Kapitalismus kaputt?
Löst die gegenwärtige Pandemie den nächsten globalen Krisenschub aus? Ein Überblick über die strukturelle Krisenanfälligkeit des spätkapitalistischen Weltsystems
Was hat oberste Priorität angesichts der rasch um sich greifenden Pandemiepanik, der abstürzenden Finanzmärkte und der sich in vielen Weltregionen abzeichnenden Rezessionen, die Millionen Menschen in ein existenzgefährdendes Elend zu stürzen drohen?
Eine ordentliche, rasche umgesetzte Bankenrettung natürlich! Soviel müsste eigentlich noch aus dem letzten Crash von 2008/09 hängen geblieben sein.
Im Hause Springer wurde die werte Leserschaft, die ansonsten darauf abgerichtet wird, sich über jedes Flüchtlingsmartphone zu empören, schon am 11. März auf diese kostspieligen Aktionen für "unsere" Banken eingestimmt. Die Finanzinstitute seien nämlich diesmal - so wörtlich - die "unschuldigen Opfer" der Krise, da die Probleme nicht von ihnen ausgingen, erklärte die Springerzeitung Die Welt mit Verweis auf Analysten.
Die Reaktion der Politik auf die aktuelle Krise müsste nun anders ausfallen als während der Finanzkrise vor rund 12 Jahren, hieß es weiter, "Staatshilfen wären dann leichter möglich", auch "Erleichterungen bei der Regulierung", so die stützebedürftigen Sozialisten in der Bankenbranche gegenüber der Welt.
Beim letzten Krisenschub, nach der Pleite von Lehman Brothers und der darauf folgenden Finanzkrise 2008/09, hat die Politik Hunderte Milliarden im Rahmen von Konjunkturmaßnahmen aufgewendet, um einen Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern. Zugleich wurde eine historisch einmalige, expansive Geldpolitik betreiben, mit der die Zinsen massiv abgesenkt und im Rahmen der als "quantitative Lockerungen" bezeichneten Gelddruckerei Schrottpapiere und Staatsschulden aufgekauft wurden, die nun in den Bilanzen der Notenbanken schlummern.
Eine Abfolge von Spekulationsblasen
Der Krisenschub von 2008/09, als die Immobilien-Blasen in den USA und der EU platzten, wurde somit nicht überwunden, sondern durch die damaligen Krisenmaßnahmen in eine abermalige Blasenbildung, in eine durch expansive Geldpolitik initiierte Liquiditätsblase, überführt.
Im Endeffekt kann die Wirtschaftsgeschichte der neoliberalen Ära in den vergangenen drei Dekaden als eine Abfolge einander ablösender, an Umfang und Dynamik gewinnender Spekulationsblasen begriffen werden. Den lokalen Krisen am Ende des 20. Jahrhunderts - der Asienkrise 1997 und dem Finanzkrach in Russland 1998 - folgte die große Spekulationsblase mit Hightechaktien in den USA und Europa, die sogenannte Dotcom-Blase, die im März 2000 platzte.
Die Niedrigzinspolitik der US-Notenbank, mit der die negativen wirtschaftlichen Folgen dieser kollabierenden Spekulationsdynamik an den Aktienmärkten abgefedert wurden, schuf beste Voraussetzungen für das Aufkommen der nächsten, noch größeren Blasenbildung: Der 2007/2008 platzenden Immobilienblasen, die große Teile Europas und der USA wirtschaftlich verheerten.
Auf ein Neues!
Es fand jedes Mal de facto ein Blasentransfer statt, bei dem die Maßnahmen, die die wirtschaftlichen Folgen der geplatzten Immobilienblasen bekämpften (Nullzinsen und Gelddruckerei), den Boden bereiteten für die nächste, noch größere Blasenbildung. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken nach 2008 hat somit die Ausformung einer gigantischen Liquiditätsblase ermöglicht, was die Grundlage der scheinbar stabilen wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Dekade bildete.
