Ukraine-Krise: "USA und Nato hätten Eskalation möglicherweise verhindern können"

Bild: nato.int

Rüdiger Lüdeking über den Nato-Russland-Konflikt, langfristige geopolitische Perspektiven und den Geisteszustand des russischen Präsidenten

Herr Lüdeking, mit der Anerkennung der ostukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk als eigenständige Staaten hat Russlands Präsident Wladimir Putin diese Woche für einen Paukenschlag gesorgt. Hat Sie die in Medien und Politik vorherrschende Überraschung überrascht?

Rüdiger Lüdeking: Angesichts der auch von Russland in der vergangenen Woche genährten Hoffnungen auf diplomatische Treffen auf höchster Ebene mag für viele der Zeitpunkt überraschend gewesen sein. Die Tatsache selbst kann jedoch nicht überraschend. Im Gegenteil: Die Anerkennung passt ins Bild.

Putin hat nach den ihn nicht zufriedenstellenden Antworten der USA und der Nato auf seine Forderungen kühl die sich ihm bietenden Optionen abgeschätzt und mit der Anerkennung eine Option gewählt, mit der er vielleicht die Hoffnung verbindet, dass damit die Chancen auf eine diplomatische Lösung nicht völlig verschüttet werden. Fraglich ist nur, ob dieses Kalkül aufgeht.

Krieg im Donbass (12 Bilder)

Ein Infanteriepanzer in der Nähe der Ruinen des internationalen Flughafens Donezk (2015). Bild: Mstyslav Chernov / CC-BY-SA-4.0

Der niederländische Premier Rutte hat Russlands Präsidenten "wahnsinnig" genannt. Stimmen Sie mit diesem Urteil überein, handelt Putin irrational?

Rüdiger Lüdeking: Nein. Aus meiner Sicht ist Putin ein kühl kalkulierender Machtpolitiker, der mit gewiefter und teilweise auch waghalsiger Taktik und mit langem Atem seine Ziele verfolgt. Angelpunkt seines Denkens sind die von ihm definierten geopolitischen Interessen seines Landes sowie die Wahrung und Anerkennung Russlands als globale Macht auf Augenhöhe mit den USA.

Hätte eine Eskalation also verhindert werden können beziehungsweise wurden im Westen Chancen verpasst – etwa am vergangenen Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz?

Rüdiger Lüdeking: Ich gehe davon aus, dass Putin einer Durchsetzung seiner Forderungen auf diplomatischem Weg den Vorzug gegeben hätte. Die USA und die Nato hätten möglicherweise mit einer entgegenkommenderen Haltung zu den russischen Forderungen die Eskalation verhindern können.

Das hätte gerade auch mehr Flexibilität in der Frage des geforderten Verzichts auf die weitere Ausdehnung der Nato erfordert. Auch bei der Rüstungskontrolle wäre eine aufgeschlossenere Haltung der Nato meines Erachtens nützlich gewesen.