Kennen Sie den anderen nuklearen Krisenherd der Welt?

Seite 2: Wie konnte es so weit kommen?

Wie konnte es so weit kommen? Um das zu beantworten, muss man historisch einen Schritt zurückgehen. In den 1970er Jahren erkannte Washington China als Großmacht an und damit zugleich die "Ein-China-Politik", mit der China Taiwan als Teil des Mutterlands ansieht. Zudem galt die Doktrin der "strategischen Mehrdeutigkeit", die Taiwans Sicherheit und Autonomie garantierte. Danach durften die USA Taiwan zwar defensive Waffen liefern, aber keine offiziellen Beziehungen zur Führung dort unterhalten.

Außerdem hielt man in gewisser Weise den Ball flach, wenn es um einen militärischen Beistand für Taiwan ging. Washington unterließ es, China explizit damit zu drohen, sollte Peking den Status der Insel gewaltsam ändern wollen, während man nur von "großer Besorgnis" im Angesicht eines solchen Szenarios sprach. Das gab weder Taiwan eine amerikanische Beistandsgarantie noch China die Gewissheit, dass bei einem chinesischen Einmarsch die USA einfach daneben stehen bleiben würden. Das habe, so Klare, den Frieden gewahrt und Taiwan sogar geholfen, sich voll zu entfalten.

Doch seit 2018 änderte sich die Sicherheitsstrategie ausgehend vom Pentagon. Um Chinas Einfluss im Pazifik "einzudämmen" – die aufsteigende Wirtschaft- und Militärmacht der Region –, wurde die Insel zunehmend zu einem entscheidenden Faktor für die US-Planer. Der stellvertretende Verteidigungsminister für Sicherheitsangelegenheiten im indopazifischen Raum, Ely Ratner, sagte letzten Dezember im Senatsausschuss:

Taiwan befindet sich an einem kritischen Knotenpunkt innerhalb der ersten Inselkette und verankert ein Netzwerk von Verbündeten und Partnern der USA, das für die Sicherheit der Region und die Verteidigung lebenswichtiger Interessen der USA im Indopazifik von entscheidender Bedeutung ist.

Das hat auch zu einer Änderung der diplomatischen Eckpunkte geführt, die seit Jahrzehnten bestimmend gewesen sind für das Verhältnis der USA zu Taiwan und China. So sagte Biden in einem Fernsehinterview im September, dass man Taiwan bei einem chinesischen Angriff militärisch helfen werde.

Gleichzeitig wurden die diplomatischen Beziehungen zur Inselrepublik vertieft und offizieller, während man Taiwan Waffenlieferungen in Milliardenhöhe versprach. Damit haben die USA die "Ein-China-Politik" faktisch aufgegeben. Seitdem fahren chinesische und US-amerikanische Kampfschiffe regelmäßig durch die Meeresenge von Taiwan, immer mit der Gefahr von nicht-intendierten Zwischenfällen, die schnell außer Kontrolle geraten können.

Für Klare besonders besorgniserregend ist dabei, dass diese Entwicklungen mehr oder weniger unter dem medialen Radar ablaufen. Die provokativen militärischen Aufrüstungen von beiden Seiten werden angesichts des Ukraine-Kriegs kaum öffentlich wahrgenommen und entsprechend der Bedrohung diskutiert. Das erhöhe das Risiko für eine Eskalation bis hin zum Atomkrieg.

Leider finden derzeit keine Verhandlungen zwischen den USA und China statt, um die Taiwan-Frage zu lösen, ungewollte Zusammenstöße in der Straße von Taiwan zu verhindern oder das Risiko einer nuklearen Eskalation zu verringern. Vielmehr hat China nach Pelosis Besuch in Taiwan öffentlich alle Gespräche über bilaterale Fragen, von militärischen Angelegenheiten bis hin zum Klimawandel, abgebrochen.

Genau das braucht es aber dringend, wie auch im Ukraine-Krieg: Gespräche zwischen den beiden Großmächten, um einen Kompromiss auszuhandeln und damit die atomare Bedrohung zu bannen. Ansonsten sind die Chancen sehr hoch, dass die Doomsday-Clock in ein paar Monaten auf einen zweistelligen Sekundenwert vorgestellt wird und wir damit nur noch einen Zündfunken vom totalen Desaster entfernt sind.

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