Kinder mit Genen von drei Menschen
Reproduktionstechnik führt zur ersten Veränderung der Keimbahn
Von vielen Wissenschaftlern abgelehnt und von manchen Staaten verboten wird der Eingriff in die Keimbahn, weil dadurch genetische Veränderungen auch an die Nachkommen weiter vererbt werden würden. Genau solch eine Veränderung wurde aber von amerikanischen Wissenschaftlern vorgenommen, als sie Frauen mit einer seltenen Form der Unfruchtbarkeit durch künstliche Befruchtung zu Kindern verhalfen. Die zusätzlichen Gene kommen von Mitochondrien der Spenderin von Eizellen.
Jason Barritt et al. vom Institute for Reproductive Medicine and Science of Saint Barnabas haben, wie sie in der Zeitschrift Human Reproduction schreiben, Kinder untersucht, die durch künstliche Befruchtung aufgrund der Einführung von Ooplasma (Flüssigkeit innerhalb der Eizelle) von fruchtbaren Spenderinnen in die Eizellen von Patiententinnen entstanden sind, die ansonsten keine Kinder bekommen können. Solche Zytoplasmatransplantationen haben bislang weltweit zur Geburt von etwa 30 Kindern geführt. Am oben genannten Institut wurde diese Technik weltweit erstmals 1997 und seitdem 15 weitere Male erfolgreich durchgeführt.
Man geht davon aus, dass Unfruchtbarkeit bei Frauen in seltenen Fällen auch durch defekte Mitochondrien verursacht werden kann. Durch die Einführung von Ooplasma - 5-10 des Zytoplasmas der Spenderzelle - gelangen auch Mitochondrien der Spenderin in die zu befruchtende Eizelle. Damit können Frauen mit ihren "verbesserten" Eizellen Kinder durch IVF erhalten, während ansonsten Eizellen von Spenderinnen zur Befruchtung verwendet werden müssten.
Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zelle. Sie besitzen ein eigenes Genom, die mtDNA. Dieses Genom wird matrilinear vererbt und kodiert ebenfalls Proteine. Zigtausende dieser "Kraftwerke" treiben im Ooplasma umher. Sie dienen der Energieproduktion der Zelle durch Oxydation, haben aber wahrscheinlich viele weitere Aufgaben. Störungen der mitochondrialen Stoffwechselwege können zu vielen Krankheiten führen. Die Einführung von Ooplasma einer Eizelle in das Ooplasma einer anderen könnte dazu führen, dass nach der Befruchtung das daraus entstehende Kind in den Mitochondrien seiner Zellen genetisches Material von zwei Frauen besitzt, was eine mitochondriale Heteroplasmie genannt wird und natürlich nicht vorkommt. Bei einer normalen natürlichen und künstlichen Befruchtung werden nur die Gene der Eizelle und des Samens vermischt.
Die Wissenschaftler haben an zwei einjährigen Kindern, die aufgrund einer Ooplasmatransplantation entstanden sind, zeigen können, dass Mitochondriengene der Spenderinnen noch in beiden Fällen im Blut vorhanden sind. Mit einem Gentest ließ sich nachweisen, dass kleine Mengen an zusätzlichen Genen in den Körperzellen sich befinden, die weder vom Vater noch von der Mutter stammen. Damit sei dies der "erste Fall einer genetischen Veränderung der menschlichen Keimbahn, die in normalen gesunden Kindern" gemündet ist. Natürlich können mit der Injektion des Plasmas auch weitere Organellen in die Eizelle eingeführt worden sein. Angeblich haben die zusätzlichen Gene der Mitochondrien weiter keine Auswirkung. Das mitochondriale Genom variiere nicht sehr stark. Die bei dem Gentests entdeckten Unterschiede seien "bedeutungslos".
Gleichwohl können diese Kinder, die angeblich gesund sind und die wohl alle zusätzliche Mitochondriengene der Ooplasmaspenderinnen besitzen, zu Vorreitern und Pionieren einer Keimbahntherapie oder - manipulation werden. Obgleich das genetische Material der Mitochondrien im Ooplasma nur den Zweck erfüllte, eine Befruchtung zu ermöglichen, ohne zu anderen erwünschten genetischen Eigenschaften bei den Kindern führen zu wollen, ist der Tabubruch da. Wenn einmal die ersten Menschen geklont worden wären und unter uns gesund leben würden, wäre dies eine ähnliche Überschreitung. Das setzt die Ängste herab, entkräftet die Kritiker, normalisiert die Überschreitung des vormals Verpönten. Über die Behandlung von Unfruchtbarkeit will auch der italienische Reproduktionsmediziner Severino Antinori das Klonen von Menschen einführen (Dolly ist hier - und wir sind die nächsten).
In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz jeden Eingriff in die Keimbahn, auf europäischer Ebene die Bioethikkonvention des Europarates. Die American Association for the Advancement of Science (AAAS) forderte letztes Jahr ein Moratorium für Eingriffe in die Keimbahn oder "Inheritable Genetic Modification". In den USA wäre, wie Erik Parens and Eric Juengst in "Inadvertently Crossing the Germ Line" (Science 292, 5516, vom 20 April 2001) schreiben, das Recombinant DNA Advisory Committee (RAC) für solche Eingriffe zuständig. Das Komitee kann allerdings nur prüfen, ob Forschung öffentliche Gelder erhalten soll. Für Eingriffe in die Keimbahn sei dies aber nicht vorgesehen.
Die Reproduktionsmediziner haben allerdings keine rekombinante DNA verwendet, weswegen ihr Verfahren streng genommen nicht in den Aufgabenbereich des Komitees fällt. Ein Bericht der American Association for the Advancement of Science (AAAS) hat allerdings vor kurzem festgestellt, dass der definierte Aufgabenbereich des Komitees dem Forschungsstand vor 20 Jahren entspräche, und dazu aufgefordert, dass Techniken, die dieselben ethischen Probleme aufwerfen wie "traditionelle" Veränderungen der Keimbahn, ebenfalls überprüft werden sollten, auch wenn derartige "vererbbaren genetischen Veränderungen (IGMs) keine Gene oder nukleare DNA verändern. Dazu gehöre die Übertragung von mtDNA ebenso wie die Einführung von künstlichen Chromosomen oder die Verwendung von Oligonukleotiden.
Parens und Juengst rufen zu einer öffentlichen Diskussion über das Verfahren auf, bei dem unbeabsichtigt Gene in die Keimbahn übertragen werden, auch wenn die Übertragung von mtDNA keine solchen Befürchtungen auslöst wie die Einführung zusätzlicher nDNA, da sie zu keinen phänotypischen Veränderungen zu führen scheint. Allerdings werde eben aus diesem Grund in politischen Diskussionen über die Gentechnik das Thema der mtDNA übersehen. Da aber Mitochondrien die Energieproduktion der Zelle steuern und man erst allmählich mehr darüber weiß, welche Folgen dies für die menschliche Physiologie und das menschliche Verhalten über neuronale Zellen haben kann, sei auch hier Vorsicht geboten. Die Wissenschaftler warnen davor, mit der Übertragung von Ooplasma die Keimbahn zu verändern. Die Folgen solcher IGMs seien zu wichtig, um sie nur dem Gewissen der einzelnen Wissenschaftler zu überlassen.