Keine Lösung der Zypern-Frage in Sicht

Seite 3: Das erneute Scheitern rückt eine Lösung in weite Ferne

Seit die Türkei wegen der Erdgasbohrungen vor der zyprischen Küste auf Konfrontationskurs gegen Griechenland ist, wurde der türkische Ton in der Zypernfrage rauer und nationalistischer. Für das türkische Militär ist die Insel strategisch zentral.

Seit die geopolitischen Spannungen im Levantinischen Meer im Zuge der Syrien-Krise stark zugenommen haben, ist Zypern strategisch noch bedeutender geworden. Aber das ist nur ein Aspekt. Seit Erdogan 2014/15 einen radikalen Kurswechsel hin zu einem islamisch-totalitären Staat einleitete und um die Vorherrschaft der Türkei im neo-osmanischen Sinne kämpft, ist eine Wiedervereinigung Zyperns fern der Realisierung. Die Türkei favorisiert mittlerweile wieder (oder immer noch?) eine Zwei-Staaten-Lösung.

Für die UNO ist eine Zwei-Staaten-Lösung inakzeptabel, denn diese würde der Türkei mehr Einfluss im östlichen Mittelmeer verschaffen. Wir erinnern uns: Mit dem neuen Neo - Osmanischen Kurs will Erdogan den territorialen Einfluss der Türkei wieder auf die Grenzen des Osmanischen Reiches ausweiten. Das bringt ihm Sympathien und Stimmen in der Türkei, auf die er angesichts der aktuellen desaströsen Wirtschaftslage und sinkender Wählergunst dringend angewiesen ist.

Seit der Wahl des jetzigen, AKP-treuen Präsidenten Nordzyperns, Ersin Tatar, im Oktober 2020 breitet der türkische Präsident Erdogan seinen Einfluss auf den türkisch besetzten Teil Zyperns aus. Dies führt auf der griechischen Seite unmittelbar zu Gegenreaktionen. Der vorangegangene türkisch-zypriotische Präsident Mustafa Akıncı suchte nach einer einvernehmlichen Lösung, versuchte eine eigenständige Politik für Zypern zu gestalten und dem Einfluss der Türkei Grenzen zu setzen.

Die türkische Regierung mischte sich in den Wahlkampf 2020 massiv ein, um ihren Wunschkandidaten Tatar von der AKP-nahen Partei UBP zu promoten.

Akinci und Tatar vertreten gegensätzliche Lösungsansätze. Akinci plädierte stets für eine gleichberechtigte Wiedervereinigung als föderaler Staat in der EU, während die Türkei und Tatar eine Zweistaatenlösung und enge Kooperation Nordzyperns mit der Türkei anstrebt.

Frankfurter Rundschau

Mehrere Minister aus Ankara riefen in nordzyprischen Gemeinden zur Wahl Tatars auf und stellten dem wirtschaftlich abhängigen Nordzypern neue Zuwendungen in Aussicht. Erdogan ließ Tatar zudem im Oktober 2020 im Vorfeld der Wahlen einen Badestrand in der vom türkischen Militär besetzten "Geisterstadt" Varoscha im Niemandsland zwischen den Inselhälften öffnen.

Dies war ein klarer Verstoß gegen UN-Resolutionen. Die EU reagierte gewohnt zahnlos auf die türkische Intervention und gab sich lediglich "empört". Noch-Präsident Akinci berichtete der Frankfurter Rundschau zufolge, dass er von Mittelsmännern aus Ankara "klar bedroht" und aufgefordert worden sei, seine Kandidatur zurückzuziehen.

"Tatars Botschaft ist: Ich habe die Beziehungen zu Ankara, und ich bin derjenige, der das Geld verteilt", sagt der Makler Levent Gözmen aus Nord-Nikosia. Viele Zyperntürken, die unter den Einwanderern aus der Türkei inzwischen eine Minderheit bilden und die schleichende Islamisierung durch Ankara ablehnen, betrachteten den Urnengang als Schicksalswahl, sagt er. "Akinci ist die letzte Chance für uns, eine Wiedervereinigung zu erreichen und unsere kulturelle Identität zu bewahren. Wenn er verliert, laufen wir Gefahr, eine Provinz der Türkei zu werden. Viele türkische Zyprioten sitzen schon auf gepackten Koffern"

Frankfurter Rundschau

Am Ende gewann der AKP- Wunschkandidat die Wahlen.

