Keine Fingerabdrücke und DNA-Spuren von Amri im Tat-LKW

Seite 3: Polizisten und Salafisten, die sich gut kennen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Einer der wichtigsten dschihadistischen Treffpunkte war die Fussilet-Moschee in der Perleberger Straße in Berlin-Moabit, die nach dem Anschlag geschlossen wurde. Auch Amri und Ben Ammar verkehrten regelmäßig dort. Amri soll sich noch eine Stunde vor der Tat in den Räumen aufgehalten haben. Die Bundesanwaltschaft spekuliert heute, er habe unter Umständen dort die Tatpistole geholt.

Die Fussilet-Moschee und ihr Personal sind ein eigenes Mysterium in der Geschichte. Dazu gehört, dass sich genau gegenüber, nur wenige Meter entfernt, eine große Polizeiwache befindet: der Polizeiabschnitt 33 der Direktion 3. Außer der regulären Kontrollkamera der Polizei waren dort noch Überwachungskameras des LKA und des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) angebracht. Außerdem bewegten sich in dem überschaubaren Kreis von etwa 50 Moschee-Mitgliedern mindestens drei Informanten von LKA, LfV und Bundesamt für Verfassungsschutz. Eine der gefährlichsten Anlaufstellen der nominellen Islamistenszene war rund um die Uhr unter Beobachtung der Sicherheitsorgane.

Den Überwachungskameras ist es zu verdanken, dass man nachsehen kann, was sich in der Tatnacht vor der Fussilet-Moschee abspielte. Und das liefert gleichfalls bemerkenswerte Erkenntnisse, vor allem über die offensichtliche Verwebung der Polizei mit der Szene.

Die Abgeordneten haben sich die Aufzeichnungen der Nacht angesehen und befragten jetzt drei Beamte von insgesamt sechs oder sieben, die in Mobilen Einsatzkommandos (MEK) des LKA vor Ort waren. Man erfuhr nur ihre Initialen: T.A., Y.K., R.D., zwei waren zusätzlich mit Perücke und aufgeklebtem Bart verkleidet. Die Abgeordneten haben ausgerechnet von jenem Einsatz, der dem letzten Aufenthaltsort des angeblichen Attentäters galt, keinen Bericht gefunden.

Obwohl sich also gegenüber der Moschee eine Polizeiwache befindet, erschien um 1:07 Uhr ein Streifenwagen mit drei MEK-Beamten. Mit gezogener Dienstwaffe und Maschinenpistole begaben sich zwei in das Gebäude. Vier Minuten später kamen sie wieder heraus und fuhren weiter. Sie seien auf den Hinterhof gewesen, um zu schauen, ob jemand in der Moschee ist, so der Zeuge T.A., hätten aber nichts bemerkt. Tatsächlich muss mindestens eine Person dagewesen sein, wie sich später herausstellen sollte.

Ab 5:21 Uhr erfasste die Überwachungskamera weitere Bewegung vor dem Eingang zur Moschee, die in einem normalen Wohnhaus liegt. Der nächste Polizeieinsatz. Ein Beamter hielt sich längere Zeit im Haus auf. Wozu, ist unklar. Eine Stunde später um 6:26 Uhr ging eine vermummte Person in die Moschee hinein. Weitere Beamte kamen. Eine Gruppe von sechs Personen stand redend vor dem Eingang, als ein anderer Mann herauskam, 7:34 Uhr. Zwei Polizisten sprachen ihn an und redeten dann 25 Minuten lang mit ihm, bis 7:59 Uhr. Der Mann, der vom äußeren Erscheinungsbild zum Moscheeklientel passte, ging mit zwei Beamten weg. Ein paar Minuten später kam ein weißer Polizeitransporter in die Perleberger Straße. Um 8:33 Uhr kehrte der Mann aus der Moschee mit den beiden Beamten zurück. Einer von ihnen schien auf einem Klappbrett etwas aufzuschreiben. Sie verabschiedeten sich mit Handschlag.

Im Verlauf der Ausschusssitzung wird der Mann aus der Moschee als Rostam A. identifiziert. Und einer der LKA-Beamten, der mit ihm eine geschlagene Stunde geredet haben muss, ist der anwesende Zeuge R.D. Er habe Rostam A. gefragt, wie er sich grundsätzlich zu dem Anschlag äußere, was der aber nicht getan habe. Er habe nur Belangloses erzählt, über seine Pornosucht beispielsweise, nichts, was relevant gewesen wäre.

Polizeioberkommissar R.D. kennt Rostam A. seit längerem, ein bekannter Salafist, der an der Koran-Lies!-Verteilaktion beteiligt war. Sie duzen sich. Zu Amri oder Ben Ammar will er nicht so ein gutes Verhältnis gehabt haben wie zu Rostam. Ob Rostam A. Amri kannte, konnte er nicht beantworten. Tatsächlich kannten sich die beiden.

MEK-Streifen, die jeden zweiten Tag an einschlägigen Moscheen vorbeigeschaut haben, Polizisten und Salafisten, die sich gut kennen, miteinander reden, freundlich miteinander umgehen, sich duzen und die Hände schütteln. Und zugleich das Klientel, aus dem Terroristen kommen sollen? Der Umgang erinnert eher an einen mit Informanten oder Quellen. Doch das verneinte der Polizeizeuge und meinte, es handelte sich nicht um Informanten, sondern um "Zeugen, die bestimmte Dinge sagen".

Handelt es sich vielleicht um eine besondere Konstruktion: Polizeiinformanten, die nur nicht Informanten genannt werden? Das würde den Polizisten den Umgang mit ihnen erleichtern, weil sie nicht vorher aus der Behördenhierarchie die Erlaubnis dazu bekommen müssten. Es wäre aber eine Art Parallelstruktur, wenn auch nicht die einzige.

Was interessiert die Berliner Polizei an der Aufklärung im Bundestag?

Mit einem dieser - inoffiziellen - islamistischen Informanten führte der LKA-Beamte Y.K. mehrere Treffen durch: Hadi A., ebenfalls ehemaliger Fussilet-Moscheegänger, der sich unter anderem zu Anis Amri äußerte. Von einem über dreistündigen Treffen am 3. Januar 2018 notierte der LKA-Mann folgende Aussage von Hadi A.: Bilel Ben Ammar wegzuschicken und nicht einzusperren, sei der größte Fehler gewesen. Ben Ammar war, obwohl Mittatverdächtiger, am 1. Februar 2017 nach Tunesien abgeschoben worden. Warum die Erörterung dieser Personalie ein Jahr nach Ben Ammars Abschiebung? Der Zeuge blieb diese Antwort schuldig.

Dass Vertreter der Polizei verkleidet mit Perücke und angeklebtem Bart vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagen, ist ein Novum. Das kannte man bisher nur von Zeugen des Verfassungsschutzes. Dazu passt, dass sich auf der gut besuchten Zuschauertribüne ein weiterer LKA-Mann inkognito aufhielt, ausgestattet mit einem normalen Besucherausweis. Als Journalisten das herausfanden und ihnen fragten, warum er da sei, antwortete er, er müsse nicht sagen, welchen Auftrag er habe. Der ständig anwesende Vertreter der Innenverwaltung von Berlin hatte keine Ahnung von dem LKA-Besucher. Was interessiert die Berliner Polizei an der Aufklärung im Bundestag?