"Kein Deutscher darf jemals wieder ein Gewehr tragen"

Der Publizist Georg D. Heidingsfelder (1899-1967). Fotoarchiv Peter Bürger

Der Publizist Georg D. Heidingsfelder (1899-1967) hielt hartnäckig an seinen Erkenntnissen aus der US-amerikanischen "reeducation" fest und wurde deshalb in der Adenauer-Republik zum brotlosen Nonkonformisten. Eine Erinnerung anlässlich des Antikriegstages 2014

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Im Sommer 1945 gelangte der Kriegsgefangene Georg D. Heidingsfelder zusammen mit rund 150 anderen deutschen Intellektuellen in ein US-amerikanisches "Sonderlager" ohne Stacheldraht in der Nähe von Cherbourg. Im Verlauf eines knappen Vierteljahres kamen die US-Instrukteure mit den privilegierten Lagerbewohnern zu der Übereinkunft, "dass kein Deutscher jemals wieder ein Gewehr tragen dürfe. Diese kriegerische Nation müsse >for ever< entwaffnet bleiben und zu friedlicher Zivilisation umerzogen werden, durch Amerikaner und deutsche Antimilitaristen".

Georg D. Heidingsfelder erwies sich als äußerst gelehriger Schüler und erhielt nach bestandener Prüfung am 21. September 1945 eine Berufung zum "Selected Citizen of Germany", zum auserwählten Bürger Deutschlands. Hiermit verbunden war die Bereitschaft der Kursteilnehmer, "für den Einzug eines neuen, zivilen, friedlichen, demokratischen Geistes in Germany Sorge zu tragen". Im Rahmen einer großen Abschiedsfeier verkündete ihnen ein US-Colonel noch einmal,

dass das neue Deutschland das "andere Deutschland" werden müsse, das antiwilhelminische und antihitlerische Deutschland, das nicht auf "schimmernde Wehr" und nicht auf "Vau zwei" setze, sondern auf Recht, auf Humanität, auf Frieden, auf Demokratie. Der Stahlhelm werde nun für immer begraben, der Bürgerhut allein in Zukunft den deutschen Schädel bedecken.

"Waren Sie gegen die Nazis?" - "Ein wenig, Herr Leutnant."

Georg D. Heidingsfelder, geboren am 14. Oktober 1899 in Dinkelsbühl (Mittelfranken), war als Protestant zum römisch-katholischen Bekenntnis konvertiert und hatte 1933 seine Tätigkeit als Zeitungsredakteur aufgeben müssen. Nach einer beruflichen Umorientierung trat er am 1. März 1938 bei einer Zweigstelle der Ländlichen Centralkasse eGmbH im sauerländischen Meschede eine neue Stellung an. Ab 1939 thematisierte Heidingsfelder dort in Abendzirkeln mit Schülern und Erwachsenen aus der katholischen Kirchengemeinde den "Gegensatz zwischen christlicher und nationalsozialistischer Weltanschauung".

Als diese Bildungsarbeit nach außen hin bekannt wurde, drohte dem Vater von sechs (bis 1942 geborenen) Kindern ein Entzug der Vergünstigungen des nationalen "Sozialismus". Mit Datum vom 7.11.1941 teilte ihm das Finanzamt Meschede mit, der NSDAP-Kreisleiter habe "der weiteren Gewährung von Kinderbeihilfe auf die Dauer eines Jahres widersprochen".

In einem Schriftsatz des Ortspfarrers Künsting von 1947 heißt es, Heidingsfelder sei als "scharfer Gegner der Nazis bei allen aufrechten Katholiken der Stadt bekannt" gewesen, habe sich dem Zugriff der Gestapo entziehen müssen und deshalb seine Zuflucht bei der Wehrmacht gesucht.

Heidingsfelder, der als 18-Jähriger schon im 1. Weltkrieg "gedient" hatte, wurde im Januar 1942 als Unteroffizier in die Zahlmeisterei des Wehrmachtsgefängnisses Bruchsal abkommandiert. Der mehrjährigen Erfahrung an diesem Ort der permanenten Menschenverachtung verdankte er nach eigener Mitteilung die spätere "Erkenntnis, dass das militärische System im Wehrmachtsgefängnis die potenzierte Kaserne geschaffen hatte, die sich von den Nazis ohne Schwierigkeit zum KZ weiterentwickeln ließ. Der Kommiss also, nicht erst die NS-Weltanschauung, ist das Fundament der Konzentrationslager".

