"Katar finanziert die Strukturen der Muslimbruderschaft in ganz Europa"
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Interview mit Christian Chesnot, einem der beiden Autoren der Arte-Dokumentation "Millionen für Europas Islam" und des Buches "Qatar Papers - So beeinflusst der Golfstaat den Islam in Europa"
Nachdem Christian Chesnot gemeinsam mit seinem Kollegen Georges Malbrunot zwei kritische Bücher über Katar - und vor allem das Finanzgebaren des Golfstaates - geschrieben haben, bekamen sie Material zugespielt, das belegt, dass dieser sich nicht nur in westliche Ökonomien einkauft, sondern islamische Vereinigungen unterstützt - in den meisten Fällen solche, die der Muslimbruderschaft (MB) nahestehen. Das ließ das Autoren-Duo hellhörig werden, zwei Jahre lang recherchierten sie anhand des umfangreichen Materials. Das Ergebnis war die Arte-Dokumentation "Millionen für Europas Islam", die im September 2019 in der ARD ausgestrahlt wurde.
Am Beispiel des europaweit größten Vorhabens für ein Islam-Zentrum im elsässischen Mulhouse, eines im Jahr 2016 in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz eingeweihten Museums der Zivilisationen des Islam, einer mit dubiosen Mitteln finanzierten Ausbildungseinrichtung für Imame im zentralfranzösischen Département Nièvre und eines Flüchtlingszentrums auf Sizilien, das auf dem Höhepunkt der Syrienkrise Migranten aufnahm, deckten sie darin mit den Finanzierungsströmen auch die dahinterstehende Ideologie auf.
Es folgte das Buch, zunächst in französischer Sprache, dann in englischer Übersetzung, der nun eine deutsche folgte, mit je einem kurzen Kapitel zu den Ländern Schweiz, Österreich und Deutschland. Das Buch ist eine eindringliche Warnung, diesen Geschäftszweig komplett zu unterbinden - und zwar sofort. Über die Recherche und deren Ergebnis sprach Telepolis mit ihm.
Wie stießen Sie im Zusammenhang mit dem Thema politischer Islam und dessen Finanzierung auf Katar, bzw. die Qatar Charity (QC) als Finanzier?
Christian Chesnot: Bereits 5 Jahre vor der Veröffentlichung der Qatar Papers haben wir das Buch "Qatar; les secrets du coffre-fort" (Katar; die Geheimnisse des Geldschranks) geschrieben, über Katar und den Einfluss des Golfstaates auf die französische, die europäische Ökonomie mittels Investitionen. Uns hat interessiert, wie es möglich ist, dass ein kleiner Staat, kaum größer als Korsika, sich quasi alles leisten kann: Sportvereine, Konzernanteile, Hotelanlagen, die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 …
Aber die Finanzierung religiöser Vereinigungen, Einrichtungen und Institutionen haben wir übersehen. Dabei findet diese im großen Stil statt - nicht nur in Frankreich. Darauf wurden wir aufmerksam, als uns das Material zugeschickt wurde. Das war 2016, nach der Veröffentlichung unseres Buches "Nos très cher émirs … sont-ils vraiment nos amis?" (Unsere hochgeschätzten Emire … Sind sie wirklich unsere Freunde?").
Das Datenmaterial, zu dem wir durch Vermittlung eines Whistleblowers Zugang bekamen, enthielt Unterlagen, die Banküberweisungen bestätigten, E-Mail-Verkehr, Tabellen, in denen die an islamische Vereine überwiesenen Hilfsgelder aufgelistet waren, Zahlungen, die für die Errichtung von Schulen und Moscheen oder den Kauf von Grundstücken und Immobilien bestimmt waren.
Wann entdeckten Sie, dass die von der QC geförderten Projekte häufig eingebunden sind in das Netzwerk der Muslimbruderschaft (MB)? Bzw., dass fast alle Anträge in den Ihnen zugespielten Unterlagen von Moscheegemeinden und islamischen Einrichtungen gestellt wurden, die der MB nahestehen?
