Kiew dringt auf Freilassung "illegaler" Gefangener in Russland

Oleg Sentsov 2015. Bild: Antonymon/CC BY-SA-4.0

Der Filmemacher Sentsov, der seit Wochen im Hungerstreik ist, steht im Kern der Kampagne, Russland wird beschuldigt, Gefangene zu foltern

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In der Ostukraine wird weiter gekämpft und sterben weiter Soldaten, Milizen und auch Zivilisten. Es ist ein Krieg, der nicht gefriert, sondern vor sich hinköchelt, während keine der Seiten an eine Umsetzung des Minsker Abkommens denkt. Das ist zu einer Chimäre geworden, gerade weil die jeweils anderen nun endlich ihre Verpflichtungen nachkommen sollen. Es geht keinen Schritt voran.

Die Frage ist derzeit schon, ob überhaupt mal wieder ein Gefangenenaustausch zustande kommt. Zuletzt wurden Anfang Juni 74 Gefangene aus der Ukraine gegen 233 in den "Volksrepubliken" Inhaftierte ausgetauscht. Kiew hatte vor der Fußballweltmeisterschaft vor allem den Fall des Filmemachers Oleg Sentsov als politischen Gefangenen hoch gespielt und damit darauf geschielt, ob sich nicht manche Unterstützer für einen Boykott gewinnen lassen könnten.

Sentsov (Sentsow), der jetzt die heroische Rolle der in Ungnade gefallenen Savchenko einnimmt (Generalstaatsanwalt leitet gegen Politiker Ermittlungen wegen Hochverrats ein), ist wie einst Savchenko seit 14. Mai in einen Hungerstreik eingetreten, den er nicht beenden will, bis nicht alle "politischen Gefangenen" aus Russland in die Ukraine kommen. Er will auch nicht begnadigt werden oder sich an Putin wenden. Das sagte er gegenüber dem Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, der vorgeschlagen hatte, er solle um Begnadigung bitten.

Auch Volodymyr Balukh, der in Simferopol im Gefängnis sitzt, ist bereits seit 100 Tagen im Hungerstreik, er nimmt keine Nahrung zu sich, trinkt aber. Er wurde 2016 auf der Krim festgenommen und soll nach russischer Anklage Munition und Sprengstoff bei sich gehabt haben. Im März wurde er zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Zunächst hatte man in Kiew wohl gehofft, Sentsov gegen den wohl aus diesem Grund wegen Hochverrat inhaftierten Kirill Vyshinsky, Redakteur bei Ria Novosti Ukraine, austauschen zu können. Aber auch die schnell noch ausgeführte Mordinszenierung an dem russischen Journalisten Babchenko ist für die Regierung zum Rohrkrepierer geworden. Nach russischer Sicht ist Sentsov ein russischer Bürger, weil die Krim russisch geworden ist, weswegen man ihn wie andere Bürger der Krim nicht ausliefern könne. Möglicherweise scheint man diese Einstellung jetzt zu verändern.

Nun wird aus Kiew angeboten 23 russische Häftlinge, die wegen Terrorismus, Spionage, Kriegsbeteiligung oder Mord verurteilt oder angeklagt sind, gegen alle in Russland "illegal" inhaftierten Ukrainer auszutauschen. Auch die Gefangenen in Russland wurden beispielsweise wegen Terrorismus verurteilt. Da ist man in beiden Ländern schnell bei der Hand. Unklar ist, wie es Stentsov gesundheitlich geht. Nach seinem Anwalt ist sein Gesundheitszustand besorgniserregend, er befinde sich auf einer Krankenstation, werde intravenös ernährt und habe Nieren- und Herzprobleme.

Nach Angaben von Liudmyla Denisova, der ukrainischen Ombudsfrau für Menschenrechte, verweigert Russland angeblich den Zugang zu Sentsov und will nicht einmal eine Videokonferenz zulassen. Man wisse nicht, ob er weiter im Hungerstreik ist oder ob er zwangsernährt wird. Nach einem Telefongespräch zwischen Poroschenko und Putin am Donnerstag letzter Woche forderte der ukrainische Präsident, dass Denisova die Gefangenen endlich besuchen können soll. Sie hält sich seit 14. Juni in Russland auf.

SBU spricht von "Todeslagern" im Donbass

Der ukrainische Geheimdienst SBU erklärt, er habe seit 2014 die Freilassung von 3224 "Geiseln" erreicht, die von den "Volksrepubliken" im Donbass festgehalten worden seien. Russland weigere sich, internationalen Organisationen Zugang zu den Gefangenen zu gewähren, weswegen man deren Gesundheitszustand nicht kenne. Der Geheimdienst habe Aussagen der freigelassenen Gefangenen gesammelt, die gefoltert worden seien. Aussagen von 430 Menschen, die in "Todeslagern" gewesen seien, habe man in einer Broschüre einigen Botschaftern übergeben.

Auf einer Pressekonferenz beschuldigten SBU-Chef Vasyl Hrytsak und Außenminister Pavlo Klimkin Russland in diesem Zusammenhang, "mit allen Mitteln des hybriden Kriegs gegen internationalen Normen, Freiheiten und Rechte der ukrainischen Bürger zu verstoßen". Man bereite auch Informationen über Folter und körperliche Gewalt gegen ukrainische Bürger auf der Krim vor. Auf der Krim gebe es über 100 "Geiseln".

Klimkin forderte die internationale Gemeinschaft auf, weiter Druck auf Russland auszuüben, um die "politischen Gefangenen und Geiseln", die im Donbass oder auf der Krim "illegal" inhaftiert seien, zu befreien. Man sei bereit für alle Schritte, sagte Klimkin, damit die Gefangenen freigelassen werden. Angeblich gebe es in den "Volksrepubliken" noch 113 "Geiseln", erklärte der SBU-Chef, die Separatisten würden jedoch nur von 24 sprechen.

Die Aktion geschieht im Vorblick einer Sitzung des Europarats, die das Thema "Gefahren für die Gesundheit und das Leben von ukrainischen Gefangenen in der Russischen Föderation und der besetzten Krim" am 28. Juni behandeln wird. Überdies wird aber auch über die "internationalen Verpflichtungen der Mitgliederländer des Europarats über den Schutz des Lebens auf den Meeren" gesprochen. Menschenrechtsorganisationen wie HRW kritisieren allerdings beide Seiten der Folter und willkürlicher Verhaftungen.

Thorbjorn Jagland, der Generalsekretär des Europarats, hat in einem Brief den russischen Präsidenten Wladimir Putin aufgefordert, den Filmemacher Sentsov zu begnadigen. Zuvor hatte er einen Brief an den ukrainischen Regierungschef Volodymyr Groysman wegen der sich häufenden Angriffe von Rechtsradikalen auf Roma geschrieben. Er erwarte, dass die Vorfälle aufgeklärt und die Täter vor Gericht gebracht werden (Ukraine: Toter bei Überfall einer Nazi-Bande auf ein Roma-Lager).