Kiew soll nicht mehr Kiew heißen. Aber was ist mit dem Kiewer Kotelett?

Seite 3: Bebennungsprobleme auch in Russland

Kanada hat während des Krieges etwas Ähnliches getan. Es gab eine Stadt in Ontario, die hauptsächlich von Deutschen besiedelt war und den Namen Berlin trug. Um sich vom Krieg zu distanzieren, wurde die Stadt 1916 nach einem Referendum in Kitchener umbenannt und hat diesen Namen bis heute beibehalten.

Auch der mit der Hansestadt Hamburg sprachlich verbundene Fast-Food-Champion "Hamburger" konnte seinem politischen Schicksal nicht entkommen. Nach neuesten Forschungen wurde das Gericht von Hamburger Kaufleuten beim Handel mit den Tataren entdeckt, deshalb auch Beefsteak Tatar.

Er kam dann als reines Fleischgericht in die Neue Welt und wurde dort erst mit Brot oder Brötchen ummantelt und später mit weiteren Zutaten verfeinert. Aber Hamburg lag schließlich im feindlichen Deutschland, so wurde auch der Hamburger im Ersten Weltkrieg als "liberty sandwich" politisch entschärft.

Russland hat ebenfalls seine eigenen Benennungsprobleme. Ein Americano-Kaffee wird aus Espresso und Wasser hergestellt, also sparsam mit Kaffeepulver und ziemlich verdünnt, aber die Leute scheinen ihn zu mögen, und man findet ihn auf Speisekarten in der ganzen Welt.

Aber nicht mehr so sehr in Russland.

Im Jahr 2014 benannten einige Kaffeehäuser im Land Americano-Kaffee in Russiano-Kaffee um, nachdem der russische Premierminister einen Witz darüber gemacht hatte, dass Americano politisch nicht korrekt sei, und ein armenischer Politiker daraufhin Russiano vorschlug.

Wahrscheinlich ließe sich diese Liste noch erheblich erweitern, etwa durch die faktisch nicht bestehenden Unterschiede zwischen griechischem und türkischem Kaffee.

Griechenland war von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis zu seiner Unabhängigkeit 1821 unter ottomanisch-türkischer Herrschaft, will davon aber verständlicherweise nichts mehr wissen. Die Spannungen zwischen den beiden Ländern flammen immer wieder auf, aber jede Nation trinkt mit Stolz ihren nationalen Kaffee aus den gleichen Töpfchen und nach dem gleichen Rezept.

Das deutsch-russische Verhältnis auf dem Gebiet der kulinarischen Spezialitäten und der geistigen Getränke war nach der Wiedervereinigung und dem Abzug der russischen Armee eigentlich sehr entspannt. Nicht nur in Berlin gibt es viele Russen und russische Lokale, die mehr als Schaschlik, Borschtsch und Wodka anbieten.

Die fabelhaften russischen Eier meiner Oma sind schon lange aus der Mode gekommen und die leckeren Russisch-Brot-Plätzchen sind auch nicht mehr so leicht zu finden. Ein linguistischer "Entrussifizierungsbedarf" scheint zurzeit also nicht das dringlichste Problem mit unserem großen Nachbarland zu sein. Leider haben wir sehr viel gewichtigere.

Wenn allerdings die neuesten Meldungen aus der Ukraine stimmen, dass russische Literatur in großen Mengen aus den Bibliotheken entfernt wird, muss das bei allem Verständnis für die Kriegsleiden doch Besorgnis auslösen.


Ein Teil dieses Textes erschien bei Telepolis erstmals am 25.02.2023.

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