klimagasen bereits überschritten wurde. Die Wissenschaft habe - mal wieder - die "Sensibilität unterschätzt", mit der das Klimasystem auf die Veränderungen der CO2-Konzentration reagiere, erklärte Julie Brigham-Grette von der University of Massachusetts Amherst, die mit der Analyse der arktischen Bohrkerne befasst war, gegenüber dem britischen "Guardian" 2013. Sollte es nicht noch bis dato unentdeckte Rückkopplungssysteme geben, die dieses drastische Szenario zumindest abmildern würden, seien die derzeitigen Klimamodelle nicht korrekt.

Diese Minderheitenposition in der Klimawissenschaft, wonach der Klimawandel nicht graduell und langfristig, sondern rapide und in schubartigen Umbrüchen ablaufe, sei nun dabei, zum "wissenschaftlichen Kanon" aufzusteigen, bemerkte das Newsportal Slate.

Dennoch gab Hansen in einem auf YouTube veröffentlichten Video seiner Hoffnung Ausdruck, dass der "Point of no Return", ab dem die Rückkopplungen den Klimawandel unkontrollierbar eskalieren ließen, noch nicht erreicht sei. Es gelte, nun den Ausstoß von Klimagasen schnellstmöglich zu verringern: "Ich denke, die Schlussfolgerung ist klar: Wir sind in einer Position, in der wir unseren Kindern, unseren Enkeln und künftigen Generationen irreparablen Schaden zufügen können."

Das Weltsystem werde auch auf politischer Ebene außer Kontrolle geraten, sollte die Klimakrise nicht eingedämmt werden können, warnte der Pionier der Klimawissenschaft: "Es ist nicht schwer, sich die Konflikte vorzustellen, die aus erzwungener Migration und wirtschaftlichen Kollaps erwachen würden - und die den Planeten unregierbar machten. Die Grundlagen der Zivilisation sind bedroht." Alle Küstenstädte der Welt würden im Laufe dieses Jahrhunderts unbewohnbar, sollte der Klimawandel nicht abgewendet werden können.

Produktivität und Effizienz wandeln sich im Kapitalismus zu Methoden effizienter Weltvernichtung

Selbst wenn noch in einigen Detailfragen Unklarheit herrschen sollte, ist es absolut evident, dass ein radikales globales Umsteuern notwendig wäre, um die drohende Klimakatstrophe zu verhindern. Eine Fortführung der gegenwärtigen, auf exzessiven Ressourcenverbrauch geeichten Wirtschaftsordnung gleicht einem zivilisatorischen Kamikaze-Kurs. Es ist aber auch offensichtlich, dass das kapitalistische Weltsystem absolut außerstande ist, auf diese zivilisationsbedrohende Entwicklung adäquat zu reagieren. Der Ausstoß von Treibhausgasen steigt allen Klimagipfeln zum Trotz global munter weiter an. Im Folgenden soll dargelegt werden, wie das ureigenste, krisenhafte und selbstwidersprüchliche Bewegungsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise - der Zwang zur permanenten Kapitalakkumulation - der notwendigen Umwelt- und Klimapolitik diametral entgegensteht.

Es ist absurderweise gerade die immer weiter gesteigerte Produktivität der kapitalistischen Weltwirtschaft, ihre in höchste Höhen getriebene Effizienz, die nicht nur die gegenwärtige ökonomische Systemkrise eskalieren lässt (Die Krise kurz erklärt), sondern auch die Klimakrise befördert. Produktivität und Effizienz, die eigentlich die Grundlagen eines nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen bilden müssten, wandeln sich im Kapitalismus zu Methoden effizienter Weltvernichtung. Der uferlose Zwang zur Kapitalverwertung, der das bestimmende Moment kapitalistischer Gesellschaften, die Triebfeder des fetischisierten "Wirtschaftswachstums" bildet, stößt nicht nur an eine innere Schranke, indem er eine ökonomisch überflüssige Menschheit auf globaler Ebene produziert, sondern auch an äußere, ökologische Grenzen.

Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum, das nur der volkswirtschaftlich sichtbare Ausdruck der Akkumulation von Kapital ist, an seine "stoffliche Grundlage", an die Investitionen in Rohstoffe, Maschinerie, Energie gebunden. Der Zusammenbruch der Schulden- und Spekulationsblasen auf den Aktien- und Immobilienmärkten der USA, Europas und Chinas dürfte in den vergangenen Jahren klargemacht haben, das eine scheinbar geisterhafte Generierung von Profiten - von Mehrwert - allein aus der Sphäre der Finanzmärkte und der Zirkulation langfristig schlicht nicht möglich ist.

Mehrwert kann letztlich nur vermittels Lohnarbeit in der Warenproduktion generiert werden. Der Kapitalist investiert sein als Kapital fungierendes Geld in Rohstoffe, Energie, Maschinerie und Arbeitskräfte, um in Fabriken neue Waren herstellen zu lassen, die unter Erzielung von Mehrwert (extrahiert aus der Mehrarbeit der Lohnarbeiter) verkauft werden. Das hiernach vergrößerte Kapital wird in diesem endlosen Verwertungsprozess des Kapitals in noch mehr Energie, Rohstoffe etc. investiert, um wiederum noch mehr Waren herzustellen.

Dieser uferlose Kernprozess kapitalistischer Produktion setzt permanentes Wachstum des Kapitals voraus - niemand investiert sein Geld, um danach weniger oder genauso viel zu erhalten. Hiermit müssen auch die Aufwendungen - Rohstoffe und Energie - für diesen Verwertungsprozess permanent erhöht werden. Aufgrund des anstehenden Klimawandels wie auch der tendenziellen Ressourcenknappheit käme dieser Prozess sozusagen an seine äußere, ökologische wie "physikalische" Grenze.

Arbeitslosigkeit jetzt oder Klimakollaps später

Verhängnisvoll wirkt sich bei diesem irrationalen gesamtgesellschaftlichen Reproduktionsprozess - bei dem die Herstellung konkreter Gebrauchsgegenstände in Warenform nur ein notwendiges Durchgangsstadium der endlosen Kapitalakkumulation ist - die durch Konkurrenz beförderte Produktivitätssteigerung aus. Je höher die Produktivität, desto geringer der Wert einer jeden Ware, der sich nach dem Quantum der darin vergegenständlichten Lohnarbeit richtet. Deswegen führt die permanente Steigerung der Produktivität dazu, dass mit demselben Kapitaleinsatz immer mehr Waren hergestellt werden können, wodurch der Ressourcenverbrauch in der Produktion zusätzlich ansteigt und die Absatzprobleme anwachsen. Eine Steigerung der Produktivität um 50 Prozent in der Autobranche führt dazu, dass der Absatz von Autos um 50 Prozent erhöht werden muss, wie etwa die Zeit 2008 in einem lichten Moment in Bezug auf die Arbeitsplatzproblematik ausführte:

Die Krux an der Situation: Selbst wenn die deutschen Hersteller die Verkäufe ihrer Fahrzeuge konstant halten können, wächst mit jedem neuen Modell der Druck auf die Arbeitsplätze. Die Produktivität beim Wechsel von Golf V auf Golf VI sei in Wolfsburg um mehr als zehn Prozent und in Zwickau sogar um mehr als 15 Prozent gestiegen, verriet ein stolzer VW-Chef Winterkorn bei der Präsentation der Neuauflage des wichtigsten Konzernfahrzeugs. Das bedeutet, dass für die Montage der gleichen Zahl von Autos fünfzehn Prozent weniger Leute nötig sind. Wenn also vom Golf VI nicht entsprechend mehr abgesetzt wird, sind Jobs in Gefahr. Genauso läuft es bei neuen Modellen von BMW, Mercedes oder Opel. Teilweise werden dort Produktivitätssprünge von 20 Prozent erzielt.

