"Katar finanziert die Strukturen der Muslimbruderschaft in ganz Europa"

Seite 2: "Nichts ist umsonst"

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Werden seitens QC Bedingungen an die Vergabe von Geldern geknüpft? Wenn ja, welche?

Christian Chesnot: Nichts ist umsonst, auch nicht die Förderung durch die "Qatar Charity" (QC). Vor der Mittelvergabe werden Verträge geschlossen, in denen genau festgelegt ist, welche Verpflichtungen die Empfänger damit eingehen. Das wird von Katar genauestens überwacht, es kommen Kontrolleure angereist, an den Baustellen von Großprojekten sind z. T. Videokameras zu installieren, mit denen die Bauarbeiten beäugt werden können.

Zu den Verpflichtungen gehört beispielsweise, dass Schilder an den Baustellen angebracht werden müssen, auf denen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass das Projekt durch die QC gefördert wird. Wie weit die Vorgaben seitens der QC gehen, beschreiben wir ausführlich in unserem Buch. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass Projekte deshalb nicht zustande kamen, weil den europäischen Empfängern die Forderungen Katars zu weit gingen.

Wie funktioniert die Finanzierung? Kann jede muslimische Gemeinde einen Antrag auf Förderung bei der QC stellen, und wenn das fragliche Projekt für unterstützenswert gehalten wird, wird das Geld auf das Konto der Gemeinde überwiesen?

Christian Chesnot: Im Grunde ja, sofern die Empfänger bereit sind, auf die Forderungen seitens der QC einzugehen. Die Projekte müssen natürlich Hand und Fuß haben, es muss genau beschrieben werden, was geplant ist, wie hoch die Kosten insgesamt sind, etc. Aber im Grunde kann jede muslimische Vereinigung sich an die QC wenden.

Wie funktioniert der Geldtransfer in anderen europäischen Staaten, z. B. in Deutschland?

Christian Chesnot: Das hängt von den jeweiligen Bedingungen in den einzelnen Ländern ab. In unserem Buch beschreiben wir ausführlich, wie das in Frankreich funktioniert. Grundsätzlich würde ich sagen: Sehen Sie sich das (Bau)vorhaben an und schauen Sie, welche Organisation, Moscheegemeinde oder Institution dahintersteht, bei größeren Bauvorhaben werden Gesellschaften gegründet, und Sie beobachten die Entwicklung auf deren Konten. Dann sind Sie auf der Spur des Geldes, mit dem das entsprechende Projekt finanziert wird.

Das ist leider in Deutschland nicht ganz so einfach, da die Käufer oder Bauherrn nicht nachweisen müssen, woher das Geld stammt, mit dem das Projekt finanziert wird. Wenn aber, wie in Hamburg bei der Einweihung der Al-Nour Moschee in der ehemaligen Kapernaum-Kirche, der Vize-Botschafter von Kuwait unter den Gästen weilt, dann lässt sich erahnen, woher der Wind weht, bzw. das Geld für den Umbau stammt. Allerdings wurde im Vorfeld kein Hehl daraus gemacht, dass die Gemeinde sich wegen der Finanzierung an Kuwait gewandt hatte. Angeblich, weil es sich bei Kuwait um den "demokratischsten Staat in der Region" handelt; Kuwait gilt indes auch als Finanzier der MB.

Christian Chesnot: Sprechen Sie mit den Inlandsgeheimdiensten. Diese werden die Aktivitäten sehr genau verfolgen. Während der Recherchen zu unserem Buch sprachen wir beispielsweise mit dem Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Nordrhein-Westfalens (NRW), Burkhard Freier, der hat die Muslimbruderschaft genau im Blick. Uns gegenüber äußerte er, dass er diese Form des legalistischen Islamismus für gefährlicher hält als den Salafismus.

Weil Salafismus für Terror steht, den lehnen selbst fundamental ausgerichtete muslimische Organisationen in Europa häufig ab. Sie setzen auf Infiltrierung der Parteien, Politik, Wissenschaft, Medien und Justiz. Das ist viel nachhaltiger als Bomben zu werfen.

Das stimmt, Organe wie Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) haben die Umtriebe im Blick. Sie warnen davor, leider hört die Politik nicht auf sie. Kürzlich wies der Vorsitzende des "Bundes Deutscher Kriminalbeamter", Sebastian Fiedler, in einer Talkshow darauf hin, dass Corona der Organisierten Kriminalität zugutekommen wird. Die Pandemie führt zu einer wirtschaftlichen Krise, es folgen Geschäftsaufgaben und Insolvenzen im großen Stil. Das ist der Moment, in dem die Organisierte Kriminalität ihr Schwarzgeld investieren kann. Das gilt indes nicht nur für die italienische Mafia, die 'Ndrangheta, die in Deutschland sehr aktiv ist oder die berüchtigten sogenannten libanesischen Clans, sondern eben auch für die reichen arabischen Staaten, die sich in westliche Ökonomien einkaufen.