Trotz des Wahlsieges von Tatar gab es in den letzten Monaten vermehrt Demonstrationen und Kundgebungen auf beiden Seiten Zyperns, die ein geeintes, föderales Zypern forderten. Am 24. April 2021, dem Auftakt des erneuten Treffens unter UN-Regie, fand eine Demonstration der Bewegung UCN (#UniteCyprusNow) in beiden Teilen Zyperns statt.

In dem Aufruf warnt die Bewegung vor einer Zwei-Staaten-Lösung:

Die Wahl besteht darin, ein sicheres, wohlhabendes, vereinigtes Land für alle Inselbewohner zu haben oder eine dauerhafte Grenze zur Türkei, die Zypern durchschneidet. Die Wahl liegt darin, dass ein Bundesland von Zyprioten regiert wird oder ein geteiltes Land, in dem Zyprioten kein Wort in ihrem Land zu sagen haben werden. Die Wahl liegt zwischen einer Bundeslösung und keiner Lösung.

UniteCyprusNow #Together4Federation24_4

Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wie auch der türkisch-zyprische Präsident Ersin Tatar bestanden jedoch beide beim Treffen im April auf einer Zwei-Staaten-Lösung. Sie forderten die endgültige Teilung der Insel. Dagegen stellte sich der Präsident der Republik Zypern, Nikos Anastasiades.

Der Vorschlag liege "außerhalb aller UNO-Resolutionen". Die griechischen Zyprioten seien weiterhin bereit, auf Grundlage jener UNO-Resolutionen zu verhandeln, "die eine Föderation zwischen zwei Bundesstaaten vorsehen", zitierte die österreichische Zeitung Der Standard Anastasiades.

Viele setzten ihre Hoffnung auf die Vermittlungsfähigkeit des UN-Generalsekretärs António Guterres. Guterres musste aber am Ende konstatieren, dass es bei den Verhandlungen nicht genügend Übereinstimmung zwischen der griechisch- und der türkisch-zyprischen Seite gegeben habe, um formelle Verhandlungen aufzunehmen. Im Vorfeld der Verhandlungen drohte Guterres mit der Aufgabe seiner Vermittlerrolle, um den Druck für beide Seiten zu erhöhen, zu einer Lösung zu kommen.

Nordzypern ist das einzige annektierte Gebiet innerhalb der EU, weshalb die EU nach wie vor auf eine Lösung drängt. In diesem Zusammenhang sei auf die quasi annektierten Gebiete der Türkei in Nordsyrien hingewiesen.

Guterres: "Ich gebe nicht auf"

Die Türkei scheint insbesondere bei der deutschen Bundesregierung einen Freifahrtschein bei der Besetzung von Territorien z.B. in Nordsyrien und dem Nordirak zu haben. Aber die Zypernfrage ist für Guterres geopolitisch zu wichtig, um angesichts der Expansionspläne der Türkei aufgegeben zu werden.

"Ich gebe nicht auf", sagte Guterres. Er stellte eine neue informelle Gesprächsrunde in zwei bis drei Monaten mit den beiden zyprischen Seiten sowie Vertretern der Garantiemächte der Republik Zypern - Griechenland, Türkei und Großbritannien in Aussicht.

Nach dem Treffen im April zeigte sich Präsident Anastasiades enttäuscht über das türkische Beharren auf einen unabhängigen Staat Nordzypern.

Eine Provinz der Türkei

Der ehemalige Präsident des zypriotischen Nordens, Akinci, wies darauf hin, dass der türkische Präsident Erdogan Nordzypern als eine Provinz der Türkei betrachtet. Das sehe man unter anderem daran, wie sich Erdogan gegen ihm unliebsame Beschlüsse des nordzyprischen Verfassungsgerichts zum Thema Koranunterricht stellte.