Christian Chesnot: Der Umfang der in dem Datenmaterial nachgewiesenen Förderung islamischer Vereinigungen hat uns verblüfft. Unter den Empfängern - manchmal auch nur Antragstellern, wenn der Deal letztlich nicht zustande kam - waren viele in Frankreich ansässig. Aber es wurde deutlich: Katar finanziert islamische Zentren und Wohltätigkeitsorganisationen in ganz Europa, neben Frankreich auch in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Italien, Spanien, aber sogar in einem kleinen Ort in Norwegen.
In Frankreich sind die dem Netzwerk der Muslimbruderschaft (MB) zugehörigen Vereinigungen weitestgehend bekannt, zumal es sich z. T. um große Moscheegemeinden handelt und um große Bauprojekte. So wurde uns schnell klar, dass Katar die Strukturen der MB in Europa finanziert. Katar ist offensichtlich nicht nur an wirtschaftlichen Investitionen interessiert, sondern am Export seiner Marke: dem politischen Islam.
Katar: Einer der Hauptfinanziers der Muslimbruderschaft
Wie erklären Sie sich die Unterstützung Katars der ursprünglich in Ägypten gegründeten MB?
Christian Chesnot: In Katar wird ein wahabitischer, ein sunnitischer Islam, wie auch in Saudi-Arabien praktiziert. Kern dessen ist die schrifttreue Auslegung des Korans, die ausschließliche Souveränität Allahs, der sich alle zu beugen haben, und die auch das Rechtssystem bestimmt. Die Ideologie der Muslimbrüder ähnelt dieser Islam-Interpretation sehr, deshalb gibt es diese Nähe zwischen dem Emirat und der Muslimbruderschaft.
Katar gilt als einer der Hauptfinanziers der MB, deren Chefideologe Yusuf al-Qaradawi ist dort beheimatet, der katarische Sender al-Jazeera bietet ihm eine Plattform, mit der er Millionen Muslime auf der ganzen Welt - auch in Europa - erreicht und immer wieder wird das Emirat der Finanzierung der extremistischen Hamas bezichtigt. Insofern ist dieser Zusammenhang naheliegend, wir hatten ihn bloß vorher übersehen.
Wie kam es dazu, dass sich so viele Muslimbrüder in Katar und anderen arabischen Staaten niederließen?
Christian Chesnot: Das ist eigentlich ganz einfach zu erklären: Die Muslimbruderschaft wurde in Ägypten gegründet, später unter Präsident Gamal Abdel Nasser verboten und deren Anhänger wurden nach einem Attentatsversuch auf Nasser zum Teil tatsächlich brutal verfolgt. Viele von ihnen flohen und ließen sich in den islamischen Staaten nieder, unter anderem in Saudi-Arabien und Katar.
In den durch Ölvorkommen boomenden Ländern waren die gebildeten Ägypter sehr willkommen. Zunächst jedenfalls - in verschiedenen Staaten, dann wurde die Muslimbruderschaft später ebenfalls verboten. U.a. in Saudi-Arabien, dort wurde sie 2014 als Terrororganisation eingestuft.
"München war der Brückenkopf"
Offenbar kann die u. a. in Katar heimisch gewordenen MB an ein Netzwerk ihrer Gesinnungsgenossen in Europa andocken. Bzw. diese auf die finanziellen Ressourcen ihrer "Brüder" dort? Fast so, als hätte die MB nach ihrem Verbot in Ägypten und der tatsächlich brutalen Verfolgung sich wie ein Spinnennetz ausgebreitet über arabische Staaten nach Österreich, die Schweiz, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Italien, um nur einige zu nennen?
Christian Chesnot: Kurz umrissen führten die Wege der Muslimbrüder über oder aus den arabischen Staaten nach Europa. Viele kamen hierher, um zu studieren. Said Ramadan beispielsweise, der Schwiegersohn Hassan a-Bannas, dem Gründer der Muslimbruderschaft, der in Köln promovierte. Dieser ließ sich in der Schweiz nieder, agierte aber auch in Österreich und in München. Dort wurde er Vorsitzender der "Moscheebaukommission", aus der das "Islamische Zentrum München" (IZM) hervorging.