Das spätkapitalistische Weltsystem ist somit weiterhin von einer Finanzblasenbildung erfasst, es befindet sich eigentlich seit dem Durchmarsch des Neoliberalismus und der damit einhergehenden "Finanzialisierung" des Kapitalismus in einer beständig anwachsenden Blasenökonomie, mit der die Schuldenberge generiert werden, die eine hyperproduktive Warenproduktion mittels kreditfinanzierter Nachfrage überhaupt am Laufen halten. (Siehe hierzu auch: Die Krise kurz erklärt.)
Diese systemische Krise der Kapitals - begriffen als ein sich schubweise entfaltender historischer Prozess zunehmender innerer Widerspruchsentfaltung - ist somit nie überwunden worden (eine Überblicksdarstellung des historischen Krisenprozesses findet sich hier, hier und hier).
Letztendlich droht nun - ausgelöst durch den äußeren Schock der Pandemie - dieser fragile Schuldenturmbau auf den Weltfinanzmärkten zusammenzubrechen, was einen abermaligen, noch stärkeren Krisenschub auslösen würde. Das labile System, das in den vergangenen neoliberalen Dekaden einen gigantischen Schuldenberg errichtet hat, verträgt externe Erschütterungen kaum noch, es wird immer instabiler.
Die dramatischen Maßnahmen der Politik sind folglich aus der Perspektive einer bloßen binnenkapitalistischen Krisenverwaltung konsequent und der Dynamik der drohenden sozioökonomischen Verwerfungen angemessen - obwohl keineswegs klar ist, ob selbst die schärfsten Notmaßnahmen noch die Krisendynamik abfangen können.
Tatsächlich müssen beispielsweise die Banken mit Milliarden "gerettet" werden. Dies ist die Lehre des Desasters um die Pleite von Lehman Brothers, als die Administration von George W. Bush sich entschied, an einer Großbank, die sich beim fröhlichen Spekulieren mit Hypothekenverbriefungen verzockt hatte, ein Exempel zu statuieren und sie bewusst pleitegehen zu lassen - was ein Einfrieren der Weltfinanzmärkte und den dramatischen Wirtschaftseinbruch von 2009 zur Folge hatte, die eben durch die Nullzinspolitik und die Gelddruckerei der Notenbanken abgefangen werden konnten, mit denen eben die Grundlage für die besagte Liquiditätsblase gelegt wurde, die nun zu platzen droht.
The sky is the limit
Diesmal scheint die Zähleinheit, mit der die Rettungsmaßnahmen des Staates sinnvoll quantifiziert werden können, nicht mehr die Milliarde, sondern die Billion zu sein (eine Billion sind 1000 Milliarden) - mit der Tendenz ins Unendliche. Die Bundesregierung kündigte buchstäblich Hilfen in "unbegrenzter Höhe" an, um den drohenden ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern.
Konkret sollen Kredite an Unternehmen und Konzerne "ohne Begrenzung" vom Staat vergeben werden, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) formulierte. Ein "Milliarden-Schutzschild für Betriebe und Unternehmen" sei geplant, hinzu kämen "Steuerliche Liquiditätshilfen", sowie eine Ausweitung des Kurzarbeitergeldes.
Wie dramatisch die Lage ist, wird nicht nur an der Bereitschaft zur uferlosen staatlichen Kreditaufnahme deutlich, die ironischerweise auch als eine Art Beruhigungspille wirken soll, sondern auch an der pragmatischen Leichtigkeit, mit der eben jene ideologischen Tabus beseitigt werden, die im Gefolge der Eurokrise vom damaligen Finanzmister und leidenschaftlichen Sparsadisten Wolfgang Schäuble unter dem Jubel einer nach rechts abdriftenden, veröffentlichten Meinung errichtet worden sind.
Im Falle eines Wirtschaftseinbruchs sollen nun die berüchtigten Fiskalregeln samt den Schuldenbremsen in der Eurozone ausgesetzt werden, um den Mitgliedsstaaten mehr finanziellen Manövrierraum bei der Krisenbekämpfung zu verschaffen. All das Gerede über Schuldenbremsen und schwarze Nullen, mit dem das Berliner Spardiktat gegenüber Europas Krisenländern gerechtfertigt wurde - es ist jetzt schon Makulatur.