1945 hatte der US-amerikanische Leutnant in Cherbourg Heidingsfelder gefragt, ob er gegen die Nazis gewesen sei, und dieser hatte geantwortet: "Ein wenig, Herr Leutnant." Die auch für die Zeit bei der Wehrmacht belegte nonkonforme Haltung hatte den konservativen Katholiken und Moralisten nie ins Zuchthaus oder gar in ein KZ gebracht. Deshalb wollte er sich nach Kriegsende auch nie als "Widerstandskämpfer" verstehen.

Meine bisherigen Nachfragen bei noch lebenden Zeitzeugen haben ergeben, dass Georg D. Heidingsfelder nach seiner Rückkehr ins Sauerland die Verbindung zu katholischen Männern suchte, die sich als NS-Gegner der eigenen Überlebens-Arrangements in den zurückliegenden Jahren sehr bewusst waren und nunmehr umso aktiver an einem Neuanfang mitarbeiten wollten.

1947 trat Heidingsfelder in der Kleinstadt Meschede als maßgeblicher Initiator eines "Sühnekreuzes" zur Erinnerung an die Ermordung von 80 russischen und polnischen Zwangsarbeitern in Erscheinung. Mitchristen, die von den beispiellosen "Endphase-Verbrechen" in der nahen Umgebung nichts hören wollten, traktierten unter Beifall weiter Bevölkerungskreise das Kreuz mit Feuer und Säge. Selbst kirchliche Würdenträger, die das Zeichen "eingesegnet" hatten, gingen auf Distanz. Heidingsfelder geriet in den Ruf, ein unbelehrbarer Fanatiker zu sein.

Gleichwohl, die Bildungsarbeit des "Selected Citizen of Germany" wurde in den ersten Nachkriegsjahren allenthalben gelobt, und so kam es zu einer Anstellung als hauptamtlicher Funktionär bei der Katholischen Arbeiterbewegung (KAB).

"Bürger des Niemandslandes"

Im November 1950 gab nun der CDU-Politiker Josef Gockeln als KAB-Verbandsvorsitzender bei einer Delegiertentagung in Oberhausen bekannt, dass sich die Katholische Arbeiterbewegung hinter die Wiederaufrüstungspläne der Adenauer-Regierung stelle und zur Rettung des "christlichen Abendlandes" eine "Geschlossenheit der gesamten Organisation" in dieser Frage gefordert sei.

Schon am Folgetag erklärte G.D. Heidingsfelder, der dies zunächst für einen Scherz gehalten hatte, seinen Austritt aus der KAB und verlor somit seine bezahlte Funktionärsstelle. (Zehn Jahre später vermerkte er zu diesem Kapitel, es seien "die katholischen Arbeiter nichts mehr als die Schwanzspitze der von der Großbourgeoisie geführten und dirigierten CDU" und würden es auch "in Ewigkeit bleiben".)

Am 15. Juli 1951 schrieb Georg D. Heidingsfelder hernach dem Hohen Kommissar der US-Militärregierung Mr. MacCloy, er müsse fast sechs Jahre nach seiner Ernennung zum "Selected Citizien" erleben, dass "das deutsche Volk von den [US-]Amerikanern, im Verein mit seiner eigenen 'demokratischen' Regierung, wieder zu den Waffen gerufen wird".

Da die USA "ihre richtige Einsicht von damals offiziell über Bord geworfen haben und die Deutschen in eine gefährlich-unberechenbare Remilitarisierung hineintreiben", sei das als Anlage zurückgeschickte "Zeugnis von Cherbourg" für ihn nunmehr wertlos geworden. Er bleibe aber allen US-Amerikanern verbunden, "die bei der richtigen Einsicht von 1945 beharren".

Als auch der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) - z.T. unter Umgehung der innerverbandlichen Demokratie - die Wiederaufrüstungspolitik Adenauers mit gezielten Stellungnahmen unterstützte, beriet Heidingsfelder kritische junge Katholiken und legte in zwei Auflagen eine Broschüre "Wehrmacht und katholische Jugend" (1954/55) vor.

Aus seiner Sicht waren Katholizismus und politischer CDU-Katholizismus zu diesem Zeitpunkt längst eine unheilige Symbiose geworden. Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung, von Kardinal Frings als "verwerfliche Sentimentalität" bezeichnet, hatte man gegen die Gutachten der Jesuiten Gundlach und Hirschmann verteidigen müssen. Hoher Klerus und Verbandskatholizismus machten die Wiederbewaffnungspolitik des Bundeskanzlers gleichsam zur kirchlichen Chefsache.