"Notbremsungen"

Dies ist die Wahl, die der Spätkapitalismus den Lohnabhängigen lässt, sollte er nicht überwunden werden: Arbeitslosigkeit jetzt oder Klimakollaps später. Diese aus der "Überproduktivität" des Spätkapitalismus resultierenden systemischen Absatzprobleme ließen die schon immer gegebenen Tendenzen zur Ausrichtung des Warendesigns anhand der geplanten Obsoleszenz zunehmen. Hierbei werden Waren so produziert, dass sie möglichst schnell veraltern und so Neuanschaffungen notwendig machen. Je schneller nach Ablauf der Garantiefrist die Produkte ihren Geist aufgeben, desto schneller können neu produzierte Waren vermittels ihres Verkaufs Mehrwert generieren - und noch mehr Treibhausgase in die Atmosphäre abgeben.

Der Kapitalismus bringt eine irrationale Produktion für die Müllhalde hervor, die auf permanentes, blindes Wachstum angewiesen ist. Nichts ist peinlicher als das IPhone vom letzten Jahr. Die Produktivitätssteigerung, die eigentlich zur Realisierung einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise unabdingbar ist, wirkt im Kapitalismus als ein Brandbeschleuniger, da hier eine funktionalistische Rationalität dem irrationalen und an seinen eskalierenden Widersprüchen zugrunde gehenden Selbstzweck uferloser Kapitalverwertung dienen muss. Aus diesem durch Rationalisierungsschübe ins Extrem getriebenen Verwertungszwang ergibt sich eine Tendenz effizienter Ressourcenverschwendung. In der Agrarindustrie fungiert übrigens zumeist der menschliche Körper als die besagte Müllhalde, für die produziert wird.

Ein Paradebeispiel für diesen selbstzerstörerischen Prozess liefert die US-amerikanische Maisindustrie, die seit der sogenannten Grünen Revolution in den 1970ern die US-Verbraucher mit dem tollen Maissirup beglückt, der zunehmend auch in der EU Verwendung findet. Dieses gesundheitsschädliche Fruktosekonzentrat hat den gewöhnlichen Zucker weitgehend verdrängt. Der Filmemacher Curt Ellis hat in seinem Dokumentarfilm "King Corn" die Geschichte und die Folgen der Industrialisierung der US-amerikanischen Maisbranche beleuchtet. Er schilderte die Einführung des Süßungsmittels in einem Interview:

In den 1970ern wurde diese enorme Steigerung der Maiserträge erreicht, und nun tauchten überall im Mittleren Westen diese gigantischen Maisberge auf. Deswegen schien alles hilfreich, um diese Maismengen verwenden zu können - wie eben der Maissirup, der sich nun in tausenden Produkten wiederfindet. Er ist überall, er ist in deiner Spaghettisoße oder in einem Laib Brot - in Produkten, in denen er vor einer Generation noch nicht zu finden war.

Curt Ellis

Produktivitätssteigerungen in der kapitalistischen Agrarindustrie führen somit nicht zu einer Schonung der begrenzten natürlichen Ressourcen, sondern zum Bemühen, auf Biegen und Brechen neue Nachfragefelder zu schaffen, um den Verwertungsprozess aufrechtzuerhalten - und wenn es der menschliche Körper sein muss, der als Maissirupmüllhalde missbraucht wird. Das Kapital fungiert somit als eine Weltvernichtungsmaschine, es stößt an seine äußeren, ökologischen Grenzen - die endliche Welt wird von der uferlosen und selbstbezüglichen Verwertungsbewegung des Kapitals buchstäblich verbrannt.

Für das Kapital, das auf gesamtgesellschaftlicher Ebene eine destruktive Eigendynamik entfaltet, ist die Welt nichts weiter als ein lästiges Durchgangsstadium bei seiner uferlosen und selbstzweckhaften Bewegung der Selbstverwertung. Alles, die gesamte Erde, hat sich diesem irrationalen und selbstzweckhaften Kreislauf der Verwertung des Kapitals unterzuordnen - auch um den Preis des zivilisatorischen Untergangs.

Radikale, an den Wurzeln dieser geschilderten Problemstellung ansetzende ökologische Politik muss folglich die Überwindung dieser kapitalistischen Produktionsweise zu ihrer Maxime machen. Einzig eine postkapitalistische Gesellschaftsformation, die sich nicht mehr dem Zwang zur uferlosen Kapitalakkumulation, also zum blinden und permanenten Wirtschaftswachstum, unterordnet, könnte vielleicht noch einen zivilisatorischen Zusammenbruch verhindern.

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