Kill your Darlings

Artenschutz und die Hornissenkönigin über dem Kinderzimmer

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Sie schwirrte an einem schönen Samstagnachmittag vergangenes Wochenende heran, bräunlich und brummig, bisschen langsam und trudelig fast wie ein Käfer, gar nicht so gelb, hochtourig und giftig, wie man denken möchte, immerhin gehört sie zu den Wespen. Man hätte sie leicht erwischen können, mit einer Klatsche zum Beispiel. Aber wir sowas haben wir nicht, nur der Opa.. Und: Wir waren zuvor in Griechenland gewesen und hatten dort viele dicke schwarze Käfer auf dem Rücken gesehen, denen ich bedächtig und vorsichtig wieder auf die sechs Beine half. Die Kinder sollten nicht Ekel als erste Reaktion auf den Anblick von Insekten empfinden, sondern Neugier! Diese Erziehungsmaxime fiel mir selbst am schwersten, ich ekele mich vor Insekten und es war immer ich, der die dicken Krabbler umdrehte, schließlich hatte ich ja auch die Maxime ausgegeben. Die Kinder wollten von den unheimlichen Chitin-Dingern nichts wissen. Aber bei der nahezu spatzengroßen Hornisse, die ziemlich nah an unseren Köpfen vorbei zur Wand oberhalb des Kinderzimmers flog und sich dort setzte, fruchtete die naturwissenschaftliche Frühförderung: Die Kleinen waren begeistert.

Was ist das??, schrie meine Frau. Was ist das, Papa?, fragten meine Kinder.
Ich ging im Internet nachsehen.
Ganz eindeutig eine Hornissenkönigin, die einen Platz für ihren Bau suchte. (Was haben die Leute eigentlich früher gemacht, ohne Netz?).
Oje!, meinte meine Frau, was aber wenn sie ihren Platz schon gefunden hat? Besser als auf unserer Terrasse kann sie's doch gar nicht haben. Sie ist übrigens unter der Markisenaufhängung verschwunden, Richtung Dach.
Ja, solche Plätze lieben sie, steht im Netz.
Und steht auch drin, was man dagegen machen kann?
Ja, die Königin fangen und mindestens fünf Kilometer entfernt in einem geeigneten Biotop freilassen....
Ja, Papa, fang sie!!
Morgen, falls sie wiederkommt.

Und sie kam wieder. Jede halbe Stunde. Ich nahm das große Plastikgefäß, dessen Deckel eine Lupe ist – ein Insektenaufbewahrungsgefäß für die Nachwuchsforscher, mit Luftlöchern im Deckel, ein Spielzeug. Die Königin saß ruhig auf der Mauer oberhalb der Kinderzimmerbalkontür und krabbelte in verschiedene Richtungen. Die Kinder sollten sich im Zimmer aufhalten, meine Frau die Leiter festhalten. Es funktionierte nicht. Die Königin behielt die Nerven, ich dagegen nicht.

Als sie unter der Plastikhaube war, suchte sie seelenruhig einen Ausgang, den ihr die eigroßen Unebenheiten der Wand auch viel schneller ermöglichten, als ich das angenommen hatte. Sie flog auf, in Richtung meines Gesichts, ich zuckte zurück und machte, dass ich von der Leiter kam. Wir rannten allesamt um die Ecke der Terrasse, während die Hornisse majestätisch den Luftraum beim Kinderzimmer beherrschte, brummig laut und beinahe in der Luft stehend wie ein Überwachungshubschrauber.

Mein Sohn reichte mir feierlich einen Federballschläger. „Hier, Papa.“ Der Opa besitzt eine Fliegenpatsche, die aussieht wie ein Federballschläger, er röstet die Fliegen damit. Ich erklärte meinem Sohn, dass eine Hornisse unter Naturschutz steht und was Artenschutz ist, bevor ich mit dem Schläger auf die Königin losging. Ich wollte sie nur aus der Bahn werfen, hatte aber Skrupel, die mich nicht entschieden genug vorgehen ließen. Die Hornisse setzte zum Gegenangriff an. Wir liefen davon, wie Soldaten in alten Filmen angreifen: mit Hechtsprüngen auf den Boden.

