Kinder von Straftätern sollen vom Kindergartenalter ab erfasst und überwacht werden
Die britische Regierung will mit einem ambivalenten Plan, Verbrechen und statistisch wahrscheinliche Verbrecherkarrieren verhindern
Die britische Regierung ist nicht nur höchst aktiv im Krieg gegen den Terrorismus im Inland und im Ausland, sondern setzt im Inneren auch auf eine starke Law-and-Order-Politik. Sicherheit soll dem Land und den Bürgern verschafft werden. Dazu gehören - wie im Irak-Krieg trotz falscher (Geheimdienst)Informationen praktiziert - in der Außenpolitik Präventivkriege, in der Innenpolitik etwa der Ausbau der nationalen Gendatenbank (Ein weiterer Schritt zu einer umfassenden nationalen Gendatenbank). Nun will die britische Regierung in einem sehr ambivalenten Projekt die Kinder von Kriminellen erfassen und verfolgen/begleiten, um sie zu unterstützen, nicht in die kriminelle Laufbahn zu rutschen.
Der britische Innenminister David Blunkett hat bereits die Anti Social Behaviour Bill auf den Weg gebracht (Einmal fluchen und ab ins Gefängnis). Dadurch würde die Schwelle zur Kriminalität gesenkt oder sollen, wie Blunkett es selbst sieht, die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Erwachsenen besser erzogen und zu gehörigem Verhalten angeleitet werden. Geahndet werden könnten dann, auch bei Kindern über eine Geldstrafe an die Eltern, rassistische oder beleidigende Äußerungen, Graffitis, Hinterlassen von Müll, Betteln, Ruhestörung, Belästigung, Tragen von Luftgewehren oder Waffenattrappen in der Öffentlichkeit.
Interessant ist auch dieses Vergehen: "Using a public communications system for sending messages known to be false in order to cause annoyance." Gruppen, die "anti-soziales Verhalten" zeigen, können von der Polizei aufgelöst und Minderjährige, die unter 16 Jahre alt sind, nach 21 Uhr nach Hause gebracht werden. 10- bis 16-Jährigen soll ein Ausgangsverbot bis zu einem halben Jahr auferlegt werden können, wozu auch die elektronische Fessel eingesetzt werden kann. Flankiert werden soll dieses Gesetz etwa durch weitere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, die es beispielsweise erlauben würden, dass die Polizei auch bei kleinsten Vergehen zu einer Festnahme berechtigt wäre.
Die oberste Priorität des Innenministeriums sei der Schutz der Allgemeinheit: "Jeder hat das Recht, in einer geschützten und sicheren Umgebung zu leben. Das Risiko, zum Opfer eines Verbrechens zu werden", so das Innenministerium, "ist so niedrig wie noch nie in den letzten 20 Jahren, aber wir sind entschlossen, noch mehr zu tun, um das Verbrechen verringern."
Dazu soll wohl auch der Plan dienen, den Hazel Blears, Staatssekretärin im Innenministerium für die Polizei, in einem Gespräch mit dem Independent gerade ausgeführt hat. Es sollen alle Kinder von Kriminellen, die im Gefängnis sitzen, erfasst (targeted) und verfolgt (tracked) werden, um zu verhindern, dass sie ebenfalls kriminell werden. Dabei handelt es sich angeblich derzeit um 125.000 Kinder, die aufgrund ihrer Eltern gefährdet seien.
Um die 125.000 Kinder haben einen Vater im Gefängnis. Das ist ein gewaltiger Risikofaktor. An die 65 Prozent dieser Kinder werden selbst im Gefängnis landen. Wir müssen die Kinder beobachten, die am stärksten in Gefahr sind. Wir können die Risikofaktoren vorhersagen, die ein Kind zu einem kriminellem Verhalten führen werden.
