Keine Laufzeitverlängerung für Mappus

Der große Wahlgewinner in Baden-Württemberg sind die Grünen - alle anderen etablierten Parteien haben Stimmanteile verloren

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Als ehemaliger FDJ-Propagandasekretärin dürfte Angela Merkel folgender Lenin-Ausspruch bekannt sein: "Klug ist nicht, wer keine Fehler macht [...] Klug ist, wer [...] es versteht, sie leicht und rasch zu korrigieren". Vielleicht ging er ihr im Kopf herum, als sie sich nach Fukushima ihr Laufzeitverlängerungs-Moratorium überlegte. Unabhängig davon, ob dieses Moratorium eine echte Korrektur oder mehr ein taktischer Schachzug ist, sieht es nach den beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz so aus, also ob der Wähler es zumindest teilweise honoriert hätte: In Rheinland-Pfalz konnte die CDU nämlich um etwa zweieinhalb Prozent zulegen, während sie in Baden-Württemberg 5,2 Prozentpunkte verlor und nun nur noch auf 39 Prozent kommt.

Dass die Ergebnisse so unterschiedlich sind, liegt nicht zuletzt an den beiden sehr unterschiedlichen Spitzenkandidaten, die außer einem CDU-Parteibuch und einer gewissen Stämmigkeit wenig gemeinsam zu haben schienen. Während Julia Klöckner durch ihre Befürwortung von mehr direkter Demokratie und eine im Vergleich zur SPD besonnenere Haltung beim Jugendmedienschutz auch außerhalb der traditionellen CDU-Wählerschaft Punkte sammelte, bot der teilweise wie ein politischer Oliver Hardy agierende Mappus, der sich auch große Teile der eigenen Partei zu Feinden machte, der Opposition eine nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich überbreite Zielscheibe für Angriffe und Spott: Im Netz zählte ein Countdown seine "Restlaufzeit", auf Demonstrationen präsentierten Stuttgart-21-Gegner alte Pantoffeln als "Mappus-Wahl-Schlappen" und dem Vorwurf der Technologiefeindlichkeit begegneten sie mit dem Slogan: "Schießt den Mappus auf den Mond, das ist Raumfahrt, die sich lohnt!" Die originellste Losung hatte die Titanic-Partei: Mit "Mappus 21" rief sie dazu auf, die CDU auf 21 Prozent "tieferzulegen".

Auch sein finanzpolitisches Gebaren dürfte dem Ministerpräsidenten geschadet haben: Ende letzten Jahres kaufte er unter fragwürdigen Umständen 45,01 Prozent des Energiekonzerns EnBW für stolze 4,7 Milliarden Euro. Dem grünen Spitzenkandidat Winfried Kretschman zufolge war diese Summe fast eine Milliarde Euro zu hoch.

Der umstrittene Kaufpreis, so wurde dem Wähler im Januar und Februar gesagt, werde über die durch stattliche Gewinne zu erwartende hohe Dividende schnell wieder hereinkommen. Doch Fukushima und Angela Merkel machten dem Ministerpräsidenten einen Strich durch diese Rechnung: Nachdem die beiden als relativ unsicher geltenden Atomkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg I abgeschaltet wurden, rechnete man plötzlich mit weit weniger Profit und entsprechend weniger Dividende - was heißt, dass für den eventuell stark überhöhten Preis der auf dubiose Weise durchgeführten Verstaatlichung wahrscheinlich doch der Steuerzahler bluten muss.

Hinzu kommt, dass die Aktien sich nicht mit Gewinn, sondern nur unter Inkaufnahme hoher Verluste verkaufen lassen dürften. Das trifft auch andere öffentliche Teilhaber wie etwa Kommunen. Der grüne Haushaltspolitiker Eugen Schlachter konnte deshalb mit dem Vorwurf werben, Mappus sei ein "finanzpolitischen Gaukler, der das Geld der Steuerzahler verzockt". Dass der CDU-Politiker nicht gegen diesen Vorwurf einschritt, deutet unter anderem deshalb auf eine gewisse Zutreffendheit hin, weil er sich in der Vergangenheit nicht gerade einen Ruf als Freund der Pressefreiheit erwarb. SWR-Mitarbeiter hatte er mit so massiven Drohungen von einer Berichterstattung über sein Verhältnis zu Günter Oettinger abzubringen versucht, dass man ihn wegen Nötigung anzeigte. Für Medien - egal welcher politischen Färbung - ist sein Sturz deshalb in jedem Fall ein Gewinn.