Kitsch und Krieg

Am Montag berichtete meine Kollegin vom Fall einer befreundeten Familie, die einen Sommer lang Balkonverbot bekommen hatte, weil die Feuerwehr machtlos war. Ich gab die wahrscheinlich naive Hoffnung auf eine mögliche freundschaftliche Koexistenz auf. Ein Freund kam auf die UN-Artenschutzkonferenz in Bonn zu sprechen. Mit dem Artenschutz würde manches übertrieben werden, er gehe in vielen Forderungen an der Realität vorbei, naive Naturfrömmelei. Alles, was steche und Menschen gefährde, könne man getrost töten. Ich rief die Hausverwaltung an.

Zwei Tage später stand ein Mann namens Summer vor der Tür. Ich zeigte ihm die Stelle oberhalb des Kinderzimmereingangs, wo die Königin beim Nestbau mehrmals unter dem Markisenaufsatz hindurch Richtung Dachvorsprung gekrochen war. Ein Paradies, meinte der Mann. Das Dach könne er nicht öffnen, „viel zu groß“.

Was er denn für Tricks habe, fragte ich mit dem Blick auf seine Gerätschaften: einen Alukoffer und eine Plastikflasche, die über einem Schlauch mit einem längeren Stil verbunden war.

„Die machma zur Wespn“, so Herr Summer, sonst könne er gleich wieder einpacken wegen Artenschutz. So bleibe ihm immerhin das Pyrethrium, Chrysanthemenblütenstaub, das er in die Holzdecke pusten könne. Für Menschen sei das nicht giftig, ungefährlich, für Insekten aber unbedingt tödlich.
Ich begann erneut über eine friedliche Koexistenz nachzudenken. Ein sommerliches Foto von meiner Familie in der Abendzeitung: Die Kinder führen die Hornissenkönigin an einer kleinen Leine spazieren. Ich füttere die werdende Mutter mit Frolic. Überschrift: „Der Hornissenflüsterer“.
Das seien wirklich schöne Tiere, räumt Summer ein, aber was ich machen wolle, wenn es erstmal tausend seien: „Sie müssen schon an Ihre Kinder denken!“

Er wollte, dass ich die Kinderzimmertür schließe, während er den Stab an den Schlitz zwischen Mauer und Decke ansetzte, wie auch an ein paar Luftlöchern in der Decke, und hüstelnd weißen Staub verpustete. Er zuckte mit den Schultern, ich solle ihn in einer Woche nochmal anrufen, dann setzte er sich, um das Rechnungsformular auszufüllen. Ich blieb bei der Kinderzimmertür, die ich nach Spuren des nichttoxischen-hochtoxischen Chrysanthemenblütenstaubs absuchte, als ich ein vertrautes Brummen hörte.

Als Herr Summer unser Prachtexemplar sah, reagierte er ungefähr so verschreckt wie meine Frau. Die Spraydose an sich gedrückt, hüpfte er wie ein Hase in eine Ecke. Er sei schon mal von drei Hornissen hinterrücks gestochen worden, erklärte er mir und er habe wochenlang pfannenkuchengroße blaue Flecken am Rücken gehabt. Der Stachel der Hornisse sei größer und dicker als der von Wespen oder Bienen - nicht unbedingt giftiger als bei den anderen Völkchen, sei der Stich aber auf jeden Fall sehr schmerzhaft.

Dann ging alles sehr schnell. Herr Summer ging mit der Spraydose auf die Königin los, die eben erst geruhsam und ein bisschen tänzerisch auf der Mauer gekrabbelt war. Sie versuchte zu fliehen, schwirrte hinaus in den freien Himmel, verfolgt vom langen Arm des Insektenbekämpfers und der Spraydose, und schließlich eingehüllt in eine Serie kleiner weißer Partikelwolken.
Noch ein paar Meter, sagte er, weiter wird sie wahrscheinlich nicht kommen. Das wird sie nicht überleben. Ein wirklich schönes Tier
Ich dachte an die Bilder, die mir die Frau von der Hausverwaltung scharf entgegengehalten hatte, als ich ihr gegenüber die Möglichkeit einer Koexistenz angedeutet hatte: Schwärme von Hornissen, die über die Gesichter der beiden schlafenden Kinder krochen, die zuvor Süßigkeiten gegessen hatten. Es half nichts, das Mitleid blieb.
Das Merkel-Podcast zum Artenschutz half mir auch nicht weiter. Der Artenschutz zuhause bleibt ein ungelöstes Problem.