Vorschläge, die vor wenigen Wochen das Ende der politischen Karriere bedeutet hätten, werden nun als Rettungsanker in die Diskussion gebracht. Der deutsche Wirtschaftsminister, Genosse Peter Altmaier, kündigte an, notfalls strategisch wichtige Betriebe zu verstaatlichen, um hochsensible Bereiche der Wirtschaft zu schützen. Auf der Webpräsenz der Tagesschau wird wiederum über "Helikoptergeld" diskutiert, um mit direkter Gelddruckerei und dem Verschenken von Bargeld - etwa 1.000 Euro pro Bundesbürger - dem Kollaps der Nachfrage entgegenzuwirken.
Die EZB hat wiederum zusätzliche Anleiheaufkäufe angekündigt, um Liquidität in die Finanzmärkte zu pumpen, die bis Jahresmitte 120 Milliarden Euro umfassen sollen. Zudem können Banken auf "extrem günstige Finanzierungsbedingungen" hoffen, so das Manager Magazin. Umstritten ist die Zinspolitik, weil Schäuble und Steinbrück mitten im sich entfaltenden Krisenschub Zinserhöhungen fordern.
Offen war bis Montagmittag, wie die europäische Notenbank den drohenden Zusammenbruch des Finanzsektors Italiens verhindern gedenkt, der unter einen gigantischen Schuldenberg, faulen Krediten und einer Staatsschuldenquote von rund 130 Prozent des BIP ächzt. Ein neuer Krisenschub in der Eurozone dürfte von Italien ausgehen.
Kleine Finanzblasenkunde
In den USA wurden hingegen die Schleusentore der Notenbanken bereits weit aufgerissen. Auf 1,5 Billionen Dollar summieren sich etwa die Maßnahmen, mit denen die US-Notenbank Fed den Absturz der US-Börsen zu revidieren versucht, die den schwersten Einbruch seit 1987 verzeichneten. Der Leitzins wurde auf nahezu null Prozent abgesenkt.
Trotz dieser absurden Liquiditätsspritzen scheint die Lage sich kaum noch zu beruhigen - die wichtigsten Indizes stürzten auch am Montag ab. Ausgelöst wurde die Panik an den Börsen durch die Ankündigung der Trump-Administration, den Reiseverkehr zwischen den USA und der EU einzustellen.
Die "Finanzspritzen", mit denen zusätzliche Liquidität in die panischen Märkte gepumpt wird, werde das "Anleiheportfolio" der Fed "von aktuell 4,2 Billion Dollar um ein Drittel nach oben" treiben, kommentierte trocken die FAZ diese Notfallmaßnahme.
Eine Quantifizierung der nun platzenden Liquiditätsblase scheint an dieser Stelle sinnvoll: Die US-Notenbank hält bereits jede Menge "Wertpapiere" in ihren Bilanzen, die sie in den vergangenen 12 Jahren aufkaufte, um das Weltfinanzsystem zu stabilisieren und die ökonomische Expansion der Weltwirtschaft zu ermöglichen.
Vor dem Zusammenbruch der transatlantischen Immobilienblasen ab 2008 hielt die Fed kaum Papiere in ihren Bilanzen, erst im Zuge der einer Gelddruckerei gleichkommenden Aufkaufprogramme für all die Schrottpapiere, die im Gefolge der Immobilienblasen emittiert wurden (zumeist handelte es sich um Hypothekenverbriefungen), ist die Bilanz der Fed von rund 800 Milliarden Euro auf rund 2,4 Billionen hochgeschnellt.
Hiernach wurde der Aufkauf von "Wertpapieren" auf den Finanzmärkten durch die Notenbanken, im Fall der Fed etwa US-Staatsanleihen, zur neuen Normalität, bei der de facto Schulden in die Notenbankbilanzen aufgenommen und frische Liquidität dem Finanzsystem zugeführt wurde - was de facto auf die besagte Gelddruckerei hinausläuft, die nur deswegen keinen Inflationsschub auslöste, weil sie in die Finanzsphäre injiziert wurde, um steigende Kurse, also eine Wertpapierpreisinflation zu befördern.