Dieses entschied, dass jeder Kurs, einschließlich der Korankurse, vom Bildungsministerium der Insel geregelt und angeboten werden muss und nicht von einer religiösen Kommission. Erdogan wetterte, das nordzyprische Verfassungsgericht müsse zuerst lernen, was Säkularismus ist:

Sie sollten die Gewohnheiten der Türkei in die Praxis umsetzen. [Sie] sollten diesen Fehler schnell korrigieren, sonst werden unsere nächsten Schritte anders sein.

Erdogan

Akinci warnte, wer die Einflussnahme der Türkei auf die Wahlen vor sechs Monaten nicht glauben wollte, sollte dies jetzt anhand des türkischen Vorschlags der Zwei-Staatenlösung verstanden haben. Er bezog sich unter anderem auf eine Erklärung, die Erdogan kurz vor dem Treffen des griechischen Außenministers Nikos Dendias und seinem türkischen Amtskollegen Mevlut Cavusoglu abgegeben hatte.

Darin warnte Erdogan, die Türkei habe in der Zypernfrage guten Willen gezeigt und ihre Schiffe "zur Wartung" abgezogen. Damit meinte er den Erdgas-Konflikt. Aber man werde nicht zulassen, "dass die Rechte Nordzyperns usurpiert werden. Wenn nötig, werden wir intervenieren. Unsere Schiffe sind im Moment bereit, auszulaufen. Wenn sie Schritte unternehmen müssen, werden sie das tun. Wir gehen Gesprächen nicht aus dem Weg, solange sie wissen, dass sie die Türkei respektieren müssen".

Der nordzyprische Präsident Tatar bestärkte auf einem Online-Treffen der Eurasia Economic Relations Association zum Thema "Strategische Vision der Republik Nordzypern" im Vorfeld des Genfer Treffens die griechischen Befürchtungen, dass Nordzypern zur Provinz der Türkei werde:

"Mit der wachsenden Macht der Türkei in der Region und ihrer Unterstützung für die TRNC, gehen wir gestärkt nach Genf, um unseren Staat weiter voranzubringen."

Dies alarmierte auch die griechisch-orthodoxe Kirche in Zypern: Der Metropolit Bischof Vasilios wandte sich im Dezember 2020 in einem Brief an die europäischen Regierungen, in dem er auf die vielen christlichen Kirchen und Klöster im Norden hinwies, die Erdogan bewusst nicht vor dem Verfall bewahrt.

Ihm und anderen Bischöfen sei es nicht möglich, ihren Glauben und ihre Gottesdienste in der Region zu praktizieren. In früheren Zeiten war es möglich, gemeinsam einige Kirchen und Klöster zu restaurieren. Seit Erdogan versuche, den Hass zwischen Muslimen und Christen zu schüren, zeige die türkisch-zypriotische Seite keinen Respekt mehr vor den Gotteshäusern. Sie wandele sie in Marktplätze um, wie bei der Erzengel Michael Kirche in Lefkoniko geschehen.

Der Metropolit Vasilios kritisierte insbesondere die wohlwollende Haltung der deutschen Regierung gegenüber der Türkei und Präsident Erdogan:

Es ist offensichtlich, dass Deutschland seine eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen in der Türkei verfolgt, wie es der Fall war, als der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs stattfand und die deutsche Regierung aus ähnlichen Gründen nicht eingriff...Sie haben die Ergebnisse der inakzeptablen Aktionen der Türkei gegen Zypern vor Augen und trotzdem zögern Sie, zu reagieren und irgendeine echte Anstrengung zu unternehmen, um Herrn Erdogan zu stoppen. Es ist an der Zeit, die Türkei daran zu hindern, einen weiteren Völkermord wie den an den Armeniern zu begehen... die nationale Säuberung des zypriotischen Volkes aus den besetzten Gebieten, die Ausrottung der Kurden... um nur einige von vielen Fällen zu nennen.

Brief an EU-Staats- und Regierungschefs