Die "Moscheebaukommission" wurde später in "Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland", dann in "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) und schließlich 2018 in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) umbenannt. Die IGD war Gründungsmitglied des "Zentralrats der Muslime in Deutschland e.V." (ZMD) und dessen mitgliederstärkte Organisation. Seit kurzem ruht diese Mitgliedschaft, will die IGD/DMG im Verdacht steht, der Muslimbruderschaft nahezustehen.
Die Münchner Vereinigung war der Brückenkopf, von dem aus sich die Bruderschaft in westlichen Gesellschaften verbreitete. Europa, bzw. die demokratische Verfasstheit der europäischen Gesellschaften, bot ihnen die Möglichkeit, im Schutz der Gesetze und der demokratischen Institutionen dauerhafte Strukturen zu entwickeln.
Netzwerk für fundamentalistische Interpretation vergrößern
Was ist das Ziel der MB in Europa?
Christian Chesnot: Die Muslimbruderschaft betrachtet sich als weltumspannende Bewegung, als eine große Familie, die Umma. Laut Eigendarstellung gibt erstreckt sich das Netzwerk über 70 Länder. Und die Aufgabe ist einerseits, dieses Netzwerk stetig zu vergrößern und so den Islam in einer fundamentalistischen Interpretation auf der ganzen Welt zu verbreiten.
Zunächst einmal den Musliminnen und Muslimen, die in Europa eine Minderheit sind, ein "rechtgeleitetes", sprich schrifttreues Leben zu ermöglichen - oder aufzuzwingen, je nachdem, wie diese das sehen - und wenn die entsprechenden Mehrheiten hergestellt sind, dann die Gesellschaften entsprechend dieser "reinen" Lehre aufzustellen.
Das bedeutet, das Leben vollkommen auf die Religion auszurichten, die 5 Säulen des Islams zu beachten, das öffentliche Bekenntnis zum islamischen Glauben, die Gebete, die Hadsch, also die Pilgerfahrt nach Mekka, die Almosen sowie dem Fasten während des Ramadans zusammen.
Das bedeutet ferner, die Speisevorschriften strikt zu beachten und Frauen weitestgehend aus der Öffentlichkeit zu verbannen und mittels Verschleierung unsichtbar zu machen.
Inwiefern decken sich die Ziele der MB mit denen des Emirats Katar?
Christian Chesnot: Wie ich schon sagte, der in Katar praktizierte Islam ist der Ideologie der MB sehr ähnlich. Auch Katar ist ein Schariastaat, das bedeutet, die göttliche Ordnung bestimmt das Leben auf Erden, das Normen-, Werte- und Rechtssystem ist nach dem Koran ausgerichtet. Das führt u. a. dazu, dass Frauen, sofern sie eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, selbst vor dem Kadi landen - als Angeklagte. Weil nach der fundamental-islamischen Lesart die Frau den Mann zu dieser Tat verführte. Das kann übrigens auch Ausländerinnen passieren, die sich an die katarische Polizei wenden.
Wer profitiert von wem: Die MB vom Emirat, oder umgekehrt?
Christian Chesnot: Die MB vom Emirat - und umgekehrt. Die MB hat die Manpower, die Kontakte, die weit bis in die Spitze der Politik reichen, Katar scheinbar schier unerschöpfliche finanzielle Ressourcen.
In Ihrem Buch nennen Sie zwei Beispiele, bei denen die QC den Ankauf und die Umwidmung ehemaliger Kirchen fördert. Gibt es ein auffallendes Interesse des politischen Islams an der Etablierung von Moscheen in ehemaligen Kirchen?
Christian Chesnot: Von einem auffallenden Interesse würde ich nicht sprechen. Aber wir dürfen nicht vergessen: Jede Moschee, die in Europa errichtet wird, ist eine Trophäe, jede Moschee, die in einer ehemaligen Kirche errichtet wird, ein Sieg über das christlich geprägte Europa.