Die Bilanz der Fed schwellte von 2,4 Billionen US-Dollar 2010 auf rund 4,2 Billionen 2015 an. Nun steht ein weiterer, gigantischer Sprung auf knapp 6 Billionen an, der es bis Montagabend nicht vermochte, die tollen Märkte zu beruhigen.
Alle Ideen und Planspiele, die Schrottpapiere in den Notenbankbilanzen abzubauen, sind - ähnlich der Schäublerischen Schwarzen Null, dem neoliberalen Gerede von der Eigenverantwortung der Unternehmer oder den Fiskalregeln der Eurozone - somit bereits Makulatur.
In der EU, wo die Geldpolitik Teil der nationalen Auseinandersetzungen um die Krisenpolitik war, bei denen der expansive Kurs der EZB Draghis den monetären Gegenpol zum schäublerischen Spardiktat bildete, sieht es nicht besser aus: Hier stieg die Bilanzsumme von einer Billion 2005, über zwei Billionen 2008, auf inzwischen auf 4,5 Billionen an "Wertpapieren" an. Ähnlich verhält es sich bei der Bank of Japan, die vor allem - ähnlich der Fed - Staatsschulden aufkaufte.
Diese Liquiditätsblase, die akut zu platzen droht, weist in ihrer Aufstiegsgeschichte eine grobe historische Zweiteilung auf, die mit der Zinswende der Fed einhergeht. Bis 2015 strömte aufgrund der Nullzinspolitik der Fed anlagesuchendes Kapital in Schwellenländer wie der Türkei, Brasilien, Südafrika, etc., um dort kurzfristige Blasenbildungen zu befördern.
Ab 2016, als die Fed die Zinsen wieder anzog, brachen diese kreditfinanzierten Booms in den einstmals als Lokomotiven der Weltwirtschaft gehandelten Schwellenländern zusammen, was etwa rechtsextremen Figuren wie einem Jair Bolsonaro den politischen Aufstieg in Brasilien ermöglichte.
Zugleich verlagerte sich die Spekulationsdynamik wieder in die Zentren des Weltsystems, so etwa der Dow Jones zwischen 2015 und 2020 seinen Wert nahezu auf knapp 30 000 Punkte verdoppeln konnte - bis vor kurzem.
Brennpunkt Unternehmensschulden
Ob Dotcom-, Immobilien- oder Liquiditätsblase: die Blasenbildung auf den Finanzmärkten wirkt immer als ein systemischer Transmissionsriemen zur Generierung weiterer Schuldenberge, da der Kapitalismus aufgrund der ungeheuren Produktivitätsfortschritte der letzten Dekaden seinen Verwertungskreislauf in der Warenpruduktion nur noch durch kreditfinanzierte Nachfrage aufrechterhalten kann.
Das kapitalistische Weltsystem scheitert auf globaler Ebene letztendlich an seiner eigenen Vorgabe der "Rentabilität", da es zu produktiv für sich selbst geworden ist. Das System kann folglich nur noch auf Pump laufen, weil ohne diese Verschuldungsdynamik - also den Vorgriff auf künftige Verwertung von Kapital - deflationäre Abwärtsspiralen einsetzen, wobei es egal ist, ob nun der Staat, die Privathaushalte, oder die Wirtschaft kreditfinanzierte Nachfrage schafft.
Die bürgerliche Politik befindet sich somit in einer Krisenfalle, da sie als Getriebene der eskalierenden inneren Widersprüche des Kapitals nur versuchen kann, diesen absurden Schuldenturmbau möglichst lange aufrechtzuerhalten, um den totalen Absturz zu verhindern.
