Kind wird Schlagetot, Schlagetot schlägt Kinder tot

Seite 3: Sehnsucht nach der Klarheit des Primitiven

Aber natürlich waren früher Gesellschaften auf Blut, Furcht und Eigennutz gebaut. Nur ist dies ja keine historische Dokumentation, die für den Discovery Channel oder Terra X gemacht ist, sondern ein Blockbuster, ein Film, der Millionen begeistern und fesseln soll, um Millionen zu erwirtschaften.

So gesehen glaubt man eher, dass diese Orgien aus Gewalt und Primitivität für die Macher und das von ihnen anvisierte heutige Publikum einerseits eine Entlastungsfunktion haben; man lebt also im Kino aus, was im wahren Leben nicht mehr erlaubt ist.

Doch im selben Atemzug äußert sich hier andererseits auch eine verborgene Sehnsucht nach der Klarheit des Primitiven. Nach der Einfachheit einer Gesellschaft, die alle Komplexität abwirft, und in welcher der körperlich und militärisch Stärkste regiert.

Oh, dass wir unsre Ururahnen wären...

Gottfried Benn

Diese einhellige Liebe zum Primitiven verwundert – "das könnt ihr doch nicht ernst meinen", will man dauernd aufstöhnen. Nackte Männer dreschen aufeinander ein, dreck- und blutübersudelt – das alles hat keinen Charme, keine Eleganz außer dem Charme und der Eleganz der Rohheit. Eine Form von unverhohlenem Primitivismus.

Amerikanische Träume vom Primitivismus

Wir sehen hier also amerikanische Träume; Träume vom Primitivismus und vom Neuanfang und von einer Welt voller Gewalt, gegen die die Wolfswelt des Hobbeschen Leviathan gar nichts ist. Der Körper ist zum Zerschlagen und Zerhacken da, die Menschen werden auf jede mit den damaligen Waffen denkbare Art verstümmelt und malträtiert. Erlaubt ist, was dem Volk, dem Reich und vor allem ihren Führern nutzt. Wir erleben gerade realpolitisch in unserer Gegenwart, wohin so etwas führen kann.

Keine Überraschung ist daher, dass die ästhetischen Treuhänder Hollywoods auch in Deutschland hier loyal sind. Sie lieben diesen Film. Sie preisen die intensive, düstere, böse, abgründige Atmosphäre.

Monomanisch kreist der Reim...

Im Film geht es der Hauptfigur ähnlich: Monomanisch kreisen die Rachegedanken in seinem Hirn, es kreist der eine Reim, der ihn seit Kindheit begleitet: "I will avenge you, father. I will save you, mother. I will kill you, uncle." Der Traum der Kindheit hat sich schon lange gewandelt zu einem Alb, den er nicht loswird. Er raunt in ihm. "It's a nightmare", weiß Amleth. "Then you might wake up", flüstert seine Begleiterin Olga ihm zu. Er könnte aufwachen. Aber in seinem Innersten will er gar nicht.

Diese Olga, eine Russin, die man heute vielleicht gern in Ukrainerin umbenannt hätte, ist das einzig menschliche Wesen in diesem Film – jedenfalls in unserem zeitgenössischen Sinn von Humanität. Sie gehört zu jener Gruppe von Sklaven, der sich Amleth freiwillig angeschlossen hat, um unerkannt nach Island zu kommen, und seine blutrünstigen Pläne zu realisieren.

Amleth weiß, dass Schicksal Schicksal ist. Und wenn Björk in ihrem ersten Spielfilm-Auftritt seit "Dancer in the Dark" einem sagt, dass man sein Schicksal erfüllen muss, dann nimmt man es halt ernst. Erst recht als Wikinger.

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