Christian Chesnot: Ja, das ist an dem veränderten Bild von Straßenzügen, insbesondere Einkaufsstraßen, zu beobachten. Islamische Friseurgeschäfte - meistens Herrenfriseure, die Barber-Shops - Halāl-Läden und Restaurants, Hotels, etc. sprießen wie die Pilze aus dem Boden.

"Auch wenn das bis dato nur deren Utopie ist"

Warum halten Sie diese Form der Förderung islamischer Einrichtungen und Projekte für problematisch?

Christian Chesnot: Im Grunde habe ich die Frage schon beantwortet: Weil die geförderten Vereinigungen das Ziel verfolgen, den Islam in einer fundamentalen Prägung in Europa zu implementieren, zu verbreiten und den europäischen Gesellschaften mindestens Scharia-Enklaven, die sogenannten Parallelgesellschaften, aufzuzwingen, letztendlich aber Europa in ein Kalifat verwandeln wollen. Auch wenn das bis dato nur deren Utopie ist. Wir sollten aber nicht vergessen, dass das deren Absicht ist.

Es fällt auf, dass die QC sich offenbar sehr zurückhält, was Finanzierung von Projekten in Deutschland angeht. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Christian Chesnot: In Deutschland ist die Mehrheit der Muslime türkischen Ursprungs, folglich sind islamische Organisationen mit Wurzeln in der Türkei dominierend. Das bedeutet aber nicht, dass dort Katar nicht seine Finger im Spiel hat. Es gibt sehr enge Beziehungen zwischen der Türkei und Katar. Wer in Deutschland wissen möchte, welche islamischen Projekte von Katar finanziert werden, sollte der Spur des Geldes in die Türkei und von dort aus nach Katar folgen.

Sie schreiben, dass aufgrund der "Katar Krise", sprich den politischen Verstimmungen zwischen Katar und Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Ägypten einerseits und andererseits, weil die Veröffentlichung der "Qatar Papers" in Frankreich viel Staub aufgewirbelt hätte, in einigen Fällen die Finanzierung gestoppt worden und die QC insgesamt zurückhaltender geworden sei. Stattdessen habe Katar angekündigt, Investitionen in die westliche Wirtschaft zu intensivieren. Haben Sie diese Entwicklung beobachtet?

Christian Chesnot: Katar hat angekündigt, 10 Milliarden Euro in Europa investieren zu wollen. Nicht in islamische Projekte, sondern in die europäische Wirtschaft. Eine zentrale Drehscheibe für diesen Geldtransfer ist Berlin, eine wichtige Akteurin die Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Flankiert von anderen Persönlichkeiten, z. B. aus dem Sport, zu nennen wäre da der FC Bayern München. Das führt zu skurrilen Begebenheiten wie dem Finale in der Champions League 2020, bei dem sich der FC Bayern München und Paris St. Germain gegenüberstanden. Beide Clubs werden von Kataris gefördert. Katar versus Katar im Kampf um den europäischen Fußballcup.

Aber beobachtet haben wir diese Investitionen nicht. Das ist von Frankreich aus auch schwierig zu leisten. Es wäre vermutlich ein Ansatz, der Spur des katarischen Geldes in Deutschland zu folgen. Interessant ist auch der Halāl-Markt, der wird in Europa auf 500 Mio. Euro geschätzt. Wenn stimmt, was Sebastian Fiedler sagte, dann wird der in der kommenden Zeit sprunghaft ansteigen.

"Ein Recht auf angemessene Gebetsstätten"

Was wäre Ihrer Ansicht nach zu tun, um diese Form der Beeinflussung des Islams in Europa durch Katar zu unterbinden?

Christian Chesnot: Zunächst einmal sollte die Politik auf die Inlandsgeheimdienste hören. Dann ist es sehr wichtig, mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit der Geldmittel zu erreichen. Imame dürfen nicht aus dem islamischen Ausland entsendet werden, sie müssen in den jeweiligen Ländern ausgebildet werden, die Landessprache sprechen und auch in dieser predigen.

Selbstverständlich haben Musliminnen und Muslime in Europa ein Recht auf angemessene Gebetsstätten. Da muss die Politik unterstützen. Sie haben aber kein Recht auf Privatschulen und andere Bildungseinrichtungen, in denen die Separation von der Mehrheitsgesellschaft betrieben wird. In Frankreich hat das zu massiven gesellschaftlichen Verwerfungen und zu einer Stärkung rechtspopulistischer Kräfte geführt. Recht auf freie Religionsausübung ja - aber transparent und im Rahmen der bestehenden Gesetze.

Christian Chesnot, Georges Malbrunot, Qatar Papers - So beeinflusst der Golfstaat den Islam in Europa, Seifert Verlag, Wien, 2020, 375 S.