Tatsächlich ist der globale Schuldenberg auch nach dem Platzen der transatlantischen Immobilienblasen 2007/08 in den USA und Europa munter weitergewachsen. Die Financial Times bezifferte in einem längeren Hintergrundbericht die Summe der globalen Schulden auf die Kleinigkeit von rund 253 Billionen US-Dollar, was einen historischen Höchstwert darstelle - bei Ausbruch der Schuldenkrise 2008 summierten sich die Schulden der kapitalistischen One World auf rund 170 Billionen US-Dollar.
Wachsende Schulden sind bei einer wachsenden Wirtschaft eigentlich kein großes Problem, solange sie nicht schneller wachsen als das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Doch gerade dies ist seit den 1980er Jahren des 20. Jahrhundert der Fall. Der Schuldenberg des kapitalistischen Weltsystems wächst viel schneller als die Weltwirtschaftsleistung - aus den oben genannten Gründen.
Derzeit umfasst die Gesamtverschuldung rund 322 Prozent des Weltwirtschaftsprodukts, bei Ausbruch der Finanzkrise 2008 waren es weniger als 300 Prozent, zu Beginn des 21. Jahrhunderts lag dieser Wert bei rund 260 Prozent. Der Spätkapitalismus wächst somit nicht heraus aus seinen Schulden, er wächst in sie immer weiter hinein - was der zuverlässigste Indikator für die skizzierte Systemkrise ist.
2000 waren es Hightech-Aktien, 2008 Immobilien - wo droht dem beständig wachsenden, globalen Schuldenturm diesmal der Einsturz?
Der wahrscheinlichste mittelfristige Brennpunkt der sich nun entfaltenden Schuldenkrise bilden die Unternehmensanleihen. Dies vor allem, weil die pandemiebedingten Produktionsstillegungen, die Einbrüche der Nachfrage und das partielle Einfrieren vieler globaler Lieferketten, die konkrete, warenproduzierende Wirtschaft sofort treffen - der weltweite Verwertungsprozess des Kapitals wird direkt gekappt.
Je länger die Stilllegung oder Einschränkung von Produktionskapazitäten dauert, desto dramatischer gestaltet sich die Lage. Das Interesse des Kapitals, seinen Verwertungsprozess aufrechtzuerhalten, kollidiert mit den Erfordernissen der Pandemiebekämpfung, die ja darauf abzielt, durch entsprechende Maßnahmen die Ansteckungsrate zu verlangsamen.
Ohne nennenswerte Rücklagen sind die betroffenen Konzerne auf Kredite angewiesen. Oder, schlimmer noch: Sie können ihren bereits bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber den Banken und dem Finanzsektor nicht mehr nachkommen. Genau dies ist der Fall.
Drohende Kreditklemme
Ein großer Teil des Schuldenwachstums seit der Finanzkrise 2007/08 entfiel laut der FT auf den Wirtschaftssektor (non-bank corporate sector), auf Unternehmensanleihen. Diese Konzerne und Unternehmen würden aufgrund "gestörter Lieferketten und reduzierten globalen Wachstums" nicht mehr in der Lage sein, ihre Schulden zu bedienen. Es drohe eine "Kreditklemme in einer Welt ultraniedriger und negativer Zinsen".
Es ist die übliche Geschichte, die mit einer jeden Blasenbildung einhergeht: Diesmal sind es nicht Hypotheken, die in Wertpapiere umgewandelt wurden, sondern Unternehmensanleihen. Aufgrund der niedrigen Zinsen und der expansiven Politik der Notenbanken, mit denen die Folgen der 2008 geplatzten Blase bekämpft wurden, hätten Unternehmen angefangen, verstärkt, sich in Anleihen zu begeben oder Kredite aufzunehmen, um aggressive Expansionsstrategien zu betreiben (wie etwa Bayer) oder die eigene Aktien aufzukaufen. Die globalen Unternehmensschulden jenseits des Finanzsektors summieren sich nun auf 75 Billionen US-Dollar, während sie 2009 bei 48 Billionen lagen.
Inzwischen hat das große, hektische Rechnen eingesetzt, um das systemische Risiko für den globalen Schuldenberg einzuschätzen. Bei ersten Modellrechnungen wurden die Unternehmensschulden von acht Ländern - China, USA, Japan, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland - berücksichtigt.
