Kind wird Schlagetot, Schlagetot schlägt Kinder tot

Bild: © 2021 Focus Features, LLC

Vater, Mutter, Mörder: Robert Eggers' "The Northman" hackt sich handlungsarm und primitiv über die Leinwand, liegt aber in seiner Lust am Exzess immerhin auch mit unserer homogenisierten Kinolandschaft in Blutfehde

Die Adler Odins fliegen den Adlern der römischen Legion entgegen. ... Mythologisch heißt das: Heimkehr der Asen, weiße Erde von Thule bis Avalon, imperiale Symbole darauf: Fackeln und Äxte. ... Nicht Kunst, Ritual wird um die Fackeln, um die Feuer stehen.

Gottfried Benn: "Bekenntnis zum Expressionismus"; zuerst 5.11.1933

Ein Traum von Odin und Walhalla, von Härte und Schwere, von Blut und Boden. Seltsam bekannt und nahe kommen die ersten Worte uns vor, raunen von der Gegenwart, nicht nur von fernen Zeiten.

Da steht er, der kleine Prinz. Unschuldig und mit großen Augen blickt er auf die Männerwelt, in die hinein er geboren ist, vergöttert den Vater – "He is here. He is here! ... Father! ... The King, Mylady, the King", jauchzt er in den ersten Minuten – und freut sich, dass dieser mit reichen Schätzen von seinem Beutezug heimgekehrt ist.

Fast ein Hauch von "Wickie", dem Wikinger-Jungen der Zeichentrickserie unserer Kindheit, streicht dafür ein paar Sekunden lang durch diesen so ganz anderen Film.

Im Herzen Eiszeit

Denn wir befinden uns im Jahr 895 in Island im frühen Mittelalter. Die Welt ist hart. Man träumt von Walküren und Walhalla, glaubt an Odin und andere archaische Götter, lässt sich von Hexen-Orakeln in schmutzigen Erdlöchern die Zukunft vorhersagen. Und wenn es draußen schon dauerkalt ist, so herrscht in den Herzen regelrechte Eiszeit.

The Northman (20 Bilder)

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Das zeigt sich schnell, als der König von seinem verräterischen Bruder Fjölnir ermordet wird. Es folgt ein böser Fluch des sterbenden Fürsten: "Your Kingdom will not last!" Aber der böse Onkel, auch er ist auch nur ein Getriebener, wie sich noch herausstellen wird...

Erstmal aber folgt ein Massaker unter der Familie und den Gefolgsleuten des Königs. Der kleine Thronfolger selbst kann allerdings im letzten Moment fliehen, nicht ohne bitterliche Racheschwüre:

I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle.

Mord und Raub und Sklavenfang

So geht es dann weiter, ein Zeitsprung, und der Prinz, der übrigens Amleth heißt, ist erwachsen und muskulös geworden. Alles andere als ein Zauderer. Irgendwo fern der Heimat treibt er sich rum mit einem Stamm von Menschen in Wolfspelzen, im "Land der Rus", wie ein Untertitel erklärt, und tut das, was hier alle tun: Er kämpft und mordet, raubt und plündert, marodiert, brandschatzt und fängt zukünftige Sklaven.

Wer Lust hat, sich einmal diesen kurzen Ausschnitt anzuschauen, vor allem die erste ungeschnittene Minute des Clips, bekommt einen ganz guten Eindruck von diesem Film und davon, was die Zuschauer erwartet. Stille und ruhige Momente, Poesie und Gedanken sind seine Sache nicht.

Dabei ist The Northman, die mit Dutzenden von Stars – wie Alexander Skarsgård, Anya Taylor-Joy, Nicole Kidman, Ethan Hawke, Willem Dafoe, Claes Bang und Björk –, glanzvoll besetzte Hollywood-Produktion von Robert Eggers, den manche seit seinem Film Der Leuchtturm für ein Genie halten, der in jedem Fall der neue Regie-Shootingstar des US-Kinos und am Set ein berüchtigter Kontrollfreak ist, keineswegs ein dummer Film.

Mit großer Genauigkeit grundfalsch

Im Zweifel hat sich das Team mit diversen Ethnologen auch über die Welt der Wikinger um das Jahr 900 informiert und von Experten gut beraten lassen und hat alle möglichen historischen Fakten en passant in diesen Film eingebaut. Irgendwie hat sich die Mühe auch gelohnt, denn man bekommt zumindest eine Vorstellung davon, wie das Leben unter Wikingern im Jahr 900 so ungefähr gewesen sein mag.

Andererseits war letztlich niemand von uns dabei, und auch Experten projizieren immer wieder nicht zuletzt eigene Vorstellungen und Annahmen, eigene Werturteile und Parteinamen in Forschungsstreitigkeiten. Deswegen ist es vielleicht doch alles ein einziges riesiges Klischee, auch da, wo man Einzelheiten gut belegen kann. Wir kennen das zur Genüge aus deutschen Film über die Nazizeit: Das stimmt jede Schulterklappe, jedes Totenkopf-Emblem sitzt an der richtigen Stelle und die Uniformen sitzen perfekt – und doch ist alles mit großer Genauigkeit grundfalsch.

Es irritiert zumindest eines: Schon wenn man sich sehr oberflächlich über Island und die Wikinger informiert, kann man erfahren, dass es vielleicht bereits vorher ein paar sehr kleine Siedlungen gab, die Insel aber erst wirklich um das Jahr 870 besiedelt wurde. Nur 25 Jahre später sollen die Ereignisse dieses Films schon beginnen – ganz offensichtlich gibt es da auf Island schon eine Form von primitiver Staatlichkeit und Kultur.

Auch sonst bleibt der Film trotz all der Rituale, übernatürlichen Phänomene – im Himmel reitende Valküren, sprechende Vulkane – "Edda"-Zitate und anderem nordischem Hokuspokus eher oberflächlich.

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