Kein Frieden ohne Aufrichtigkeit
Seite 2: Wer will nukleare Abenteuer?
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Wahrscheinlich würde dies den Bundeskanzler jedoch zu wichtig nehmen. Er verkündete zwar auf der Sicherheitskonferenz in München am 19./20.2., dass er Putin insofern "nicht beim Wort", also nicht ernst nehmen könne – echte Friedensdiplomatie. Und dann war das noch die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der laut über eine künftige atomare Bewaffnung der Ukraine nachdachte.
Apropos Sicherheitskonferenz: Die russische Absage hätte als Alarmsignal verstanden werden müssen, aber so konnte dieser Verein von Leuten, die mutmaßlich auch an Kriegen Geld verdienen, eingeschlossen des Organisators, wohl ungestörter diskutieren.
Wer Gewalt anwendet, lädt die Verantwortung für die Folgen voll auf sich. Aber alle, die nun die Invasion Russlands verurteilen, sollten sich doch fragen, was der Westen getan hat, Russlands Bedenken über seine eigene Sicherheit zu zerstreuen. Leider muss man sagen: nichts. Vielmehr war immer nur von einem "Preis" die Rede, den Russland für seine "Aggressionen" bezahlen müsse. Bis zum Abend des 23.2.2022 war wohl immer noch eine friedliche Lösung möglich.
Stattdessen erhöhte der Westen nach der Anerkennung seine Reaktion schon auf maximales Geschrei; Scholz stoppte Nord Stream 2, alle forderten die härtesten Sanktionen, wohlgemerkt, schon vor dem Einmarsch. Für Russland, wo man dies ohnehin absurd findet, war jedenfalls nichts Schlimmeres mehr zu erwarten.
Der "Preis" für die Invasion war effektiv auf null gefallen – und am Tag danach geschah sie tatsächlich.
Hinter den Kulissen
Der Krieg kann zu einer Tragödie werden, vor allem auch für die Millionen von Familien, durch die jetzt schon ein Riss geht, den es früher nie gab. Geopolitisch sind wahrscheinlich die Verlierer Russland und Europa, das augenscheinlich bereit ist, lieber wirtschaftlichen Selbstmord zu begehen, als den eigenen gruppentherapeutischen Gesprächskreis über neue Sanktionen zu beenden, die schon lange zu einer Schraube geworden sind, die nicht mehr zieht, sondern nur noch durchdreht.
Sinnvoll wäre es dagegen, zu akzeptieren, dass manche Ethnien, etwa nach einer Volksabstimmung, lieber getrennte Wege gehen, wie zum Beispiel Tschechen und Slowaken 1993. Menschen, nicht Territorien, müssen wieder zum Fokus der internationalen Rechtsordnung werden.
Der erstaunlich stille Gewinner des Konflikts, der übrigens weiterhin russisches Erdöl bezieht, sind die USA. Und damit schließt sich auch der Kreis: der Putsch in der Ukraine vor ziemlich genau acht Jahren wurde vom Westen orchestriert, mit Victoria "Fuck the EU" Nuland. Die erste militärische Waffengewalt innerhalb der Ukraine, ohne die es alle heutigen Konflikte wahrscheinlich nicht gäbe, war die unsägliche "Antiterroroperation" der Ukraine gegen die eigene Bevölkerung im April 2014 – beschlossen während eines geheimen Besuches des damaligen CIA-Chefs Brennan in Kiew.
Das eigentliche Problem ist nicht gelöst
Man kann den USA eine Geschicklichkeit im Sähen von Zwietracht nicht absprechen. Teile und herrsche, und vor allem: verkaufe Waffen. In der Folge wählten die Menschen zweimal einen Präsidenten, der ihnen Frieden versprach, bis dieser, mutmaßlich nicht ganz ohne US-Einfluss, wieder auf Krawall gebürstet wurde. Diese Rechnung der USA ging bis heute jedenfalls fast immer auf, und ob Russland mit der Invasion wirklich weitergekommen ist, sie zu durchkreuzen, ist fraglich.
Den das eigentliche Problem für den Weltfrieden, ein Imperium mit 800 Militärbasen, dem 20-fachen Militäretat von Russland und einer Historie von eindeutig völkerrechtswidrigen Kriegen, sitzt nach wie vor über dem Atlantik. Ein gesichtsloses Imperium im Übrigen, dessen greiser Präsident sich nicht einmal als Verhandlungspartner eignen würde, selbst wenn er es wollte. Die Drahtzieher des militärisch-industriellen Komplexes bleiben lieber im Hintergrund. Auch das ist ein Grund des Scheiterns der derzeitigen Friedensdiplomatie.
Über all dies spricht kaum jemand. Aber ohne diesen Kontakt mit der Realität und einer Lösung aus der Gefolgschaft der USA wird es kaum dauerhaften Frieden in Europa geben. Die gesellschaftlichen Wurzeln des Konflikts liegen dagegen darin, dass der anderen Seite nicht zugehört wird. Dabei wäre es eigentlich in Zeiten von automatischen Übersetzungsprogrammen nicht schwer, die andere Sicht der Dinge zur Kenntnis zu nehmen.
Schließlich gibt es auch in Russland eine Friedensbewegung, stärker übrigens als sie in der Ukraine in den letzten Jahren zu beobachten war. Vielleicht können Leute mit unterschiedlichen Ansichten dies als ein gutes Zeichen sehen. Nur eine Menschheit, die im Dialog bleibt, wird den Planeten langfristig bevölkern.
Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Neu erschienen im Westend-Verlag ist sein Buch "Einsteins Albtraum – Der Aufstieg Amerikas und der Niedergang der Physik".