Bei einem ökonomischen Schock, der nur halb so stark ausfiele wie die globale Finanzkrise von 2008, würden Verbindlichkeiten im Umfang von 19 Billionen US-Dollar (das sind, wie ausgeführt, 19 000 Milliarden) nicht mehr bedient werden können. Dies wären der 40 Prozent der gesamten Unternehmensschulden in den besagten Ländern.
Dabei scheinen Rezessionen in den meisten Wirtschaftsräumen kaum noch abwendbar - es stellt sich nur die Frage, wie heftig sie ausfallen werden. Somit zeichnet sich das wahrscheinlichste Szenario der kommenden Schuldenkrise deutlich ab, bei dem die gegenwärtige Pandemie als ein äußerer Auslöser fungiert, der die von den Notenbanken inflationierte Liquiditätsblase platzen lässt: Produktionsstillegungen und Nachfrageeinbrüche wandeln einen großen Teil der Unternehmensschulden in Finanzmarktschrott, ähnlich den Hypothekenverbriefungen ab 2008, die wiederum eine Kreditklemme auf den Finanzmärkten auszulösen drohen.
Eine Welle von Zahlungsausfällen oder Herabstufungen von Anleihen würde das "Finanzsystem erschüttern", so Analysten. Diese Kreditklemme würde in Wechselwirkung mit der realen Wirtschaft treten und in einer positiven Rückkopplung den konjunkturellen Abwärtssog verstärken.
In einem solchen Fall wäre ein irreversibler "Point of no Return" erreicht, nach dessen Überschreitung Maßnahmen der Krisenpolitik kaum noch zur Beeinflussung einer vollends unkontrollierbaren Krisendynamik beitragen könnten.
Existenzkrise eines maroden Systems
Die eingangs erwähnten, krassen Maßnahmen, die von den politischen Funktionseliten implementiert werden - von der Billionenflut der Notenbanken über unbegrenzte Kredite bis zu Verstaatlichungen - sind Ausdruck dessen, dass die Politik sich der existenziellen Krise bewusst ist, in der sich nun das kapitalistische Weltsystem befindet.
Es stellt sich die nur allzu berechtigte Frage, ob es noch möglich sein wird, die Lage zu stabilisieren. Je länger die notwendige Bekämpfung der Pandemie dauert, desto größer das Risiko einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems, in deren Folge der wachsende globale Schuldenberg den Spätkapitalismus unter sich begräbt und den Wert in all seinen Aggregatzuständen entwertet.
Fazit: Offensichtlich wird, dass der labile, von Grund auf marode Spätkapitalismus inzwischen unfähig ist, größere externe Schocks zu verkraften. Wochenlange Produktionsausfälle lassen das auf uferloses Wachstum geeichte System in eine existenzbedrohende Krise stürzen. Eine grundlegende Systemtransformation scheint - auch vor dem Hintergrund der eskalierenden Klimakrise - unabdingbar.
Am Beginn der voll einsetzenden Klimakrise, die eine Vielzahl unterschiedlichster externer Schocks mit sich bringen wird, gewinnt die Überführung des Kapitals in Geschichte, der Aufbau einer postkapitalistischen Gesellschaft, die den kommenden externen Schocks gewachsen sein wird, den Charakter einer Überlebensnotwendigkeit der menschlichen Zivilisation.
Feststeht schon jetzt, dass diese Pandemie die spätkapitalistische Gesellschaft, in der wir zu leben genötigt sind, grundlegend verändern wird. Es stellt sich nur die Frage, ob diese Veränderungen in eine progressive, emanzipatorische, oder in eine reaktionäre und autoritäre Richtung verlaufen werden.
Hier, beim Kampf um die Ausgestaltung dieser objektiv anstehenden Transformation, öffnen sich neue Kampffelder für progressive und emanzipatorische Kräfte, die dem Drang des in Agonie befindlichen Systems zu autoritärer Krisenverwaltung und Faschismus entgegenwirken müssen.