Blears weist den Verdacht natürlich weit von sich, dass damit diese Kinder stigmatisiert würden. Man müsse möglichst früh eingreifen, um die Entwicklung in bessere Bahnen zu lenken. Schon ab dem Kindergarten müsse die Beobachtung einsetzen, da eine Studie ergeben habe, dass gewalttätige Kriminelle schon mit sechs Jahren auffällig seien. Und bereits dreijährige Kinder, die nicht ausreichend "kontrolliert" würden und störendes Verhalten zeigten, würden nach einer Langzeitstudie mit einer vier Mal höheren Wahrscheinlichkeit als Erwachsene wegen Gewalttätigkeit verurteilt werden.
Ob ein solche Überwachungsprojekt nicht nur bei der Beobachtung bleibt, sondern tatsächlich, wie behauptet, zur Verhinderung einer kriminellen Karriere beitragen kann, muss natürlich offen bleiben, solange nicht klar ist, wie viele Ressourcen dafür aufgewendet werden. Sehr viel versprechend klingt das bislang noch nicht. Blears sagt, Ziel des Programms sei es, diese Kinder besser in der Schule zu fördern und ihnen Sport, Theaterspielen und andere Tätigkeiten nach der Schule anzubieten. Man müsse ihnen etwas offerieren, um ihnen Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Eltern könne man in Erziehungskurse stecken.
So gut das alles - vielleicht - klingt, so sicher ist doch, dass dies nur die eine Seite der Medaille ist, denn Sinn der Sache soll natürlich auch sein, die Gesellschaft sicherer zu machen. So sollen auch schon aus ganz legitimen Gründen Gewalt und Mobbing in den Schulen verhindert werden. Auch hier lasse sich nämlich sehen, dass die Mobber und Schläger in der Schule außerhalb von dieser eher stehlen oder gewalttätig sind: Das könne man nicht so lassen: "Das ist ein bisschen so wie Null-Toleranz."
Die Frage ist, was man mit denjenigen macht, die nicht bei den möglicherweise angebotenen Programmen mitmachen oder sich nicht disziplinieren lassen. Das Rechtssystem solle den Straftätern helfen, aber wenn sie sich weigern, sich zu ändern, dann sollte die Polizei einschreiten und eine für sie "feindliche Umgebung" schaffen. Hinter der Prävention steht also doch die Strafe - und hat man die Menschen frühzeitig identifiziert, die mit großer Wahrscheinlichkeit kriminell werden, dann kann man sie natürlich auch besser fassen, was selbstverständlich ein legitimes Mittel ist, um die Ordnung des Gesetzes durchzusetzen. Allerdings ist die Überwachung und gezielte Förderung sicherlich nicht ohne jede Stigmatisierung denkbar. Den Kindern muss ja klar gemacht werden, dass sie aufgrund ihres kriminellen Vaters oder ihrer Mutter mehr oder weniger "infiziert" sind, sie müssen sich und ihre Familie selbst als eine Art Feind betrachten, während die Persönlichkeitsveränderung mit der Drohung, im Gefängnis zu enden, eingefordert wird.
Allerdings ist das die Crux jeder Maßnahme, die die Bekämpfung der Kriminalität und den Schutz der rechtlichen Ordnung anstrebt. Die Ambivalenz zwischen Resozialisierung und Strafe, die zugleich abschreckt und auch die Gerechtigkeit gegenüber dem Opfer wieder herstellt, wiederholt sich in der Prävention durch Überwachung und Förderung. Und zur letzten Schlussfolgerung, die sich bei diesem geplanten Präventivprogramm aufdrängt, nämlich die Übertragung der Erziehungsverantwortung von den kriminellen Eltern auf andere Personen/Organisationen, schreckt Blears doch zurück. Was wäre zudem, wenn die kriminelle Karriere nicht allein milieu- oder erziehungsbedingt, sondern beispielsweise auch genetisch angelegt wäre? Auch dazu müsste sich Gesellschaft irgendwie verhalten, die ja tatsächlich auch eine Pflicht hat, Menschen mit relativ sicheren kriminellen Karrieren zu helfen und sie nicht einfach laufen zu lassen, bis sie dann im Gefängnis landen.