Kein Ruhmesblatt
Die unerfreuliche Auseinandersetzung um das europäische Satellitennavigationssystem "Galileo" scheint vorerst beendet
Die Beilegung des Streits um die Führungsposition in der Entwicklung des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo ist mit auffallender Zurückhaltung bekanntgegeben worden. Weder das Bundesforschungsministerium noch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die sonst nicht müde werden, ihre wirklichen oder vermeintlichen Erfolge zu feiern, hielten es für nötig, den Sieg in der monatelangen Debatte in einer Pressemitteilung zu verkünden.
Selbst die Galileo-Pressestelle konnte eine direkte Anfrage nach ersten Pressemeldungen nur vorsichtig beantworten: "Es scheint tatsächlich eine Einigung gegeben zu haben." Und das Bundesverkehrsministerium gab erst fünf Tage nach den ersten Medienberichten eine eigene Presseerklärung heraus.
Die Akteure scheinen sich bewusst zu sein, dass sie sich in diesem peinlichen Streit nicht gerade mit Ruhm bekleckert und sowohl der europäischen Raumfahrt als auch der europäischen Einigung insgesamt einen Bärendienst erwiesen haben.
Galileo hatte von Anfang mit mannigfachen Schwierigkeiten zu kämpfen. Da gab es zunächst Probleme bei der Abstimmung zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Beide sollen jeweils die Hälfte der 1,1 Milliarden Euro tragen, mit denen die Entwicklung des Systems von staatlicher Seite finanziert werden soll. Während die ESA ihren Anteil relativ schnell bewilligte, brauchten die Verkehrsminister der EU-Staaten erheblich länger und mussten die Entscheidung mehrfach vertagen. Neben der Finanzierung ging es dabei um die Frage einer rein zivilen oder auch militärischen Nutzung des Systems (Wie geht es mit dem europäischen Satellitensystem Galileo weiter?).
Die zögerliche Haltung mag auch auf Druck von außen zurückzuführen sein. Der stellvertretende US-amerikanische Verteidigungsminister Paul Wolfowitz hatte im Dezember 2001 einen Brief an seine europäischen Kollegen geschickt, in dem er vor möglichen Konflikten mit dem amerikanischen Global Positioning System (GPS) warnte, das militärisch genutzt wird (USA machen Druck gegen Galileo). Die spanische EU-Komissarin für Transport und Energie, Loyola de Palacio, bestätigte damals: "Der amerikanische Druck gegen das Galileo-Projekt hat seit dem 11. September zugenommen."
Ende März 2002 kam es dann doch endlich zu einer Entscheidung für eine Entwicklung eines eigenen europäischen Systems. Doch der vermeintliche "Startschuss für Galileo" führte wieder nur zu einem Fehlstart. Verstolpert wurde er diesmal von Italien und Deutschland, die wechselseitig die Führungsrolle in dem Projekt beanspruchten. In dem Streit, der Galileo noch einmal ein weiteres Jahr blockierte, ging es nicht etwa darum, wer am besten für die Führerschaft qualifiziert ist, sondern (Überraschung!) wer am meisten dafür bezahlt (Italien will bei Galileo nicht klein beigeben). Noch Mitte März erklärte Sigmar Wittig, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, ausdrücklich: "Da Deutschland den Hauptanteil der Entwicklungskosten tragen soll, muss das System auch von der deutschen Industrie geführt werden." Der Hintergedanke dabei: Wenn die Systemführerschaft in Deutschland liegt, haben deutsche Firmen bessere Chancen, an Aufträge zu kommen.
Genau dieses Prinzip des "geographic return", das die Auftragsvergabe an einzelne Länder entsprechend deren Beiträgen zum Gesamtetat regelt, wird nun schon seit langem als Hemmnis der europäischen Raumfahrt kritisiert. Alle sind dafür, stattdessen mehr Konkurrenz zuzulassen und Aufträge an diejenigen zu vergeben, die die besten Angebote machen. Es fängt nur niemand damit an.
Wer für eine Systementwicklung bezahlt, erwirbt damit sicherlich das Recht, die Qualität zu kontrollieren. Aber qualifiziert er sich auch automatisch für eine Führungsposition bei der Entwicklung? Sollte die nicht eher denen zukommen, die am besten motivieren und integrieren können?
Studien, die sich mit Führungsqualitäten bei bemannten Weltraummissionen beschäftigt haben, sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ein guter Kommandant häufig den Rat seiner Teammitglieder einholt, unparteilich in seinen Entscheidungen ist und sich um das Wohlbefinden der Crew bemüht. Als die drei wichtigsten Erfordernisse für alle Teammitglieder nannte die kanadische Astronautin Roberta Bondar "Mitgefühl, Verständnis und die Fähigkeit zu kommunizieren". Das scheint auf der Erde noch nicht recht angekommen zu sein.
Es ist sicherlich notwendig, dass die Raumfahrt sich auf einer gesunden finanziellen Basis entwickelt. Wer nicht auf seine Bilanzen achtet, läuft Gefahr, sich zu übernehmen. Aber Geld kann den Weg ins All lediglich ebnen. Es kann und darf nicht die Richtung weisen. Der Weltraum ist nicht einfach nur eine neue Ressource, deren lukrative Ausbeutung die Endlichkeit der irdischen Reserven erträglicher macht. Der Aufbruch ins All bedeutet vielmehr eine beispiellose Schwelle in der kulturellen Entwicklung der Menschheit, eine vielleicht einzigartige Gelegenheit, unsere Lebensweise zu überdenken und zu ändern. Wollen wir jenseits der Erde so weitermachen wie bisher oder versuchen, Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen zu ziehen?
Der deutsch-italienische Streit um Galileo hat noch einmal gezeigt, dass solche Überlegungen in der deutschen und europäischen Raumfahrtpolitik eine sehr geringe bis gar keine Rolle spielen. Aber vielleicht zeigt Deutschland jetzt, nachdem es die Führungsposition bei Galileo errungen hat, dass es sie auch verdient. Man wird ja noch hoffen dürfen.