Dass die FDP mit 5,3 Prozent zwar ihr Ergebnis halbierte, aber nicht wie anderswo komplett aus dem Landtag flog, könnte nicht nur mit einem stärkeren Stammwählerpotenzial Baden-Württemberg zu tun haben, sondern vielleicht auch damit, dass ihr Spitzenkandidat Ulrich Goll bei der SWR-Elefantenrunde am Donnerstag damit warb, dass er schon lange "ein großer Skeptiker der Kernenergie" sei und in den 1970er Jahren gegen den (wegen der Proteste aufgegebenen) Kernkraftwerksbau in Wyhl bei Emmendingen demonstriert habe. Ein paar Zehntelprozent des sehr knappen Parlamentsverbleibsergebnisses hat der FDP-Landesverband eventuell auch seinem Immaterialgüterrechtskurs zu verdanken, der sich grundlegend von dem in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz unterschied: Der Lobbyorganisation "Kulturrat" gegenüber kritisierten die baden-württembergischen Liberalen den "in den letzten Urheberrechtsnovellen beschrittenen Weg der beständigen Ausweitung und Verschärfung, insbesondere durch extensive Straf-, Abmahn- und Bußgeldvorschriften".

Eindeutiger Wahlsieger sind mit 12,5 Prozentpunkten Zugewinn und 24,2 Prozent Stimmanteil die Grünen. Sie profitierten davon, dass ihr Kernthema durch das Fukushima-Unglück zum Wahlkampfthema Nummer Eins wurde und alles andere in den Schatten stellte. Da fiel dem Wähler offenbar nicht so sehr auf, wie sehr die grüne Energie- und Naturschutzpolitik kollidieren und auch die Außenpolitik spielte anscheinend keine entscheidende Rolle mehr. Wäre das Kraftwerksunglück nicht geschehen, dann hätte der offene Libyenkriegskurs einiger prominenter Köpfe der Ökopartei vielleicht manchen Wähler abgeschreckt.

Dass die Grünen im traditionell konservativen Ländle mehr Stimmen als die ebenfalls atomkraftkritische SPD bekamen, liegt aber unter Umständen auch daran, dass sie sich in Baden-Württemberg besonders bahnershaft gaben. Ihr Spitzenkandidat Kretschmann stellte sich als staatstragender Kontrast zu Mappus dar. Der, so Kretschmann, sei "nicht konservativ", weil er keine Werte wie Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit pflege, "die schon immer durch die Zeiten hindurch galten". Ebenfalls hilfreich dürfte gewesen sein, dass die Grünen den Wählern eine Volksabstimmung zur teuren Tieferlegung des Stuttgarter Bahnhofs in Aussicht stellten.

Die SPD gab sich als Partei der Beliebigkeit, die sowohl mit den Grünen als auch mit der CDU koalieren kann und fiel in Baden-Württemberg mit einem Verlust von 2,1 Prozentpunkten auf 23,1 Prozent - das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Mit ihm zeigt sich, dass die Hamburger Bürgerschaftswahl doch eine Ausnahme war und die Sozialdemokraten möglicherweise weniger von eigenen Stärken als von Schwächen der anderen Parteien profitierten. Spitzenkandidat Nils Schmid hatte nämlich - wie Olaf Scholz in Hamburg - offensiv mit dem umstrittenen Ex-Kanzler Schröder Wahlkampf gemacht und diesen sogar als Vorbild gepriesen. Geht es für die SPD in den nächsten Wahlen so medioker weiter, wird sich möglicherweise bald erneut die Frage stellen, welchen Kurs die Partei einschlagen und wer sie bundesweit führen soll.

Der Linkspartei, die mit einem Ergebnis von 2,8 Prozent der Wählerstimmen und einem Verlust von 0,3 Prozentpunkten am Einzug in den Landtag scheiterte, hatte Mappus mit seiner Verstaatlichung von EnBW eines der beiden großen Themen weggenommen und diskreditiert. Das andere - die Niedriglöhne - zog offenbar nicht ausreichend, um ein Unbehagen der Wähler an Teilen des Personals und des Parteiprogramms zu kompensieren. Geschadet scheint der Linken auch der nicht wirklich überzeugend dementierte Vorwurf ihrer Konkurrenten, die Partei, die in Dresden für den Verkauf der städtischen Wohnungen an eine Heuschrecke gestimmt hatte, um Hochkultur stärker zu subventionieren, wolle in Baden-Württemberg die Staatsverschuldung um eine zweistellige Summe erhöhen.

Bleibt es bei den Anteilswerten im vorläufigen amtlichen Endergebnis, dann nützen die Überhangs- und Ausgleichsmandate zwar der CDU als stärkster Partei, führen aber nicht dazu, dass es im Landtag eine Mehrheit für Schwarz-Gelb gibt. Danach kommen die Christdemokraten auf 60 Sitze, die Grünen auf 36, die Sozialdemokraten auf 35 und die Liberalen auf sieben. Mit insgesamt 71 Sitzen haben Grüne und SPD dann zusammen eine absolute Mehrheit der Mandate und können den ersten grünen Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wählen.

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