Schließlich würden sich deutsch-katholische Moraltheologen - im Einzelfall unter dem blasphemischen Konstrukt eines Weltuntergangs um der Gottesgerechtigkeit willen - sogar als Gutachter für Adenauers Atomwaffen-Begierde betätigen …

In seinem kompromisslosen Widerstand gegen diese Entwicklung sah Heidingsfelder sich in Einklang mit einem Ausspruch von Reinhold Schneider: "Die Zeit fordert unseren Widerspruch und nicht unser Mitmachen!" Er verehrte diesen konservativen katholischen Dichter und war ihm fast unterwürfig zu Diensten, als die katholische Welt Deutschlands den einstmals gefeierten Meister wegen seiner Ablehnung der Wiederaufrüstung fallen ließ.

Heidingsfelder publizierte - wie Reinhold Schneider und von diesem dazu gar ermutigt - in "kryptokommunistischen" Zusammenhängen, da es keine anderen Publikationsmöglichkeiten mehr gab. Nun galten die beiden trotz ihrer erwiesenen Gegnerschaft zum orthodoxen Marxismus als Kommunisten. (Ähnlich erging es auch anderen katholischen Nonkonformisten. Als der CDU-Mann und Publizistikwissenschaftler Walter Hagemann Adenauers Politik kritisierte und 1958 gar den Dialog mit der SED suchte, wurde er flugs als "bedingungsloser Mitläufer des sowjetischen Terrorsystems" gebrandmarkt und sogar mit einem "Sittlichkeitsverfahren" unmöglich gemacht.)

Der bislang nur in zwei Auswahldrucken veröffentlichte Briefwechsel Schneider-Heidingsfelder (1950-1954) dokumentiert am eindrucksvollsten die enorme Bedeutung der zeitweiligen, auf beiden Seiten loyalen Zusammenarbeit und enthält zugleich eine scharfe Kritik der naturrechtlich angelegten atomwaffenfreundlichen Moraltheologie.

Das Ende dieser Geschichte ist beschämend: Der große Meister Reinhold Schneider mäßigt den Ton seiner Kritik, meidet anrüchige Foren und findet alsbald wieder Gnade in den Augen der katholischen Welt. Sein eifriger Diener Georg D. Heidingsfelder lehnt hingegen jede Kompromisslinie bezogen auf die Wiederbewaffnung (und die "Atombombe als satanisches Instrument des Massenmords") ab und wartet ab einem bestimmten Zeitpunkt vergebens auf eine Briefantwort des großen Vorbildes.

Auch Georg D. Heidingsfelder stellt Mitte der 1950er Jahre jegliche honorierte Publizistik ein, die unter Verdacht steht, "ostfinanziert" zu sein, und veröffentlicht dann gar eine Schrift "Der Kampf zwischen Christentum und Kommunismus" (1956). Er ist nach eigenem Zeugnis in der Nachkriegszeit zum "Bürger des Niemandslandes" geworden. Seine Familie muss den kostspieligen Antimilitarismus freilich mittragen, wenn wieder einmal kein Brot auf den Tisch kommt …

Zeitweilig hatte sich G.D. Heidingsfelder politisch und publizistisch als katholischer Kriegsgegner in Gustav Heinemanns "Gesamtdeutscher Partei" betätigt. Die GVP wurde jedoch 1957 endgültig aufgelöst. Nonkonformistische Blätter gingen ein oder konnten keine Honorare mehr bezahlen:

Alle Bemühungen von Freunden und Bekannten, mir eine "sogenannte Stelle" ([Heinrich] Böll) zu verschaffen, scheiterten. Ich war ja mittlerweile fünfundfünfzig Jahre alt geworden, gehörte also in die Kategorie der "älteren Angestellten", die auch im "christlichen Staat" zum gesellschaftspolitischen Schrott zählen - zum "Auswurf" aber, wo sie auch noch "professionelle Nonkonformisten und Gewissensschausteller" sind, wie die "christlich-demokratische" Studentenzeitung "Civis" im Januar 1961 zu schreiben sich nicht schämte.

Georg D. Heidingsfelder: Vom "Selected Citizen" zum Fabrikarbeiter (1961)

Schließlich sah sich Heidingsfelder ab 1960 gezwungen, fern vom Wohnort als Hilfsarbeiter in verschiedenen Fabriken sein Geld zu verdienen. Seine eigenen Berichte darüber zeigen einmal mehr, dass dieser Kritiker eines "verbürgerlichten Christentums" ohne Zukunft zutiefst ein Antimoderner war.